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Oper wider die Sklaverei
„Der Sklave“ am Stadttheater Gießen · Von Andreas
Hauff
Eine brasilianische Oper über das Thema „Sklaverei“,
uraufgeführt 1889 in Rio de Janeiro– die hätte
doch auf den Bühnen zünden können nach der europäischen
Erstaufführung 1977 in Bern! Tatsächlich dauerte es bis
zur deutschen Erstaufführung von „Lo Schiavo“ am
Stadttheater Gießen noch einmal 34 Jahre. Nach der Premiere
ahnt man auch, warum: Das Werk und sein Komponist Antônio
Carlos Gomes (1836-1896) passen nicht so recht in die Schubladen.
Gomes lebte von 1863 bis 1880 in Italien und wurde dort zum erfolgreichen
Opernkomponisten. Auch „Lo Schiavo“ (Der Sklave) ist
eine italienische Oper, stilistisch auf dem Weg von Verdi zum Verismo,
nicht ohne französische Einflüsse aus Grand Opéra
und Opéra comique, aber in diesem Rahmen durchaus originell.
Authentisch brasilianisch aber ist keine Note, auch wenn die Sphäre
der Eingeborenen mitunter durch Bordune oder Pentatonik charakterisiert
wird. Erstaunlich oder gar verwerflich ist das nicht. Italienische
Oper war damals so international wie angloamerikanische Popmusik
heute. Für Ethnologie und Dritte-Welt-Romantik aber bleibt
hier musikalisch nichts zu entdecken.
Der Inhalt der Oper allerdings hebt sich ab von der Konvention.
Antônio Carlos Gomes und der mit ihm befreundete Schriftsteller
Alfredo Visconde de Taunay d’Escragnolle entwarfen das Werk
als Beitrag im Kampf gegen die damals in Brasilien noch legale
und durchaus übliche Sklaverei. Als „Lo Schiavo“ dann
nach sechs Jahren Arbeit 1889 endlich auf die Bühne kam, war
der Kampf im Prinzip schon gewonnen, die Sklaverei seit 1888 verboten.
Dennoch wurde die Oper begeistert aufgenommen und fand schnell
Eingang ins brasilianische Repertoire. Sie zeigt, dass mit der
Freilassung der Sklaven die Probleme eben ganz und gar nicht enden.
Schon die Personenkonstellation ist ungewöhnlich. Der negativen
Figur des Sklavenhalters in der Person des portugiesischen Grafen
Rodrigo (Stephan Bootz) steht als eigentlicher Held des Stückes
der Sklave Iberè gegenüber: In seiner Rolle als ehemaliger
Häuptling der Tamojo-Indianer, durch Mut und Tapferkeit entspricht
er zwar dem Typus des „Edlen Wilden“, doch hat er Glück
weder im Kampf noch in der Liebe. Dazwischen stehen zwei zwiespältige
Figuren: Zum einen Americo (Adrian Xhema), Rodrigos Sohn, der philanthropische
Ideen pflegt und Iberè vor den brutalen Übergriffen
des Sklavenaufsehers bewahrt – wofür Iberè ihm
ewige Treue und Dankbarkeit schwört. Zum andern die Sklavin
Ilàra, mit der Americo ein heimliches Liebesverhältnis
hat.
Ilàras Seele sei vergiftet, meint Iberè später
und sieht in ihrer Liebe zu Americo die Unterwerfung unter die
portugiesischen Besatzer. Iberè und Ilàra werden
durch Rodrigo zwangsverheiratet und an eine französische Gräfin
(Carla Maffioletti) verkauft, die sich wenig später allerdings
entscheidet, ihre Sklaven allesamt freizulassen. Unter diesen entdeckt
Americo das verheiratete Paar und verflucht die beiden. Für
den erneuten Kampf gegen die Portugiesen wählen die Tamojo
Iberè wiederum zum Anführer. „Ich bin nur ein
wie ein König gekleidetes Gespenst“, beschreibt er sein
Gefühl danach. Der Aufstand scheitert, Americo allerdings
fällt in die Hände der Aufständischen. Nach einer
leidenschaftlichen Auseinandersetzung lässt Iberè großzügig
Americo und Ilàra entkommen. Vor den aufgebrachten Kampfgefährten
gibt er sich selbst den Tod. „Sie werden nur einen kleinen
nackten König finden“, ist sein wenig heroisches, aber
ehrliches Fazit. Was eine subtile Studie über die psychischen Deformationen
von Unterdrückern und Unterdrückten hätte werden
können, wird von Regisseur Joachim Rathke und Bühnenbildner
Bernhard Niechotz ins Plakative vergröbert. Die Sklaverei
von damals finde ihre Fortsetzung in heute bestehenden Ausbeutungsverhältnissen,
ist die gut gemeinte Begründung. Und so schuften die Sklaven
statt auf einer Zuckerrohrplantage in einer Fabrik mit integriertem
Madonnenaltar, und Iberè und Ilàra hausen im Abflussrohr
eines städtischen Slums statt im Urwald. Die aufständischen
Indianer werden zu Stadtguerilleros, die französische Gräfin
zu einem dekadenten Paris-Hilton-Verschnitt. Wenn sie sich zur
Freilassung der Sklaven als Rosenblätter streuende Muttergottes
inszeniert, reduziert das Regieteam ein wichtiges politisches Signal
auf bloße Selbstdarstellung. Eher plump muten in dieser Szene
die munteren Einlagen einer Sambagruppe an. Unfreiwillig komisch
wirkt der engagiert und klangmächtig singende Chor (mit Extrachor),
wenn er im ersten Akt immer wieder per Hebebühne herauf- und
hinuntergekarrt wird. Relativ grobschlächtig erscheinen auch
viele Darsteller. Virginia Todisco singt zu laut und agiert zu
hart, als dass man ihr Ilàras Verletzlichkeit abnehmen könnte.
Umso eindringlicher verleiht Adrian Gans dem unglücklichen
Iberè Ausstrahlung und Würde. Unter GMD Carlos Spierer
entfaltet das Philharmonische Orchester Gießen eindringlich
die Kantilenen, aber auch die farbige Instrumentation der Partitur.
Die kleineren, impulsiven Klanggesten dagegen fügen sich weder
im Orchestergraben noch auf der Bühne zu einem Spannungsbogen.
Andreas Hauff
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