Hintergrund
Wie ein
Blumenstrauß
Jörn Hinnerk Andresen, Chordirektor der Sächsischen Staatsoper, über Ausbildung von Chorsängern
In Kooperation mit der Dresdner Hochschule für Musik
Carl Maria von Weber hat die Sächsische Staatsoper das Opernchorstudio (wieder) ins Leben gerufen. Jörn Hinnerk Andresen ist seit 2015 Chordirektor des Staatsopernchores. Bevor er nun dem Ruf einer Professur ans Mozarteum Salzburg folgt, hat Michael Ernst mit ihm über die Ausbildung von Chorsängern gesprochen.
Oper & Tanz: Sie leiten einen großartigen Opernchor, der für seine vielfältigen Leistungen immer wieder viel Zuspruch erhält. Eine Selbstverständlichkeit?
Jörn Hinnerk Andresen. Foto: Johannes G. Schmidt
Jörn Hinnerk Andresen: Absolut nicht. Jeder Spielplan hat seine spezifischen Herausforderungen. Das klangliche Niveau von Chorproben und Vorstellungen hängt ganz davon ab, wie ein Chor über- oder unterfordert wird. Uns hat in der vorigen Saison Schönbergs „Moses und Aron“ zum Beispiel extrem gefordert, aber auch extrem vorangebracht. Um ein Niveau zu entwickeln und zu halten, muss schon bei neuen Engagements die Ensemblefähigkeit beachtet werden. Das betrifft ein bestimmtes musikalisches Niveau, den Ensemblespirit und eben auch die Klanglichkeit. Zu heterogen darf es nicht werden. Je größer im Laufe der Zeit das Vibrato einzelner Stimmen wird, desto schwieriger kann es sein, ein Niveau zu halten. Neben der Musikalität muss also auch eine gewisse Mischfähigkeit vorhanden sein.
O&T: Wie lässt sich diese Qualität auch für die Zukunft sicherstellen?
Andresen: Wir kämpfen natürlich darum, die im Rahmen der Konsolidierung festgeschriebene Stellenzahl von derzeit 84 zu halten. Die Altersstruktur ist ein relativ komplexes Thema, und die Nachwuchslage ist momentan zu überschaubar.
Ich nehme da gern den Blumenstrauß als Metapher. Wenn der nur aus roten Rosen besteht, ist er zwar schön, aber das Leben ist viel bunter. Man braucht allerlei verschiedene Blumen. Das meint, dass die stimmliche, soziale, aber auch die Altersstruktur gut gemischt sein muss.
Junge Leute können sich bei „Lohengrin“ oder „Rienzi“ kräftemäßig noch nicht so einteilen, da sind gereifte Stimmen stabiler. Andererseits kann sich im Alter ein gewisses Tremolo einstellen, das muss man in den einzelnen Stimmgruppen auffangen. Unser Repertoire ist im Laufe der Jahre auf circa 100 Opern angewachsen – ein unfassbares Knowhow, das die älteren Kollegen mitbringen. Die Jüngeren bringen andererseits eine gute Atmosphäre mit, auch Energie, wenn sie gut sind. Insofern finde ich es gut, wenn die Strukturen nicht so routiniert sind.
O&T: Wie würden Sie selbst den Zustand des Semperopernchores einschätzen?
Andresen: Ich finde den Chor großartig, gerade weil er so vielseitig ist. Er ist ja nicht nur der Opernchor, sondern kann auch im Konzertwesen sehr gut bestehen. Beispielsweise in Mahlers Achter neben dem MDR-Chor, in Rossinis „Stabat Mater“ neben dem BR-Chor, da schneiden wir nicht schlecht ab. Das sind die Ergebnisse einer langen und guten Schulung, nicht zuletzt ist unser Chor unter anderem durch Colin Davis und Giuseppe Sinopoli sehr gut geprägt.
Außerdem ist es natürlich ein Glück, dass wir in der Semperoper eine der besten Opernakustiken haben, die es überhaupt gibt. Das formt den Klang, wenn gut musiziert werden kann. Ich habe in meiner Laufbahn einige Chöre kennengelernt und muss sagen, vom Arbeitsklima und Ethos her ist es schon sehr angenehm, hier zu arbeiten. Natürlich gibt es auch Konflikte, aber die grundsätzliche Stimmung ist hoch professionell. Sämtliche Regisseure und die meisten Dirigenten sind darüber sehr froh.
Alle Chöre im Einsatz: „Moses und Aron“ an der Sächsischen Staatsoper mit Lance Ryan als Aron, dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden, dem Sinfoniechor Dresden, dem Extrachor der Semperoper Dresden und dem Vocalconsort Berlin. Foto: Ludwig Olah
Ich verlasse diesen Chor wirklich sehr ungern und würde ihn gegen keinen anderen Opernchor der Welt tauschen. Dazu ist er mir viel zu sehr ans Herz gewachsen. Doch ich habe jetzt zwanzig Jahre Oper hinter mir und Lust, etwas Neues auszuprobieren. In der Nachfolge von Walter Hagen Groll und Karl Kamper werde ich am Mozarteum Salzburg eine Professur für Chorleitung antreten. Damit schließt sich für mich ein Kreis, um künftig jungen Leuten in der Ausbildung etwas mitzugeben.
O&T: Ein Abschied mit Wehmut und ganz ohne Groll?
Andresen: Absolut. Es gab natürlich wie überall auch an der Semperoper mal Reibereien, die aber stets auf sachlichem Ringen gefußt haben. Wichtig ist, dass es nicht um Personen und Eitelkeiten geht, sondern um inhaltliche Fragen. Die konnten wir immer gemeinsam mit Chefdirigent Christian Thielemann und Intendant Peter Theiler sowie mit dem starken Engagement des Chores lösen. Das Verhältnis kann ich mir gar nicht besser vorstellen. Bereits zuvor haben wir eine anspruchsvolle Spielzeit unter dem Interim von Wolfgang Rothe sehr gut mit „Oedipus Rex“ zu Ende gebracht und dann die neue Intendanz mit dem Paukenschlag von „Moses und Aron“ eröffnet – am Ende ein großer Erfolg, und der hat bekanntlich immer viele Väter.
Mein Dresden-Engagement werde ich nun mit Rossinis „Il viaggio a Reims“ beenden.
O&T: Jahre vor Ihrer Amtszeit wurde das frühere Opernchorstudio geschlossen und ist nun wiederbelebt worden. Was hat sich geändert, wie wird hier gearbeitet?
Andresen: Aktuell gibt es zehn Plätze, die wir mit Studenten besetzen können, die bereits ihren Bachelor oder Master haben und nun in der Kooperation mit der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber ihren Master in Chorgesang erwerben können. Sie erhalten den Unterricht in Korrepetition und Gesang an der Hochschule und leisten bei uns eine bestimmte Anzahl von Diensten, ganz regulär von der ersten Probe bis zur letzten Vorstellung. Das entspricht etwa einem Drittel der regulären Dienstzahl und ist ein großes Plus für die praktischen Erfahrungen.
Wir versuchen, ihnen in diesen zwei Jahren bestimmte Schlüsselstücke fürs Repertoire mitzugeben. Aber auch bei so interessanten Projekten wie den Osterfestspielen Salzburg sowie im Konzertbereich werden sie mit eingesetzt. Davon profitieren natürlich auch wir, unsere Besetzung in der Oper wird flexibler, wir können Kollegen des Hauschores entlasten und haben mehr Freiheit. Das ist zwar ein ziemlicher Organisationsaufwand, den man aber individuell steuern kann.
O&T: Wie ist die Nachfrage für diese praxisbezogene Ausbildung?
Andresen: Von den zehn Studienplätzen sind aktuell nur zwei besetzt, die Bewerberlage für unsere Vorsingen könnte eindeutig besser sein. Relativ häufig „verlieren“ wir Studierende auch während des Studiums, weil sie in einen festen Job gehen. An sich eine gutes Zeichen, wenn alle in Festanstellungen wechseln.
Drei Erstsemestler haben wir in unserem Chor engagiert, andere Studierende sind ins Solofach gewechselt oder in anderen Opernchören untergekommen.
O&T: Warum ist die Bewerbungslage so dürftig?
Andresen: Wahrscheinlich ist dieses Studium nicht sehr bekannt. Wir versuchen, es zusammen mit der Hochschule zu bewerben. Ein Punkt ist allerdings auch, dass viele junge Leute zunächst das Ziel haben, eine Karriere als Solist zu machen.
Andere haben Ensembleerfahrungen und schätzen Chorgesang sehr. Wenn solche Leute den Masterstudiengang nutzen, umso besser. Schließlich bietet der Opernchor auch eine gewisse Sicherheit. Nur ist die Kernaufgabe des Chorsängers, sich mit voller Kraft in der Gruppe zu integrieren, nicht jedem gegeben, das schaffen viele, aber nicht alle. Da habe ich ganz tolle Beispiele kennenlernen dürfen, auch in der 30., 40. Spielzeit. Bei guten Aufgaben fühlen sie sich auch wertgeschätzt.
O&T: Was soll mit dem Studio erreicht werden?
Andresen: Die Wiedergründung hat der damalige Chorvorstand ganz aktiv mitbetrieben, weil ein über zehn Jahre laufender Konsolidierungsplan den Chor von über 100 Stellen auf 84 reduziert hat. Das Opernchorstudio wurde 2008 auch aus Kostengründen abgewickelt.
Eigentlich profitieren wir jetzt alle von der Neugründung, die Studierenden natürlich durch den Studienabschluss generell, wir hingegen freuen uns über Synergieeffekte, indem wir Sänger nicht nur ausbilden, sondern sie auf der Bühne einsetzen und gleichzeitig den Nachwuchs fördern. Die Absolventen haben locker zwanzig Opernrollen drauf, also beste Voraussetzungen, gut und flexibel einsetzbar zu sein.
O&T: Wie sieht es Ihrer Meinung nach insgesamt mit der Chorausbildung aus?
Andresen: Ich finde, es wird besser, weil verschiedene Rundfunkchöre und Opernhäuser damit anfangen, sei es mit Praktika, sei es unsere Ausbildung oder eine Akademie. Ich denke auch, dass die Ausbildung von Chorleitern besser wird – damit werden die Berufschöre automatisch auch besser. Früher waren die Chorleiter oft Kapellmeister, Chorwissen war da nicht unbedingt vorauszusetzen. Meiner Meinung nach ist das Chorniveau insgesamt sehr nach oben gegangen; nicht zuletzt die Alte-Musik-Szene hat da Maßstäbe gesetzt.
O&T: Wie steht es um den Sinfoniechor der Oper?
Andresen: Der Sinfoniechor wird im Oktober schon seit 104 Jahren bestehen. Er ist ein Laienchor und lebt davon, dass er Aufgaben in großen Choropern bekommt. Jüngst in „Nabucco“ war es leicht, gute und interessierte Sänger zu finden. Das wird schwerer, wenn die Aufgaben nicht so interessant sind. Wir wollen den Mitgliedern des Sinfoniechors durch die Kollegen des Staatsopernchores jetzt auch Stimmbildung geben, die Finanzierung dafür läuft über die Oper. Sie zahlen einen Obolus für die Ausbildung und bekommen eine Gage für ihre Mitwirkung, also ein Geben und Nehmen. Es war immer ein eigenständiger Chor, der bis vor Kurzem noch einen Stamm von neunzig Leuten umfasste: Pädagogen Ärzte, Fitnesstrainer, bunt gemischt.
O&T: Der Chorprobenraum an der Oper ist mittlerweile renoviert?
Andresen: Ja, das hat statt zwei Monaten fast ein Jahr gedauert, weil es diverse Belastungen mit Schadstoffen gab. Seit einem guten Jahr sind wir im sanierten Chorsaal, der ist wunderbar, klingt herrlich, verfügt über eine professionelle Bestuhlung, gute Beleuchtung, und obwohl er von Raumgröße etwas klein ist, wurde er akustisch so ertüchtigt, dass man sehr gut arbeiten kann.
Michael Ernst |