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Berichte
Rendezvous mit dem Tod
David T. Littles Oper „JFK“ in Augsburg
John Fitzgerald Kennedy wirkte in den 1960ern, inmitten von vielen Politgreisen, wie eine Lichtgestalt. Trotz vieler enthüllender Dokumentationen umgibt das fotogene Paar „Jack und Jackie“ bis heute eine Aura des Besonderen. US-Komponist David T. Little und sein kanadischer Librettist Royce Vavrek beschränken sich auf jene letzte Nacht vom 21. auf den 22. November 1963, ehe das Paar nach Dallas aufbrach: In „31 Momenten und einem Prolog“ entrollen sie ein zweistündiges Psychogramm der schwierigen Ehe.
Kate Allen als Jackie, Alejandro Marco-Buhrmester als JFK, Opernchor des Staatstheaters Augsburg. Foto: Jan-Pieter Fuhr
Für die Vielzahl von Szenen haben Regisseur Roman Hovenbitzer und sein Bühnen-Video-Duo Natalia Orendain del Castillo und Paul Zoller über die Stilebene „phantastischer Realismus“ hinaus – in der Realität, Erinnerung und Traum ineinander verfließen können – aufgegriffen, dass Kennedy der erste „Fernseh-Präsident“ war: souverän im ersten TV-Duell der Präsidentschaftskandidaten gegen „Tricky Dick“ Nixon, präsent in erstmals öffentlich übertragenen Pressekonferenzen voller Witz und Ironie – und als letzte Steigerung die filmreifen Auftritte mit der zur Stil-Ikone geformten Jackie. So beginnt die Augsburger Inszenierung an einem Regietisch direkt hinter dem Orchester. Dort sitzt ein auch mehrfach auf der Bühne mitspielendes Duo, gibt ein lautloses „Action!“-Zeichen, lässt historische Film-Dokus auf den vielfach verschieb- und drehbaren Wandteilen per Projektor loslaufen – und unter der Decke leuchtet rot „REC“ auf: Wir erleben die Aufzeichnung einer neuen JFK-Spiel-Doku mit. So sind die Verschränkung von Szenen, ihr fließender Übergang und der Wechsel von Traum und Realität möglich. Und wie Schicksalsboten greift das Regie-Duo als „Betreuerin Clara“ und „Secret-Service-Mann Rathbone“ ins Bühnengeschehen ein, ergänzt durch den grellen Todesboten „Cutter“, der am Ende triumphierend den Finger hebt. Davor liegt Kennedy wiederholt in der schmerzlindernd wärmenden Badewanne, lässt sich eine Morphium-Spritze setzen, zieht sich um und umarmt kurz Marilyn Monroe. Dazu kontrastiert der „Cheer-Girl“-Auftritt der später hirn-operierten Schwester Rosie. Um den hemdsärmligen Texaner Lyndon B. Johnson brüllen „Rednecks“ und Strip-Girls mit einem Hauch von Hill-Billy. Aus einer Schiebewand ragt das weiße Imitat des späteren Attentatwagens heraus – und es berührt erschreckend, wenn der Bühnen-Kennedy darin übend Platz nimmt, mehr noch, wenn später Jackie sein Lieblingsgedicht rezitiert, Alan Seegers „Hab mit dem Tod ein Rendezvous / Bei Nacht, in einer Stadt, die brennt… / Dies Rendezvous verpass ich nicht“.
Komponist Little bietet für diese Szenenfülle ein großes, spätromantisches Orchester auf, bereichert um Klavier, Xylo- und Vibraphon, Glockenspiel, Gongs und anderes raffiniertes Schlagwerk bis zum amerikanischen „Banger“-Rohr. Er schreibt dominant tonal, harmonisch – enttäuscht damit alle Modernisten und macht das Werk sofort musiktheatralisch zugänglich. Dramatische Ausbrüche von Jackie werden auch mal schrill, dagegen rührt der Lamento-Tonfall von Jackies großer Klage an (beeindruckend Mezzosopran Kate Allen). Demgegenüber wird aber das einzige Manko des Werkes klar: Die Titelfigur hat keine eigene, beeindruckende Szene, was auch die Wirkung von Bariton Alejandro Marco-Buhrmester mindert. Dass Komponist Little das Gespür für Großes hat, beweist er in der finalen Annäherung an die europäische Operntradition: Er und Librettist Vavrek führen in einem dramaturgischen Kunstgriff Jackie Kennedy und ihr späteres zweites Ich als Jackie Onassis (klangschön Mezzosopranistin Natalya Boeva) sowie Clara (Sopranistin Sally du Randt) zusammen – ihr Terzett wird zum vokal schwelgerischen Höhepunkt des Abends. Der einhellige Schlussjubel für die beiden Autoren und das gesamte Bühnenteam signalisierte: Hier wird, gerade in unseren Tagen voller Polit-Rabauken und -Clowns, eine Figur verewigt, die Willy Brandt treffend charakterisierte und die heute fehlt: ein „vorwärtsgewandter Mann“!
Wolf-Dieter Peter |