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Kulturpolitik

Interdisziplinärer Austausch

Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme · Von Heike Henning

„Stimme – Körper – Bewegung“: Unter diesem Thema stand das 9. Symposium zur Kinder- und Jugendstimme in Leipzig. Bewegend war zunächst der musikalische Auftakt ins Programm. Diesen bildete der Auftritt des Gebärdenchores des Berufsbildungswerkes Leipzig. Diese Gruppe junger hör- und sprachgeschädigter Menschen singt nicht mit ihren Stimmen, so wie wir Gesang gewöhnlich erleben. Diese Gruppe „singt“ mit ihrem Körper und der erlernten Gebärdensprache, choreografiegleich zur sie umgebenden Musik. Damit macht der Gebärdenchor Liedtexte nicht nur gehörlosen Zuschauern zugänglich, sondern fasziniert hörende Zuschauer gleichzeitig mit der Schönheit der Gebärdensprache als künstlerischem Ausdrucksmittel. Besonders eindrucksvoll war das gemeinsame Singen von „Can you hear me?“ von Bob Chilcott. Es sangen knapp 500 Kongressteilnehmer gemeinsam mit dem Gebärdenchor mit Gebärdensprache und Stimme. Anhaltender Applaus in Gebärdensprache: Die ganze Aula winkte den jungen Darstellern zu.

Die menschliche Stimme entsteht durch das Zusammenwirken verschiedenster Organsysteme unseres Körpers. Dadurch wird auch die Funktion des Stimmapparates durch Körperhaltung, muskuläre Spannung und Konstitution des gesamten Organismus beeinflusst. Diese Wechselwirkungen spielen für singende Kinder und Jugendliche eine zentrale Rolle, insbesondere, da sich während des Wachstums ihr Körper und dessen Wahrnehmung ständig verändern.

Eingeschränkte Beweglichkeit bei Kinderstimmen

 
Die MAT (Musical Akademie für Teens, Staatliche Jugendmusikschule Hamburg-Mitte) bei ihrem Auftritt mit ihrer neuesten Show „Musicals on the Move!“. Foto: S. Engel
 

Die MAT (Musical Akademie für Teens, Staatliche Jugendmusikschule Hamburg-Mitte) bei ihrem Auftritt mit ihrer neuesten Show „Musicals on the Move!“. Foto: S. Engel

 

Die Bewegung, die den jungen Körpern, dem sich ständig entwickelnden System „Stimme“ innewohnt und dem Stimmklang zugrunde liegt, ihn begünstigt, fördert oder hemmt, wurde von verschiedenen Referenten und Workshopleitern aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. In seinem Einführungsvortrag „Mikrobewegungen für die Stimmentstehung: Stimmlippenschwingungen bei Kindern und Jugendlichen“ erklärte Michael Fuchs, Leiter der Sektion für Phoniatrie und Audiologie der Universitätsklinik Leipzig und Moderator des Symposiums, warum die Kinderstimme noch nicht so belastbar ist, wie die Erwachsenenstimme. So differenziert sich das Innere der Stimmlippen erst bei der Mutation vollständig aus. Die Randkantenbeweglichkeit ist bei Kindern und Jugendlichen also noch nicht komplett ausgebildet. Beeindruckend war auch die Kalkulation, die Fuchs zu Beginn des Kongresses anstellte. Pro Schwingung bewegt sich das „männliche“ Stimmband um etwa 6mm. Wenn man die Strecke der Stimmbänder eines männlichen Stimmnutzers nun auf die Lebenszeit von 80 Jahren hochrechnet, beläuft sich diese auf 192.400 Kilometer. Das entspricht einer knapp fünffachen Erdumrundung. Die Stimmbänder der Frauen müssten demnach mindes-tens zehnmal um die Erde laufen, weil ihre Schwingungsfrequenz doppelt so hoch ist, sie eine höhere Lebenserwartung haben, häufiger in Chören anzutreffen sind, also überwiegend mehr singen und natürlich, wie Untersuchungen zeigen, auch mehr reden. Dem ist aber nicht so. Durch die höhere Sprechstimmlage sind die weiblichen Stimmlippen stärker gespannt und dadurch wird deren Amplitude deutlich kleiner. Bei vorsichtiger Schätzung sollten sich die Effekte etwa aufheben.

Interesse am populären Gesang wird größer

Es folgten weitere Vorträge von Eckard Altenmüller („Singen als Bewegungskunst: Zur Neurobiologie stimmlichen Lernens und sängerischen Ausdrucks“), von Michael Knoll („Körperwahrnehmung, Körperbild, Körperschemastörung“), Stephan Sallat („Singen und Bewegung hilft – aber nicht immer. Musikverarbeitung bei Kindern mit Sprach-entwicklungsstörungen“) und „Die Didaktik des populären Gesangs“ von Sascha Wienhausen. Bereits bei den vergangenen Symposien wurde dem Aspekt des Populargesangs immer ein fester Platz eingeräumt. Bisher war es allerdings für die „Popsänger“ schwer, sich gegenüber den Klassikern zu behaupten. Dieses Jahr hat der sehr gelungene Vortrag von Sascha Wienhausen zur Didaktik des Popgesangs in Kombination mit einem professionellen Musical-Auftritt der überwiegend stimmlich überzeugenden und beeindruckend choreografierten Jugendlichen der Musical Akademie für Teens (MAT) unter der Leitung von John Lehman das Eis einiger Klassiker zum Schmelzen gebracht und für deutlich mehr Akzeptanz gesorgt. Und das ist das Wertvolle und Besondere an diesem interdisziplinären Symposium. Hier treffen sich jährlich die der menschlichen Stimme zugewandten Experten zum gemeinsamen und partnerschaftlichen Austausch und widmen sich einem besonderen Aspekt der Kinder- und Jugendstimme. Im kommenden Jahr findet das Symposium vom 24. bis 26.
Februar unter dem Thema „Kooperation zwischen Stimmforschung und -praxis“ statt.

Heike Henning

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