|

Regie-Farce um groteske Oper
Ligetis „Le Grand Macabre“ in Bremen · Von Christian
Tepe
Eines muss man Hans-Joachim Frey, dem zum Teil umstrittenen neuen
Bremer Generalintendanten, lassen: mit der Ansetzung von György
Ligetis „Le Grand Macabre“ als Eröffnungspremiere
ist ihm ein strategischer Coup gelungen. Vorderhand lautet die
Botschaft: Das in „Theater Bremen“ umfrisierte Bremer
Theater soll ein Ort künstlerischer Zeitdiagnose bleiben.
Aktualität soll sich auch künftig nicht allein darin
ausdrücken, dass mit Sprechblasen wie „Fundraising und
Events“, „Development“ oder gar „Education“ hantiert
wird, wenn es um die Bezeichnung der neu zugeschnittenen Leitungsfunktionen
geht.
Andererseits ist Freys Team daran interessiert, rasch aus dem
langen Schatten von Klaus Pierwoß und seiner Mannschaft herauszutreten,
deren Arbeit erst dieser Tage nebst der Komischen Oper Berlin mit
dem Prädikat „Opernhaus des Jahres“ geadelt wurde.
Die Messlatte liegt also enorm hoch. Im Bemühen um eine klare
Zäsur setzt die Entscheidung für Ligeti ein deutliches
Zeichen. Durch seine biographischen Erfahrungen als Flüchtling
aus dem kommunistisch beherrschten Ungarn betrachtete Ligeti die
Sympathie vieler westeuropäischer Intellektueller und Künstler
für die politische Linke mit Skepsis: „Ich sah, wie
diese vielen Leute dogmatisch fertige Meinungen übernommen
haben, ohne selbst zu prüfen, was sie bedeuten.“ Als
Ligeti später einmal in eine linksradikale Demonstration geriet,
fiel ihm auf, wie stramm organisiert alles war: „Es gab einen
Einpeitscher mit Trillerpfeife.“ Wer will, kann in der Figur
des gro-ßen Makabren Nekrotzar, dem pathetischen Prediger
des Untergangs einer dekadenten Gesellschaft, sogar etwas von dem
großsprecherischen Sendungsbewusstsein mancher 68er-Protagonisten
entdecken. Jedenfalls ist Ligetis Oper eine eindeutige Stellungnahme
gegen ideologische Gehirnwäschen jeglicher Couleur und deren
Technik, das Leben der Menschen hier und heute durch die Rabulistik
düsterer Zukunftsprophezeiungen zu determinieren. Verstand
sich das Theater von Klaus Pierwoß noch entschieden als ein
von den großen gesellschaftlichen Fragen umgetriebenes, politisch
eingreifendes Denken, so kündigt sich jetzt in Bremen eine
Umorientierung zu einer Art Besinnung auf das „Carpe diem!“ an,
für die Ligeti den Gewährsmann darstellen soll. So weit
die Theorie.
Nun hat es bisweilen den trügerischen Anschein, als sei die
Zeit der Schauspieler auf der großen Bühne des Welttheaters,
wie sich Nekrotzar einmal selbst charakterisiert, ohnehin passé.
Das glaubt auch Regisseurin Tatjana Gürbaca. Als Motto ihrer
Inszenierung könnte ein Satz aus Becketts „Endspiel“ dienen: „Das
Ende ist im Anfang, und doch macht man weiter.“ Der Weltuntergang,
von dem im Stück ständig gefaselt wird, hat in ihrer
Sichtweise schon stattgefunden, bevor es überhaupt losgeht.
Die Sänger halten sich in einer Art Weltraumkapsel oder U-Boot-Blase
auf; eine lediglich ironisch verwendete Bühnenbildmetapher,
wie sich bald herausstellt, denn drinnen und draußen sind
völlig austauschbar. Gezeigt wird die Öde des Lebens
im postheroischen Zeitalter ohne Utopien oder Ideale, wo sich alle
gegenseitig ohne Hoffnung auf ein Ende als Peiniger und Leidtragende
ausgeliefert sind. Eine sinnfällige und zeitgemäße
Auflösung für die zentrale Nekrotzar-Gestalt, die über
die biedere Kreuzung aus einem Intellektuellen mit einem Entertainer
hinausgeht, findet Tatjana Gürbaca in diesem Kontext nicht.
Dabei hat doch das große, zynische Spiel mit der Todesangst
der Menschen, wie es Nekrotzar betreibt, unentwegt Hochkonjunktur.
Man denke nur an die so genannten radikalislamistischen Terrordrohungen
und daran, wie sich die politischen Akteure andernorts diese wiederum
für ihre eigenen Ziele nutzbar machen. Wie wohltuend hätte
der distanzierende Humor György Ligetis an der Einschüchterung
der Menschen durch die heute allgegenwärtige Terrorrhetorik
seine korrodierende Wirkung entfalten können. Tatjana Gürbaca
ist daran gescheitert, da sie aus „Le Grand Macabre“ eine
Oper ohne politische Problemstellung gemacht hat.
Im Gegensatz zur Inszenierung nährt die Musik das Fantasiespiel
fast von ganz allein, so atemberaubend bringen die Bremer Philharmoniker
unter dem neuen ersten Kapellmeister Daniel Montané die
ins Paroxystische ausgreifende Klangartistik mit ihren polymetrischen
Bündelungen und crescendierenden Clustern zu Gehör. Mit
feinnervigem Gespür für die jeweiligen parodistischen
Verkleidungen des Vokalsatzes singt der Chor des Bremer Theaters
um eine Spur intensiver, wacher und energetischer als gewohnt:
ein gelungener Einstand für den von Heidelberg an die Weser
gewechselten Chordirektor Tarmo Vaask. Exzeptionelle Leistungen
der Gesangssolisten machen den musikalisch rundherum geglückten
Premieren-abend perfekt.
Christian Tepe
|