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Berichte
Greifbares Menetekel
Jörn Arneckes Oper »Der Eisblumenwald« am Deutschen Nationaltheater Weimar
Gleich zwei bemerkenswerte Musiktheater-Uraufführungen innerhalb eines Monats am Deutschen Nationaltheater Weimar! Während Ludger Vollmers „The Circle“ auch als Transformationsprozess des ästhetischen Gebildes Oper in den Bedingungen des medialen Zeitalters lesbar ist, besinnt sich Jörn Arnecke in seiner von der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung ermöglichten Auftragskomposition für das DNT auf haptische und direkte, ohne umfangreiche elektronische Kunstmittel auskommende Möglichkeiten. Seine Vertonung von „Der Eisblumenwald“ nach dem Kinderbuch von Jörg Steiner zeigt beglückend gelungen, die märchenhafte Rettung aus einer ökologischen Krisensituation.
Jörn Arneckes jüngste Oper dauert nicht viel länger als die Zeit, in der ein paar große Eiswürfel bei Zimmertemperatur in mit Schraubdeckeln verschlossenen Gläsern zu Wasser schmelzen. Diese Gläser, an junge und erwachsene Zuschauer verteilt, sind das einzige chorische Instrument in der Partitur des Professors für Musiktheorie und Gehörbildung an der Weimarer Hochschule für Musik „Franz Liszt“.
Giulia Montanari als Prinzessin Salicha. Foto: Candy Welz
„Der Eisblumenwald“ hat seit seiner Erstausgabe 1983, kurz nach Veröffentlichung der Studie „Global 2000“ und „Zeit zum Handeln“, kräftig an Brisanz und Aktualitätsdruck gewonnen: In einem orientalischen Land ist die Bevölkerung steinreich durch „Schwarzes Gold“. Aber es fehlt Wasser, die Erde verdorrt, der Himmel spiegelt nur Wüstenstaub. Der gebildete, durchaus sozial eingestellte König von Amun (Andreas Koch) leidet allerdings weitaus weniger am Klimawandel als am Oppositionsgeist seiner Tochter Salicha (Giulia Montanari, HfM Weimar). Diese beschließt zu handeln: Sie macht sich mit dem Märchenerzähler (Schauspieler Andreas Kuhn) und dem Jungen Samir (Juliane Bookhagen, Thüringer Opernstudio) auf den Weg zum Südpol. Von dort bringen die Drei einen Eisberg mit, der ihr Heimatland befeuchtet und wieder lebenswert macht. Ohne erhobenen Zeigefinger kommt Arneckes dramatische Einrichtung der Vorlage aus. Er und die Mitwirkenden setzen auf die Kombinationsfähigkeiten ihrer Zuschauer im Vorschul- und Grundschulalter. Diese verstehen genau und beobachten mit stiller Aufmerksamkeit, dass es um Konfliktbewältigung, das Staunen und Lernen, das Miteinander, die Energien durch Hoffnung und Selbstvertrauen geht.
Am schönsten an dieser Uraufführung ist, dass die junge Regisseurin Clara Kalus das Potenzial des Stoffes und der Musik erkannt hat, der märchenhaften Dimension des Sujets vertraut und die Zuschauer auch in die unprätentiös klare, bis zum Schluss tragfähige Musik Arneckes einspinnt: Bühnenlicht im Sinne der Deutlichkeit, kein Video, kein Sounddesign. Die Musiker und Sänger produzieren Töne ‚nur‘ durch Instrumente, Atem, Geräusche und Stimmen. Und siehe: Alles funktioniert, bleibt in Spannung. Kein einziger Zuschauer langweilt sich in dieser Stunde, weil das Ensemble engagiert agiert, enorm sympathisch herüberkommt und sich bei den vom Komponisten gestellten Aufgaben spürbar wohl fühlt. Wie ein Kapitän steht der Dirigent Niuniu Miao Liu in seiner Box und konzentriert sich ausschließlich auf Human Resources. Die dunkle Orchesternische für vier Streicher, Querflöte und vor allem die viel mit klanglosen Atemtönen genutzte Posaune wirkt wie der dunkle Maschinenkeller. Nur die Kostüme in Gold-Orange, Meerblau und phantastischem Lila für den Märchenerzähler erzählen etwas von Herkunft, Prägung und Status. Die Zeit selbst wird Thema und man hört deren unaufhaltsames Verrinnen: Lautes Klackern der schmelzenden Eiswürfel, etwas leiseres Crunchen, fast leises Fließen. Das Tauwetter in Wasserglas ist also kein Sturm, sondern stiller Countdown und greifbares Menetekel.
Unspektakulär, unaufgeregt und fern von jeder Verniedlichung: Aus dem Zuschauerraum der Studiobühne des DNT hört man auch kein Parallelkonzert von Rascheln, Flüstern oder bemühten Maßregelungen. Dafür macht Arneckes Musik mit ihren fließenden Wechseln vom prägnanten Dialog in ariose und geschlossene Perioden viel zu neugierig. Künstlerische Mittel, Aussage und Spannungsgefüge sind bei dieser Uraufführung und ihrer Realisierung erfreulich kongruent: Ein Plädoyer für Poesie ohne plärrige Parolen.
Roland H. Dippel |