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Zwischen Aufsässigkeit und Anpassung
Ralph Benatzky zum 50. Todestag · Von Fritz Hennenberg Vor 50 Jahren starb in Zürich der Operetten- und Chanson-Komponist
Ralph Benatzky. Als Komponist des „Weißen Rössl“ hat
er sich unvergesslich in die Operetten-Geschichte eingeschrieben.
Dass er ein vielseitiger Komponist war – mit einer schwierigen
Geschichte in schwieriger Zeit – wissen die wenigsten. Fritz
Hennenberg hat einen Blick auf Leben und Werk des Künstlers
geworfen.
Was wird bleiben?
Kann bei der „leichten Muse“ überhaupt so hochgestochen
gefragt werden? Immerhin wird hier von „Evergreens“ gesprochen!
Das musikalische Pantheon als für die Klassik gepachtet anzusehen,
ist arrogant. Auch die musikalische Unterhaltung hat ihre Qualitäten.
Sogar Adorno rang sich zu dem Paradoxon von der „guten schlechten
Musik“ durch!
Ralph Benatzky, Musiker und Poet in einer Person, hat verwandlungsfähig
und ideenreich die musikalische Unterhaltung aufgemischt. Vom witzigen
Chanson herkommend, wurde er zu einem Vorboten des Musicals. In
seinen kritischen Gesellschaftskomödien haben die Grafen und
Barone ausgedient; der kleine Mann wird zum Bühnenhelden,
und er gibt sich gar nicht heldisch, eher schüchtern. Die
Frauen nehmen – ebenfalls ein Zeichen der Zeit! – das
Heft in die Hand. Parallel dazu der neue Zuschnitt der Partituren:
weg vom schwerfälligen klassischen Orchester – hin zur „Band“,
auch mit Jazzinstrumenten.
Aber Benatzky wird rückfällig. Zu zäh lastet die
Tradition und zu stark brennt der Ehrgeiz, mit den Großen
seines Fachs gleichzuziehen. So versucht er es 1929 mit einem Ballett
für die Staatsoper Berlin und 1940 mit einer Oper für
Basel – und scheitert beide Male eklatant. Auch will er in
den 30er-Jahren eine Wiederholung des Triumphs seines „Weißen
Rössls“ erzwingen, mit einer Revue-Operette, exakt nach
den gleichen Maßen geschneidert, nur statt des Sommers in
die Winterszeit verlegt, und landet damit ebenfalls einen Flop.
Im Singspiel glaubt er eine Marktlücke entdecken zu können
und versinkt damit doch nur in dem Kitsch von vorgestern. Es passt
ins Bild, dass er gar nicht auf seine „Schlager“ stolz
ist, sondern auf die „durchkomponierten“ Akte!
Es bleibt genug, was ihm Interesse sichert über den Tag hinaus.
Auch weniger Bekanntes, gar Vergessenes sollte überprüft
werden: Nur wenige haben sich so wie er auf die schwierige, fallenreiche
Kunst der Unterhaltung verstanden. Hier und da sind dazu Ansätze
gemacht worden, auch an Provinztheatern wie jüngst in Nordhausen
mit den exzellenten „Drei Musketieren“.
Auch ein anderes Arbeitsgebiet rückt zunehmend ins Blickfeld.
Ralph Benatzky hat sein Leben, die Höhen wie die Tiefen, über
Jahrzehnte in Tagebüchern protokolliert: ein Opus, das gleichberechtigt
neben seinen Bühnenwerken und Chansons steht. Es gibt wohl
kaum jemanden, der so scharfsinnig hinter die Kulissen schaut und
gleichzeitig so schonungslos sich selbst porträtiert hat.
Nicht nur die Einsichten, auch die Irrtümer machen diese Papiere
so fesselnd: Sie schildern ein Künstlerleben in allen seinen
Hoffnungen, auch Verstiegenheiten. Eben darin, dass nirgends Schminke
aufgetragen ist, liegt der Wert. Die Wahrheit offenbart sich in
einer radikalen Selbstentblößung. Benatzky hat hier
Zeitgeschichte geschrieben und zugleich ein psychologisches Protokoll
sui generis verfasst. Verflixte Politik
Der Lehrersohn aus Mährisch-Budwitz, geboren 1884, soll Offizier
werden, doch hat er gar nichts fürs Soldatentum übrig
und büxt zu Auftritten als Alleinunterhalter in der Umgebung
der Garnison aus. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, versteht er
sich zu drücken, was ihn aber nicht davon abhält, gleich
anderen seiner Kollegen, eingeschlossen Lehár und Kálmán,
hurrapatriotische Ergüsse abzuliefern. Auch legt er das sentimentale
Chanson „Draußen in Schönbrunn“ seinem Kaiser
zu Füßen; ironischerweise wurde es Jahrzehnte später
für sein „Weißes Rössl“ reaktiviert,
hier nun tatsächlich dem Kaiser in den Mund gelegt, aber von
strammem Patriotismus gesäubert. Wie er über den Kaiser
tatsächlich dachte, hat er in sarkastischen „Randbemerkungen
eines ehemaligen Monarchisten zur österreichischen Volkshymne“ formuliert: „Gott
beschütze – dass der Tepp wiederkommt“!
Es gehört zum Wesen des Chansons, gegen Prüderie und
Bigotterie zu sticheln und es den Mächtigen zu zeigen. In „Die
Hosen der Jungfrau von Orléans“ lötet ein sittenstrenger
Klempnermeister die Tochter in Blech ein, um ihre Jungfräulichkeit
zu bewahren. „Piefke in Paris“ wird mit einer Parodie
des „Deutschlandlieds“ durch den Kakao gezogen. „Was
will Majestät mit dem Jungen“, zur Kriegszeit entstanden,
empört sich über das Abschlachten der Jugend auf kaiserlichen
Ratschluss hin. Für sein Friedenslied „Hunderttausend
Kinderhände“, das den Anstoß zum Grabmal des Unbekannten
Soldaten am Arc de Triomphe gegeben haben soll, wird Benatzky 1936
zum Ritter der französischen Ehrenlegion geschlagen.
Zeitig bemerkt er den Nazi-Bazillus und macht sich schon im Juni
1924 über das „hakenkreuzlerische Leben“ auf der
ostfriesischen Insel Borkum lustig: „Urgermanen mit Wampe
und Nackenspeck, mit rückwärts rasiertem und oben hahnenkammartig
durch eine Scheitelfrisur gekrönten Schädel, langbeinige,
hängebusige Germaninnen, arisch-arrogant oder hühnerhaft,
provinzlerisch-gackernd...“ Der Wahlsieg der Nazis 1933 kommt
für ihn nicht überraschend; der Nationalsozialist ist
für ihn „in seiner blonden, goischen Präpotenz,
Großschnauzigkeit, arroganten Halbbildung, die auf Schlagworte
fliegt und von ihrer Bedeutung durchdrungen ist ... vielperzentig
der Typus der Piefkeschen Mehrheit“. Doch hängt er der
Illusion nach, dass die Nazis, an die Macht gekommen, 75 Prozent
ihrer Forschheit aufgeben und Kompromisse schließen würden. Über
die Terroraktionen Hitlers gegen den Marxismus und Kommunismus
empörte er sich auf seine Weise und sah sie als den Auftakt
zu Hitlers Untergang an. Im August 1933 zitiert er Heinrich Mann,
für dessen Einakter „Varieté“ er 1910 eine
Bühnenmusik komponiert hatte: Deutschland hole jetzt „seine
Bestien und seine Verrückten hervor“. Als sich 1938
ein neuer Weltkrieg abzeichnete, sah er in Hitler einen „irren
Verbrecher“, der „nie einen Funken von menschenwürdigem
Handeln“ gezeigt habe, „sondern, stets nur die Sturität,
die brutale, viehische, bodenlos bornierte Dreschflegelmanier des
Schlächters“.
Was war die Alternative? Zwar hat Benatzky später mit seinem
Kaiser satirisch abgerechnet, aber 1930 meint er, dass die die
Staatsform der Monarchie der Republik durchaus vorzuziehen sei.
Andererseits hat er, seinem Tagebuch nach, 1921 ein von ihm so
genanntes „Proletarierlied“ komponiert: „Per
aspera!“ Und im Juli 1931 will er sogar – es steht
so im Tagebuch! – bei der Kommunistischen Partei angefragt
haben, ob er Mitglied werden könne. Auf der anderen Seite
Lobsprüche auf Mussolini und den „Ordnungsstaat“,
den dieser in Italien geschaffen habe. Der Kommunismus gilt als
eine „Katastrophe“; doch sei die endgültige „Bolschewisierung“ Europas,
wahrscheinlich der Welt, nicht aufzuhalten. 1940 bezeichnet er
das Nazi-System als „eine Revolution gegen Gott, an dessen
Stelle die Gewalt gesetzt wurde“; diese „Revolution“ habe
kein neues ökonomisches System aufgebaut, sondern sie lebe
nach dem Prinzip: „Der Krieg muss sich durch sich selbst
bezahlt machen.“ Auf Schlingerkurs
Als Benatzky Hitlers erste Auftritte als Reichskanzler verfolgt,
nennt er ihn zwar einen „Phraseur“, zeigt sich aber
von der Rhetorik durchaus beeindruckt. Er fragt sich, wie sich
die neuen Tendenzen „aufs Theater und so“ auswirken
werden.
Die Judenhetze der Nazis sieht er als inszeniert und als „Augenauswischerei“,
als Ablenkungsmanöver an; die mörderischen Folgen scheinen
undenkbar zu sein. Immerhin gerät er als einer der Ersten
ins Visier: Er ist mit einer Jüdin verheiratet, seine Librettisten
sind weitgehend Juden, und umgehend wird auch er zum Juden erklärt.
So bereits im Frühjahr 1933 in der Zeitschrift „Deutsche
Kulturwacht“. Sein Berliner Verleger fordert bei ihm eine
beglaubigte Abschrift des Taufscheins und den Stammbaum an, ansonsten
habe er in Deutschland keine Chance. Ein Dementi wird veröffentlicht;
doch gilt er nunmehr, seiner Mitarbeiter wegen, als „Judensöldling“.
Zwar wird er im Oktober von dem für das Theater zuständigen
Reichskommissar Hans Hinkel als „Arier“ anerkannt;
als aber 1935 „Das musikalische Juden-ABC“ erscheint,
ist er dort aufgenommen.
Bei der Neuauflage wird es richtig gestellt; doch die Verunsicherung
bleibt, und die Angriffe gehen weiter. Der Fall wird an höchste
Stellen getragen, und 1938 beschäftigt sich Goebbels persönlich
damit. Die Untersuchung bestätigt den Ariernachweis, und am
15. Juli notiert Goebbels in seinem Tagebuch, dass Benatzky nunmehr „freigegeben“ sei.
Schon seit 1932 lebt Benatzky in der Schweiz am Thuner See. Da
sein Geburtsort in Mähren liegt, hat er auch einen tschechischen
Pass; mit der deutschen Besetzung 1939 wird dieser wertlos. Er
bemüht sich, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erwerben,
wird dabei aber entnervenden Prozeduren unterzogen. Am 5. April
1940 bricht es aus ihm heraus: „Was für eine Qual, diese
ewigen Gesinnungs-Prüf-Fragen, Beteuerungen, Begutachtungen
an Leib und Seele, ständig über sich ergehen lassen zu
müssen.“ Tatsächlich läuft sich der Vorgang
fest. Ohnehin hat sich Benatzky, aus Sorge, dass die Schweiz von
Hitler besetzt werden könnte und mithin seine jüdische
Frau gefährdet ist, parallel um ein amerikanisches Visum bemüht.
Am 18. Mai bricht er mit ihr nach New York auf. Nichtarisch versippt
Es scheint diese besondere Situation gewesen zu sein – das
Problem der Staatsbürgerschaft in Verbindung mit der ökonomischen
Unsicherheit – die ihn Ende der 30er-Jahre erneut Kontakte
ausgerechnet nach Deutschland anspinnen lässt. In dem Verleger
Hans Sikorski, der die arisierte „Vertriebsstelle und Verlag
deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten“ als
Geschäftsführer übernommen hatte, findet er einen
dubiosen Mentor. Bei einem Besuch am 24. Juli 1937 in der Schweiz
soll ihm Sikorski ohne Verlangen „auf Ehrenwort“ versprochen
haben, seine Bühnenwerke in Deutschland in Zukunft „durchzusetzen“.
Als sich Benatzky weigert, den „Arier“-Fragebogen der
Ufa, der seine Frau einschließen würde, auszufüllen,
befürchtet er Auswirkungen auch auf Sikorskis Aktivitäten,
ihn „als Bühnenautor im 3. Reich zu favorisieren“,
die im Übrigen – so hält er es ausdrücklich
im Tagebuch fest – ohne sein „Dazutun“ oder seine „Initiative“ unternommen
worden seien. Nachdem ihm aber 1938 Goebbels den „Persilschein“ ausgestellt
hat, scheint es anders ausgesehen zu haben. Jedenfalls bringt im
April 1939 ein Besuch von Sikorski, der die „Vertriebsstelle“ zu
einem eigenen „Neuen Theaterverlag“ umfirmierte und
nach Autoren Ausschau hielt, das Ergebnis, dass er sowohl Benatzkys
Oper „Angielina“ als auch sein Singspiel „Landrinette“ übernimmt.
Das Singspiel wird brav eingedeutscht und erhält den Titel „Der
Silberhof“; obwohl es bereits in Bern uraufgeführt worden
war, ist die Premiere am 4. November 1941 am Staatstheater Mainz
abermals als Uraufführung angezeigt.
Benatzky gilt zwar als „nichtarisch versippt“, ist
aber Mitglied der Reichskulturkammer und mit ministeriellen Sondergenehmigungen
tätig. 1937 hat er die Musik zu dem ersten Zarah-Leander-Film
der Ufa „Zu neuen Ufern“ komponiert. Dann wird er wegen
seiner jüdischen Frau ausgebootet.
Ü
berraschenderweise knüpft die Ufa 1939 eine neue Verbindung
zu ihm und bietet ihm einen Film mit Zarah Leander an; seinem Tagebuch
nach hat er die Sache verzögert. 1941 – längst
ist er nach New York emigriert – trifft ein neuer Auftrag
ein, nun gleich für vier Filme. Benatzky schlägt ein;
noch am 20. Mai des folgenden Jahres – seit dem 11. Dezember
1941 stehen Deutschland und die USA im Kriegszustand – depeschiert
ihm sein Schweizer Mittelsmann, dass der Ufa-Vertrag einzuhalten
sei. Am 9. Juli 1942 vermerkt Benatzky im Tagebuch, dass er die
Titel für den Zarah-Leander-Film „rechtzeitig und ordnungsgemäß“ geliefert
habe. Am 3. März 1943 kommt der Ufa-Film „Damals“ in
die Kinos. Für die Musik zeichnet Lothar Brühne; und
doch ist im Vorspann eigens vermerkt, dass Benatzky – der
Emigrant! – ein Chanson beigesteuert hat. Altes Eisen Benatzky fand in den USA weder als Komponist noch als Bühnenautor,
geschweige beim Film, Anschluss und musste weitgehend von seinen
Ersparnissen zehren. Nachdem er 1946 die amerikanische Staatsbürgerschaft
erworben hatte, kehrte er umgehend in die Schweiz zurück.
Aber auch in Europa blieben ihm die Türen versperrt: Die Moden
der Unterhaltungsindustrie sind kurzlebig, und er zählte zum
alten Eisen.
1947 versuchte er es in Zürich mit einem musikalischen Lustspiel
mit dem Titel „Kleinstadtzauber“ nach Gogols „Der
Revisor“ – und erlebte damit ein Fiasko. Als musikalischen
Leiter hatte er Peter Kreuder engagieren lassen, der in den Unterhaltungsfilmen
der Nazizeit Karriere gemacht hatte; als die Sache dann schief
ging, beschuldigte er ihn, gemeinsam mit anderen „Nazis“ Sabotage
verübt zu haben. Es war eine Schutzbehauptung: Das Stück
ist danach nie wieder aufgeführt worden. Benatzky zog sich
vom Theaterleben weitgehend zurück und ist kaum beachtet am
16. Oktober 1957 in Zürich verstorben. Fritz Hennenberg
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