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Editorial

Nun ist es also da, das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Honorierung der Chorsoli in „Idomeneo“ und der Soli in „Leben in unserer Zeit“. Dass das Urteil im konkreten Einzelfall für die Künstler negativ ausgefallen ist, dürfte sich herumgesprochen haben und soll hier nicht weiter kommentiert werden.

  Tobias Könemann  

Tobias Könemann

 

Von weitreichender Bedeutung ist jedoch die Frage, ob das Urteil – genauer gesagt, dessen Begründung – neue Antworten auf die allgemeinen Abgrenzungsfragen zu solistischen Leistungen von Chormitgliedern gebracht hat, ein Thema, das ständig zu zermürbenden Auseinandersetzungen zwischen Künstlern und Finanzverantwortlichen führt. Um es vorwegzunehmen: Es bleibt sie schuldig. Das BAG drückt sich mit fadenscheinigen Begründungen um eine eigene Wertung und begnügt sich im Ergebnis mit der Feststellung, die Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts (BOSchG), bei den bis zu 50 Takte langen Solopassagen handle es sich um „kurze solistische Gesangsleistungen“ im Sinne des NV Bühne, sei nicht zu beanstanden. Dabei wird implizit die Auffassung des zahlungsunwilligen Arbeitgebers und des BOSchG als ebenso rechtsfehlerfrei dargestellt wie die der klagenden Arbeitnehmer und des BSchG – fauler kann man sich kaum aus der Affäre ziehen; im Hinterkopf klingelt irgendwo der Begriff „Rechtsverweigerung“.

Die juristische Herleitung des Ergebnisses mag in großen Teilen handwerklich sauber sein; ihre Analyse soll aber an anderer Stelle erfolgen. Bemerkens- und kommentierenswert ist allerdings, dass die Entscheidung wesentlich auf das Grundrecht der Kunstfreiheit gestützt wird, die einen „eigengesetzlichen Freiraum“ beinhalte, der staatlichen Einfluss, also auch den staatlicher Gerichte wie des BAG u. a. bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe – wie dem der „kurzen solistischen Gesangsleistung“ oder der „kleineren Rolle oder Partie“ – weitgehend ausschließe.

Das klingt theoretisch gut, aber kann die Kunstfreiheit es gebieten, Künstlern Teile ihrer Gage vorzuenthalten? Ist denn ein Bühnenoberschiedsgericht eher Träger der Kunstfreiheit als eben diese Künstler? Schützt eine solche Argumentation hier nicht vor allem diejenigen Finanzverantwortlichen, die die Mittel für die professionelle Kunst immer weiter herunterfahren wollen, vor der Forderung der Kunstschaffenden, aus ihrer Tätigkeit auch ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können? Richtet sich diese Deutung nicht letztlich gegen ihr Schutzgut – die Kunst?

Natürlich braucht die Kunst regelungsfreie Räume, nämlich da, wo es um ihr Entstehen geht. Und in einem so komplexen Geflecht des Entstehens von Kunst wie einem Theaterbetrieb muss sich dies im Einzelfall auch im Interesse des Ganzen gegen den einzelnen beteiligten Künstler richten können, etwa wenn es um Art und Umfang seiner Mitwirkungspflicht geht. Unter dem Aspekt der Vergütung der künstlerischen Leistung aber fordert der Grundrechtsschutz, sofern er hier überhaupt greift, allenfalls eine Begrenzung nach unten, wie es sie im Urheberrecht seit jeher gibt; eine Begrenzung nach oben jedoch ist – jedenfalls unter Berufung auf die Kunstfreiheit – schlichtweg absurd.

Richtig ist, dass allgemeine Gerichte in künstlerischen Fragen Vorsicht walten lassen sollten, einfach weil sie gar nicht über die notwendige Sachkunde verfügen können (Ob im konkreten Fall das BAG Takte mit zu singenden Tönen verwechselt hat, wenn es unterstellt, 50 Takte seien in demselben Sinne „kurz“ wie in der früheren Regelung des NV Chor 5 Worte, wird nicht zu klären sein.). Aus diesem Grunde haben die Tarifparteien des NV Bühne ja gerade die Bühnenschiedsgerichtsbarkeit vorgeschaltet, die den Löwenanteil der Streitfälle pragmatisch einer sachnahen Entscheidung zuführt. Ist jedoch wie hier eine vorwiegend juristische Grundsatzfrage aufgeworfen, so haben die Parteien gerade in einer Revisionsinstanz einen Anspruch auf vertiefte sachliche Befassung.

Schon zeichnet sich ab, dass Arbeitgeber, möglicherweise ermuntert vom Deutschen Bühnenverein, das Urteil zum Vorwand nehmen, die gesonderte Honorierung solistischer Leistungen von Chormitgliedern gänzlich einzustellen und damit das fragile Gleichgewicht eines ohnehin von teilweise zwanghaften Kompromissen geprägten Vergütungssystems zu gefährden. Sollte es wirklich dazu kommen, wäre ein massiver Tarifkonflikt vorprogrammiert. Und dabei könnten dann sehr grundsätzliche Erwägungen eine Rolle spielen wie etwa der Ersatz des unsinnigen, streitträchtigen und verwaltungsaufwendigen Systems der Zusatzvergütungen durch eine angemessene Grundvergütung, die alle zu erbringenden Leistungen einschließt – so würde Kunstfreiheit sowohl der Theater als auch der in ihnen arbeitenden Künstler gewährleistet!

Tobias Könemann

 

 

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