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Kunst und Choreografie
Die Ausstellung „Move“ im Münchner Haus der Kunst · Von
Malve Gradinger
Das Mit- und Ineinander von Bildender Kunst und Tanz ist in der
Postmoderne auch einem breiten Publikum aus Performances und Installationen
vertraut. Aber wann und wo waren die Anfänge? Und was war,
was ist die Motivation von Choreografen, Performance-Künstlern,
Malern und Bildhauern, sich jeweils der „fremden“ Kunst
zuzuwenden, im anderen Genre Verwandtschaft und Inspiration zu
suchen? Antworten kann man in der von Stephanie Rosenthal für
die Londoner Hayward Gallery kuratierten Ausstellung „Move – Kunst
und Tanz seit den 60ern“ finden. Bis zum 8. Mai ist diese
Schau mit 50 Arbeiten von 25 Künstlern im Münchner Haus
der Kunst zu sehen (Anpassung durch Kuratorin Julienne Lorz), vom
19. Juli bis 25. September in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.
Den Besucher empfängt ein imposanter weißer Triumphbogen
(2010) – für den Schöpfer Pablo Bronstein ein Symbol
für Architektur ganz allgemein. Architektur, so Bronstein,
lenkt unsere Wege – man könnte sagen: choreografiert
den Menschen (was auch der Original-Expo-Titel „Move – Choreographing
You“ ausdrücken möchte). Zu Barock-Musik wird das
pompöse Kunstbauwerk von einer Tänzerin umtanzt. Die
Bewegung, so die Absicht auch der anderen ausgestellten Künstler,
soll den Objektcharakter des Kunstwerks aufheben und damit neue
Form- und Assoziationsmöglichkeiten schaffen. Auch in den
anderen Sälen sieht man Tänzer in Aktion: sie balancieren
zu zweit, zu dritt auf Robert Morris quadratischer Wippe (1971/2010).
In Mike Kelleys bunt möbliertem „Test Room“ (1999/2010)
hüpfen und turnen sie, dabei auch laut redend, auf und um
diverse Skulpturen und Sitzgelegenheiten herum.
Die ersten Arbeiten in dieser Richtung gingen in den 1960er-Jahren
aus der experimentierenden New Yorker Judson-Church-Gruppe hervor.
Von dem kodifizierten Dance-Vokabular einer Martha Graham fühlten
sich diese jüngeren Tanzschöpfer eingeengt, suchten nach
neuen Formen. Man verließ den geschlossenen Theaterraum,
tanzte auf Plätzen, auf Hochhausdächern, in Telefonzellen.
Die neuen Räumlichkeiten, bewusst eingesetzte hindernde Objekte – wie
Gerüste, Netze, auf dem Boden verteilte Kochtöpfe (so
in „The Stream“ von 1970 der großen Postmodernen
Trisha Brown) – sollten den Körper herausfordern, neue
Bewegungen zu finden. Man arbeitete mit Zufalls-Methoden, wie sie
schon John Cage in seiner Musik anwandte. Und mit einfachen Alltagsbewegungen.
In dem Maße, in dem die Grenze zwischen Kunst und Leben verschwand,
wurde auch der Nicht-Tänzer, der Zuschauer einbezogen.
Gemeinsame Themen In dieser Ausstellung nun soll der Besucher selbst physische
Erfahrungen machen. Man kann sich bei eingezogenem Bauch mit Seitwärts-Schrittchen
durch den neonlichtgrünen Schmalst-Korridor (1970) des Künstlers
Bruce Nauman zwängen. Oder sich bei „The Fact of Matter“ (2009)
von Choreograf William Forsythe an Bändern und Turnringen
affenbehende durch den Raum schwingen. Auch die biomorphen, in
Rundungen und Schleifen verschlungenen „Paßstücke“ aus
den Jahren 2004 bis 2010 des österreichischen Bildhauers Franz
West aus Gips, Holz oder gefundenen Materialien werden bewegt von
Akteuren. Für West erhält das geschaffene Objekt erst
im Angefasst-, im Bewegtwerden, also in der Interaktion mit dem
Betrachter seine eigentliche Bedeutung. Wests Werkverständnis
weist zurück auf den ihn beeinflussenden US-Künstler
Allan Kaprow, der sich ab 1958 auf Happenings spezialisierte. Kaprow
(dessen 18 Happenings in 6 Parts von 1959 übrigens bei Dance
2006 im Münchner Haus der Kunst rekonstruiert wurden) bezeichnete
sich als Un- oder Nicht-Künstler und forderte prinzipiell
eine aktive/mitmachende Teilnahme an seinen Arbeiten.
Bei den zuletzt genannten Beispielen von Nauman, Forsythe und
West gehen tatsächlich bildnerische und choreografische Ideen und
Schaffensweisen gleitend ineinander über. Genau das war Stephanie
Rosenthals Anliegen, „zu gucken: wo gibt es bei Choreografen
und Bildenden Künstlern gemeinsame Interessen, gemeinsame
Themen: nicht zwingend, indem sie miteinander arbeiten, aber sicherlich
zwingend, indem sie miteinander sprechen“. Enge Zusammenarbeiten
hatte es ja gegeben (was auch ein mögliches Ausstellungssujet
gewesen wäre): Robert Rauschenberg, Donald Judd, Sol LeWitt
und andere Bildende Künstler entwarfen schon ab Ende der 50er-Jahre
für die Choreografien unter anderen von Merce Cunningham,
Trisha Brown und Lucinda Childs Bühne und Kostüme – nicht
als „Ausstattung“, sondern als gleichberechtigen künstlerischen
Teil der Produktion.
Darüber hinaus hat man sich aber auch intensivst ausgetauscht,
wie die eigens angereiste 75-jährige Choreografin und Performance-Künstlerin
Simone Forti bestätigt: „In New York um 1960 haben sich
Künstler, Maler, Musiker, Dichter und Tänzer oft gesellig
getroffen. Wir haben darüber geredet, was Kunst sein könnte, über
das Verhältnis zum Publikum, zu Objekten, zur Zeit. Auch wenn
wir mit verschiedenen Materialien gearbeitet haben, war es ganz
natürlich, dass wir ähnliche Konzepte diskutierten.“ Forti
hatte mit ihrem Ehemann, dem Bildenden Künstler Robert Morris,
bereits in den 50er-Jahren an Workshops der Dance-Happening-Pionierin
Anna Halprin teilgenommen, die in Kalifornien Musiker, Maler, Tänzer,
Tanzlehrer und Architekten um sich versammelte. In New York war
es dann Forti, die zusammen mit einigen anderen Judson-Church-Mitgliedern
dieser neuen wechselseitigen Grenzüberschreitung zwischen
Kunst und Tanz mit die wichtigsten Impulse gab. In der Ausstellung
ist sie mit mehreren Arbeiten vertreten.
Wer sich Zeit nimmt, auch für das kompakte Video-Archiv, und
den informativen Katalog in Muße durchstudiert, kann eine
ganze Menge lernen über den Austausch zwischen Bildenden Künstlern
und Choreografen. Der wissenschaftlich nicht ganz so tief schürfende
Ausstellungsbesucher wird wahrscheinlich eine gewisse Sinnlichkeit
vermissen. Die von hiesigen jungen Tanzstudenten nachgestellten
Bewegungssequenzen wirken aufgesetzt. Und im Museum zu zeigen,
was einst neugierige Suche, was prozesshafte Avantgarde war oder
auch, wie sie heute fortgeschrieben wird, das wirkt nolens volens
doch – museal.
Katalog, nur in englischer Sprache, 32,- Euro.
Malve Gradinger
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