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Alles nur Theater
Purcells „King Arthur“ in Münster · Von
Christian Tepe
Vielen Anhängern des Musiktheaters war der Komponist Henry
Purcell lange nur durch seine einzige echte Oper „Dido und
Aeneas“ bekannt, die Sasha Waltz vor kurzem als ein traumhaftes
Unterwasserballett choreografierte. Neuerdings finden aber auch
seine Semi-Opern in der Tradition der englischen „Masques“ selbst
auf mittleren und kleineren Bühnen starke Beachtung. Die „Masques“ sind
die barocke Vorwegnahme eines Musik, Sprechstück, Maskenspiel
und Tanz zu einer exotischen Kunstwelt komprimierenden Theaterexperiments.
Erfolgreiche Aufführungen von „The Fairy Queen“ in
Oldenburg und Osnabrück oder des „King Arthur“ in
Koblenz erwiesen in jüngster Zeit die Modernität dieser
Gattung. Ihr besonderer Reiz beruht nicht zuletzt auf einer Selbstvergewisserung
des Theaters, das durch die potenzierten Zauberkräfte der
gemeinsam zu Werke gehenden Sparten seine turmhohe Überlegenheit
gegenüber der Multimedia-Spektakelwelt draußen machtvoll
demonstrieren kann. In der „Masque“ ist alles der Magie
des Theaters zu Diensten: die buntscheckigen Verbindungen der Künste
genauso wie das unbekümmerte Zurechtbiegen des Ausgangsstoffes
oder die Irrationalität des Ereignisablaufs.
Mit seinen Zauberern, guten und schlechten Geistern gewinnt zudem
speziell der „King Arthur“ für ein Publikum noch
zusätzliche Attraktivität, das sich wieder sehr für
die Daseinskräfte über und unter dem Menschen zu interessieren
beginnt, die vermeintlich die Geschicke der Erdenbürger mitregieren.
Dass dennoch alles mit einer Prise Ironie gewürzt ist, das
Stück nicht in esoterischen Eskapismus abdriftet, macht es
wiederum auch für abgeklärte Geister verlockend. Am Ende
ist alles eben doch nur Theater. In Münster hat Bühnenbildner
Manfred Kaderk eine Raumgestaltung gefunden, die all diese verschiedenen
Aspekte schlüssig in Übereinstimmung
bringt. Die oft bespöttelte Lampenladenoptik des Münster‘schen
Zuschauerraums findet sich mitsamt einigen Rangelementen auf der
Bühne verdoppelt. In den „falschen“ Sitzreihen
thronen neben richtigen, Zuschauer spielenden Darstellern, leblose
Puppen. Das ermöglicht später, etwa in dem Moment, als
der heidnische Sachsenkönig Oswald vergeblich die Liebe der
allein Arthur zugetanen Emmeline durch ein Theaterstück zu
gewinnen
trachtet und diese dann das Geschehen aufgeregt vom nachgebildeten
Balkon aus verfolgt, ebenso einleuchtende wie anrührende Veranschaulichungen
der barocken Schein-und-Sein-Philosophie. Wobei die hinreißende
Schauspielerin Tina Amon Amonsen als Emmeline ein Übriges
zur Faszinationskraft dieser und anderer Szenen beiträgt.
Doch im Verlauf des langen Abends verebben die regielichen Eingebungen
von Igor Folwill allmählich bis nur noch eine kreuzbiedere
Nacherzählung des Handlungsgerüstes übrigbleibt.
Die große Apotheose des Theaters im Finale gerät gar,
welch eine Enttäuschung, zur völlig humorfreien fernsehreifen
Klamauknummer. Daran dürfte Peter Ruzicka kaum gedacht haben,
als er einmal „King Arthur“ als das erste Musical bezeichnete.
Auch durch das Fehlen der Tänzer verliert die Produktion beträchtlich.
Ein Erzähler (Wendelin Starcke-Brauer), der als Kontaktbrücke
zwischen Bühne und Publikum fungiert, klärt anfangs darüber
auf, wie das Spiel sich erst im Kopf des Zuschauers durch dessen
aktive Fantasiearbeit vervollständige. Damit wird so ganz
im Vorbeigehen der für jede Aufführung unerlässliche
geistige Mitvollzug des Rezipienten zu einer Legitimation fürs
Sparstrumpftheater umgedeutet.
Münster gehört zu den Bühnen, die wie jetzt auch
Bremen, ihr hauseigenes Solistenensemble auf ein Kleinformat heruntergeschrumpft
haben (aktuell sind es in der westfälischen Metropole nur
noch acht Sänger), das kaum erlaubt, größere Produktionen
aus eigener Kraft zu stemmen. Dahinter steht neben ökonomischen Überlegungen
gewiss auch die Absicht, dem Publikum durch die regelmäßige
Verpflichtung attraktiver Gastsänger mehr personelle Vielfalt
auf der Bühne zu bieten. Ein Konzept, das zum Teil auch aufgeht,
denkt man zum Beispiel an die trotz Indisposition beredt singende
und impulsiv spielende Isabel Hindersin als Luftgeist Philidel.
Nur: Die ästhetischen Spätfolgen, die dem deutschen Musiktheater
insgesamt durch den Verlust des Ensembles als der bestmöglichen
praktischen Ausbildungsstätte entstehen, sind dabei nicht
eingerechnet. Jaap ter Linden, ein Exponent der historisch informierten
Aufführungspraxis, gestattet mit den zu Beginn etwas gleichförmig
musizierenden Mitgliedern des Sinfonieorchesters Münster seinen
Sängern viel Eigenverantwortlichkeit. Der von Peter Heinrich
wie stets fundiert vorbereitete Chor nutzt nicht nur den berühmten „Chorus
of Cold People“, um mit einer an Zwischentönen sehr
differenzierten Farbenskala zu brillieren. Christian Tepe
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