Rezensionen
Beaumarchais‘ Figaro als Opernfigur
Isolde Schmid-Reiter (Hrsg.): Zwischen Revolution und Bürgerlichkeit – Beaumarchais’ Figaro-Trilogie als Opernstoff. ConBrio Verlag 2019, 264 Seiten, Paperback CB 1279, 28 Euro
2013 veranstaltete die Europäische Musiktheaterakademie ein Symposium mit dem Titel „Zwischen Revolution und Bürgerlichkeit – Beaumarchais’ Figaro-Trilogie als Opernstoff“. Ziel der Veranstaltung war es, so beschreibt es Dominique Meyer, Direktor der Wiener Staatsoper, in seinem Vorwort, die Beziehungen Figaros in Beaumarchais‘ Figaro-Trilogie „mit der Gesellschaft seiner Zeit in eine Perspektive zu stellen, die Zusammenhänge zwischen der Trilogie und den Werken hervorzuheben, die Librettisten und Komponisten geschaffen haben, die literarische und theatralische Beliebtheit Figaros zu erörtern, klarzustellen, wer Beaumachais war“.
Isolde Schmid-Reiter (Hrsg.): Zwischen Revolution und Bürgerlichkeit – Beaumarchais’ Figaro-Trilogie als Opernstoff
Der Autor: Uhrmacher, Journalist, Handelsmann, Spion, Gefängnisinsasse, Pamphletist, Finanzjongleur – ah ja: auch Dramatiker. Seine Hauptfigur Figaro: vergleichbar kunterbunt – ach ja: auch Opernsänger. All dem versuchte 2013 das Beaumarchais-Symposium beizukommen. Denn „Der Barbier von Sevilla“, „Der tolle Tag“ und „La Mère coupable“ haben über die Schauspiel- auch die Opernbühne mehrfach erobert.
Der Band beginnt klassisch mit einem Beitrag von Jean-Pierre de Beaumarchais, einem entfernten Nachkommen, der die wohl – bis heute – gefährlichste Waffe seines Ahnen benennt: „Wit alone a change may bring“ – Spott und Lächerlichkeit sind das, was Mächtige am meisten fürchten. Über beides verfügte der Dramen-Autor und zog so Komponisten an, die das aufklärerische und „systemkritische“ Potenzial hinter Wortwitz und Situationskomik schätzten – und auch via Opernbühne populär machen wollten.
Figaro als hilfreicher Barbier, als Kammerdiener und Intrigen-Entlarver in allen drei Werken wird durchleuchtet; verschiedene Vertonungen zwischen Paisiello und Milhaud werden analysiert; eine Fülle von Querverweisen öffnet selbst Werkfreunden bislang unbekannte Aspekte. Den Horizont erweitert etwa David Cranmers Essay zu Marcos António Portugals portugiesischer „Hochzeit des Figaro“. Zu bedauern ist, dass die weiterführenden Vertonungen von Giselher Klebe („Figaro lässt sich scheiden“, Hamburg 1963) und Inger Wikström („Den brottsliga modern“, Solna 1992) nicht ebenso eingehend untersucht werden. Lediglich Komponist Thierry Pécou („L‘Amour coupable“, Rouen 2010) referiert
Leitlinien seiner Vertonung.
Mit großem Gewinn liest sich Hilde Haiders „Roman der Familie Almaviva“. Beaumarchais träumte selbst von einer Aufführung der Figaro-Almaviva-Werke an drei aufeinander folgenden Abenden. Haiders durchgängige Entwicklungslinien beleben diesen Wunsch. Einen weiteren Höhepunkt bildet Sieghart Döhrings Essay über John Coriglianos „The Ghosts of Versailles“: Beaumarchais, Marie Antoinette und fast alle übrigen Figuren begegnen sich als lebende Tote nachts in Versailles, durchleben einen Teil der Bühnenverwicklungen, aber auch die „Halsband-Affäre“ und die Guillotine. Döhring beeindruckt durch klare Sprache, verständliche Analyse der komplexen, weil oft filmischen Dramaturgie und Kompositionsweise sowie durch bestechende dramaturgische Einordnung. Der Band lässt mit Personen-, Werke- und Rollenverzeichnis tief in die Figaro-Welt von Beaumarchais blicken und ist somit ein überragender Werkführer für den Theater- und Opernfreund.
Wolf-Dieter Peter |