Editorial
Von Mensch zu Mensch
Die Spielzeit 2018/2019 neigt sich dem Ende zu. Welche Eindrücke nehmen Sie mit? Wie steht es um die Wertschätzung der Arbeit der Kunst- und Kulturschaffenden? Wo steht die Kulturpolitik?
In der Parteienlandschaft hat es gravierende Veränderungen/Verschiebungen gegeben, die mit großer Skepsis zu betrachten sind, für den Bereich der Kultur und die Freiheit der kulturellen Arbeit durchaus Anlass zur Sorge geben können, und deren konkrete Auswirkungen auf die Kulturpolitik wachsam zu verfolgen sind.
Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald
Deutliche Fortschritte konnten in der grundsätzlichen Frage der Theater- und Orchesterfinanzierung erzielt werden, die den zunehmenden Abbau von Verzichtstarifverträgen ermöglicht, auch wenn diese Problematik noch nicht an allen Standorten ausreichend geklärt ist. Auch ist der wirtschaftliche Druck auf die Kulturinstitutionen weiter gestiegen, die Auslastung zu steigern und den Eigenanteil an der Gesamtfinanzierung zu erhöhen, um beispielsweise Tarifsteigerungen o.ä. aufzufangen bzw. gegen zu finanzieren. Und das bei tatsächlich stattgefundenem und immer noch weiter stattfindendem Personalabbau, der in aller Regel irreversibel ist und zu einer fortschreitenden Arbeitsverdichtung und zum Teil extremer Belastung der Kulturschaffenden führt.
In den aktuellen Manteltarifverhandlungen mit dem Deutschen Bühnenverein konnten nicht unerhebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erzielt werden, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Diese Erfolge – in mühsamen und langwierigen Tarifverhandlungen errungen – sind zuletzt auch Ergebnisse einer verbesserten Akzeptanz gegenüber notwendigen Anpassungen in Hinblick auf Planbarkeit von Arbeits- und Freizeit. Ein Themenkomplex, den es gilt, auch künftig kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Wenn in der öffentlichen Debatte die (prekären) Arbeitsbedingungen bestimmter Berufsgruppen beispielhaft genannt werden, geht es häufig um die Beschäftigten in der Alten- und Krankenpflege. Dieses Thema kann gar nicht hoch genug priorisiert werden. Es ist aber falsch, unterschiedliche Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen, um so – vermeintlich – das Wesentliche in den Blick zu nehmen. Die Gesellschaft darf jedoch das Kernthema nicht aus den Augen verlieren: Was ist uns Zwischenmenschlichkeit wert?
Und wie steht es mit den Herausforderungen, die die Digitalisierung an die Kunst- und Kulturschaffenden stellt? Mit der fortschreitenden Digitalisierung wird sich unsere Arbeitswelt weiterhin rasant verändern. Soweit moderne Algorithmen Sprachen lernen, Gefühle simulieren oder Musikkompositionen erstellen, sind die Fortschritte beeindruckend und es stellt sich die Frage, ob nicht bald auch eine Verdrängung der realen durch die virtuelle Welt zu befürchten sein kann. Instrumentalmusik kann bereits perfekt elektronisch von Notenschrift in Töne umgesetzt und ausgegeben werden. Aber was heißt schon „perfekt“, wenn es um Kunst und Kultur geht? Man sagt zwar, über Geschmack ließe sich nicht streiten, aber Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters (oder auch im Ohr der Zuhörerin).
Und nur in der individuellen Ausdrucksform besteht der Raum für die jeweilige künstlerische Ausgestaltung und Entwicklung neuer Interpretationen, die nicht nur Kopien bereits existierender Gestaltungen sind. Nur so kann die erwünschte kostbare Vielfalt entwickelt werden.
Im Kulturbereich können Menschen und ihre künstlerischen Aussagen nun mal nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden, und der Umgang miteinander ist etwas zutiefst Menschliches. Diese Unersetzlichkeit ist es, was die Kulturschaffenden, die Pflegenden, die Kinder-Betreuenden vereint: Sie alle haben, mit den jeweiligen spezifischen Nuancen, kreative Jobs, bei denen das menschliche Miteinander im Vordergrund steht. Der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck bezeichnete diese Berufe in einem Interview-Podcast der ZEIT im Frühjahr 2018 als Mensch-zu-Mensch-Verhältnisse, zu denen er auch die Arbeit im Kultur- und Bildungsbereich zählte, und denen er den eigentlich hohen, weil nicht ersetzbaren Wert menschlicher Interaktion beimesse. Habeck äußert die Hoffnung, dass solchen Tätigkeiten künftig – auch oder gerade vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung – ein höherer Wert beizumessen sei und sie auch vernünftig bezahlt und stärker gewertschätzt werden müssten.1
Dem schließen wir uns an. Und auch wenn die Revolution wohl nicht von heute auf morgen stattfinden wird, so arbeiten wir mit Ihnen gemeinsam doch kontinuierlich daran, das Bewusstsein für Themen dieser Art in der Gesellschaft weiter zu schärfen.
Ihnen und Ihren Lieben eine genussvolle Sommerpause mit viel Zeit für Zwischen- und Mitmenschlichkeit!
Gerrit Wedel
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