Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
So können wir nicht weitermachen
Robert Conn und die „Augsburger Verhältnisse“
Was tun gegen Brummer?
Fachtagung „Singen mit Kindern“ in Hamburg
Interdisziplinärer Austausch
Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme
In Deutschland angekommen
Über die Entwicklung des Genres Musical

Portrait
Von morgens bis abends im Theater
Brigitte Fassbaender im Porträt
Einzigartige Erfolgsgeschichte
Stuttgarter Ballett feierte 50-jähriges Bestehen

Berichte
Abrechnung mit der Romantik
Mauricio Kagels „Aus Deutschland“ in Freiburg
Oper wider die Sklaverei
„Der Sklave“ am Stadttheater Gießen
Kunst und Choreografie
Die Ausstellung „Move“ im Münchner Haus der Kunst


Tanzkunst dokumentarisch und fiktiv
Drei aktuelle Tanz-Filme in den Kinos

VdO-Nachrichten
Nachrichten
GVL-Meldesystem: Immer noch ungelöste Probleme – Beitragssätze: Beitragsbemessungs-grenzen im Jahr 2011 – Aktionstag für kulturelle Vielfalt und gegen Kulturabbau am 21. Mai 2011 – Tarifeinigung für den Öffentlichen Dienst der Länder (Tarifbereich TV-L) – Bundesdelegierten- konferenz in Berlin – VdO-intern: Der Mitgliederbereich der VdO – Wir gratulieren

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Stellenmarkt
Spielpläne 2010/2011
Festspielvorschau (pdf)

 

Berichte

Abrechnung mit der Romantik

Mauricio Kagels „Aus Deutschland“ in Freiburg · Von Frieder Reininghaus

Mauricio Kagels Liederoper „Aus Deutschland“, uraufgeführt 1981 an der Deutschen Oper Berlin, eröffnet nicht nur den Erinnerungen an den Weimarer Dichter und Geheimen Rat Goethe Auftrittsmöglichkeiten, sondern auch dem sexuell frustrierten Komponisten Franz Schubert („Du holde Kunst“) oder Heinrich Heines „Zwei Grenadieren“ und der blond-weiblichen „Dichterliebe“ („Ich grolle nicht“). Adelbert von Chamissos „Kartenlegerin“ konkurriert mit Friedrich Hölderlins „Hyperion“ und noch einigen weiteren Figuren aus der Tiefe des deutsch-österreichischen Bildungsraums. Carl Loewes „Edward“ demonstriert, in wie hohem Maß die Balladen des 19. Jahrhunderts allemal Opern im Kleinformat waren. Die historischen Lieder erscheinen in Kagels Opus allerdings konsequent ohne die „Original“-Musik, da es ihm vor dreißig Jahren um die kritische und ironische Reflexion der Klavierlied-Tradition ging. Der 2008 gestorbene, 1931 in Buenos Aires geborene Kölner Komponist lieferte eine Art „Radierarbeit“, wie sie immer wieder auch in der Bildenden Kunst vorkam: die Reproduktionen von Teilen „klassischer“ Werke wurden unsichtbar (in diesem Fall: unhörbar) gemacht und zum Ausgleich mit neuen „Schichten“ überlagert.

 
Jana Havranová (Sängerin, Die Musik). Foto: Maurice Korbel
 

Jana Havranová (Sängerin, Die Musik). Foto: Maurice Korbel

 

Rebecca Ringst hat sechs Fachwerkhäuschen auf die Bühne des Freiburger Theaters bauen sowie mit Girlanden von Glühbirnen versehen lassen. So wird winterliche Idylle im mittelalterlichen Kern von süddeutschen Kleinstädten illuminiert. Wilhelm Müllers Leiermann, unsterblich geworden durch Schuberts „Winterreise“, setzen die ausgiebig heulenden Hunde zu. Schwarzwaldmädel gehen auf den Balkonen in Stellung als Drohung und Verheißung zugleich. Irgendwie also wird auch jetzt im Breisgau „Romantik“ verhandelt und verschandelt. Bald auch das Ende der grotesk konservierten „besseren“, aber leider längst vergangenen Zeiten. Goethes Ruh’ ist hör- und sichtbar dahin. Neal Schwantes, der Darsteller des erotisch aktiven Dichterfürsten, schlägt in einem Anfall von Jähzorn ein paar Füllungen aus den Fachwerkrahmen. Und der verhaltensgestörte Edward aus der Loewe-Ballade massakriert seine Mutter. Gabriel Urrutia, der sich auch als Grenadier auf den Russlandfeldzügen Napoleons und der deutschen Wehrmacht bewährt, erledigt das, indem er sie mit dem unhandlich großen Schwert melodramatisch vom Unterleib her aufschlitzt.

Mit feinsinniger Erörterung der Historizität des Klavierlieds und neuerlichem Vermessen einer imposanten Klavierlandschaft hat Calixto Bieito nichts im Sinn. Er nutzt die kleingliedrige Szenenfolge für ein grell aufgemöbeltes Lustspiel, das blutig endet. Zum Kernbegriff Deutschland fällt dem katalanischen Regisseur außer der Kostümierung des Musikantenstadels nur ein kometenhaft aufsteigender und höllisch abstürzender Politiker ein, der als Parodie von Chaplins großem Diktator Hinkel grüßt und grüßen lässt. Auch ein Dutzend Gartenzwerge erhebt die rechten Arme zum Hinkelgruß. Einen trifft der Hammer von Leandra Overmann, die als Moderatorin durch die Show führt.

Fabrice Bollon sorgt für eine präzise Realisation der Klavierkammermusik im Graben und die Koordination mit dem (weniger auf Wohlklang als auf Charakterisierung grotesker Partien hin angelegten) Singen auf der Bühne. Im großen Interludium „Verzweiflung“ zeigt die Auswahl aus dem Philharmonischen Orchester Freiburg, wie sehr sie sich zuvor zurücknehmen musste und konnte. Chorsänger leisten als de-facto-Solisten auch einen erheblichen Beitrag zum quirligen Spiel. Die Faktur der Musik kommt in einem relativ kleinen Haus wie dem an der Bertoldstraße vorteilhafter zur Wirkung als in so großen Hallen wie der Deutschen Oper Berlin. Zumal, wenn der Zuschauerraum offensiv als Klangraum genutzt wird. Die Nacht- und Todesverbundenheit der deutschen literarischen und musikalischen Romantik, die Kagels Liederoper beschwor und mit neu formatiertem Kammerton versah, wird von Bieito in eine von Xavier Sabata exzessiv gestaltete Schreiorgie der Mignon überführt. Das „Nur wer die Sehnsucht kennt, fühlt, was ich leide“ – Goethes großer Seufzer führt nicht zu stiller Introvertiertheit, nobler Stille und Leere, sondern zur Explosion. Bieitos grelle Episodenfolge, in der die jeweiligen Akteure allemal einfach nur „dran sind“, mündet mit einer gewissen Konsequenz im Amoklauf von Freiburg: Leandra Overmann erschießt alle – zu den Titeln bekannter und vergessener, fortdauernd „gesund-morbider“ und „vergifteter“ Schubert-Lieder: „Leichenphantasie“ und „Freiwilliges Versinken“, „Letzte Hoffnung“ und „Erstarrung“.

Frieder Reininghaus

 


startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner