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Ein wildes Flüstern in der Luft
Porträt des faszinierenden Tänzers Lloyd Riggins ·
Von Yvonne Scheller
Frisch und entspannt betritt Lloyd Riggins den Raum, entschuldigt
sich für seine Verspätung – der Ballettmeister Kevin
Hagen habe in der Kantine gerade eine wunderbare Geschichte erzählt
– und lächelt dabei offen und sympathisch in die Runde.
Keine Spur von Arroganz oder Affektiertheit, die erfolgreichen Künstlern
manchmal anhaftet. Gerade diese Natürlichkeit hat ihn die Herzen
des Hamburger Publikums gewinnen lassen. Das, und sein mitreißender
Tanz natürlich, der geprägt ist von Eleganz, Hingabe und
– je nach Rolle – Gefühl, Leidenschaft oder Humor.
Mit sechs Jahren beginnt Riggins zu tanzen, mit 15 tritt er professionell
in der Compagnie seiner Mutter Barbara Riggins auf, mit 17 ist er
Mitglied des Royal Copenhagen Ballett und mit 19 Solotänzer.
Seit 1995 ist er Erster Solist bei John Neumeier in Hamburg. Natürlich
ist er stolz auf seinen Erfolg. Das damit verbundene Interesse an
seiner Person hingegen schätzt er weniger. Er bezeichnet sich
als schüchtern, beobachtet lieber, als sich bei Veranstaltungen
zum Smalltalk unter die Gäste zu mischen. Auf der Bühne,
ja, da liebt er das Rampenlicht. Von da aus unterhält er sein
Publikum gern: „Ich fand es schon immer wunderbar, die Leute
auf diese Weise zu unterhalten. Wenn der Vorhang sich öffnet,
kann man jedes Mal ein Anderer sein, sich immer wieder neu erfinden.
Das hat mich von Anfang an fasziniert.“
Eine echte Familie
Haben bei den letzten Worten seine Augen zu glänzen begonnen,
winkt er ab, als er nach dem Geheimnis seines Erfolges gefragt wird:
„Ich weiß es nicht und ich will meine Geheimnisse auch
gar nicht zu sehr ausloten. Ich weiß, ich liebe es auf der
Bühne zu stehen. Ich glaube an meine Arbeit, an diese Compagnie
und an John Neumeier.“
Und schon ist er wieder da, der Glanz in seinen Augen. Die Arbeit
mit Neumeier und die Zugehörigkeit zu seiner Compagnie –
davon erzählt er gern: „Teil dieser Compagnie zu sein,
ist gleichermaßen Ehre als auch Verantwortung. John legt großen
Wert darauf, wer seine Tänzer sind und was ihre Individualität
und Persönlichkeit ausmacht. Das nutzt er, um seine Choreografien
zu entwickeln. Dabei spielen Vertrauen und Ehrlichkeit eine große
Rolle. Denn um alles geben zu können, muss man offen sein und
dadurch wiederum wird man sehr verletzlich. Wir sind in der glücklichen
Lage, eine ausgesprochen vertrauensvolle Atmosphäre in unserer
Compagnie zu haben. Wir sind eine echte Familie.“
Arbeit im Dialog
Eine Familie mit einem Patriarchen an der Spitze? Früher
einmal vielleicht. John Neumeier hat anlässlich seines 30-jährigen
Ballettjubiläums in diesem Jahr Bilanz gezogen und festgestellt,
geduldiger und gelassener geworden zu sein. Heute ist seine Arbeit
vor allem ein Dialog. Für Vorschläge seitens der Tänzer
sei er stets offen, betont Riggins, die Stücke würden
gemeinsam erarbeitet. Darüber hinaus nennt er Neumeier einen
„großartigen Kommunikator“, der es verstehe, sein
choreografisches Vokabular klar auszudrücken und seine Tänzer
dort abzuholen, wo sie sich in ihrer individuellen Entwicklung gerade
befinden. „John glaubt daran, dass alles zusammenhängt.
Er hat dieses erstaunliche Talent die einzelnen Punkte in unserer
Geschichte miteinander zu verbinden und sie auf unsere aktuelle
Arbeit zu beziehen.“
Der große Erfolg
Ein gutes Beispiel dafür ist Neumeiers Neuinszenierung „Tod
in Venedig“. Für die Darstellung des Gustav von Aschenbach
ist Riggins im April mit dem Prix Benois de la Dance 2004 ausgezeichnet
worden, einem der renommiertesten Tanzpreise. An die Arbeit an dieser
Rolle denkt er gern zurück: „Ich konnte quasi auf alles,
was ich in meinem bisherigen Leben erlebt hatte, zurückgreifen
und es einfließen lassen. Es ist ja so: Jeden Tag lernt man
etwas. Jede Person, die man kennen lernt, alles was man erlebt,
wird zu einer Erfahrung. Und in dieses Ballett konnte ich davon
ungeheuer viel einbringen – sowohl im kreativen Prozess als
auch bei den Aufführungen selbst. Das war wirklich etwas Besonderes.“
Purer Genuss
Das spürt auch das Publikum. Nicht nur die Premiere im Dezember
letzten Jahres brachte stehende Ovationen. Noch immer ist das Stück
ausverkauft. Die Zuschauer sind fasziniert von dem Spannungsfeld
aus apollinischem und dionysischem Prinzip, das Neumeier seinen
Aschenbach durchleben lässt. Der Erfolg der Inszenierung hat
Riggins nicht überrascht: „Ich hatte nie den geringsten
Zweifel am Erfolg dieses Balletts. Es musste funktionieren, denn
dieses Stück kam zu einer perfekten Zeit in mein Leben. Es
passte einfach alles: Wer ich jetzt bin, wo ich künstlerisch
stehe, mein Verständnis für bestimmte Zusammenhänge
und der Grad an Reife, den ich erlangt habe. Es war purer Genuss,
dieses Ballett zu tanzen – kombiniert mit extrem harter Arbeit.“
Zukunft in der Pädagogik
Mit seinen 34 Jahren nähert sich Riggins nun einem Alter,
das für viele Tänzer den Abschied von der Bühne bedeutet.
Die starke körperliche Belastung zwingt gerade männliche
Tänzer zu einem Karrierewechsel, wenn sie etwa Mitte 30 sind.
Dementsprechend hat auch Riggins sich Gedanken gemacht, was ihm
die Zukunft bringen soll. Im privaten Bereich könnte er sich
eine Familie vorstellen. Seit 1991 ist er mit Niurka Moredo verheiratet,
die ebenfalls in der Hamburger Compagnie als Solistin tanzt. Beruflich
tendiert er zu einer pädagogischen Tätigkeit und ist auch
in dieser Hinsicht bereits aktiv. 2002 wurde er zum ersten Gastlehrer
der Königlich Dänischen Ballettkompanie ernannt.
Doch noch ist von einem tänzerischen Ende in Hamburg keine
Rede. Zwar beobachtet Riggins seinen Körper ganz genau, doch
der ist offensichtlich noch nicht am Ende seiner Leistungskraft:
„Im Laufe der Zeit verändert sich der Körper. Das
ist ganz natürlich, kann aber erschreckend wirken. Doch man
muss es akzeptieren. Als ich älter wurde, wusste ich, dass
ich weitertanzen will. Also musste ich einen neuen Umgang mit meinem
Körper lernen. Die Liebe und der Wille zum Tanzen haben mir
dabei geholfen. Heute finde ich diesen Prozess sogar gut. Er bringt
mich dazu innezuhalten und zu schauen, ob das, was ich tue, das
Richtige für mich ist.“ Diese besondere Sensibilität,
sich und seine Arbeit ständig zu hinterfragen, kennt jeder
Künstler.
Sie kann aber auch zum Problem werden, weiß Riggins: „Auf
der Bühne sollte man ganz in der Musik und dem Tanz aufgehen
und dabei am besten gar nicht denken. Aber früher war da oft
diese nervige kleine Stimme in meinem Hinterkopf. Ich habe eine
sehr lebendige Phantasie und so dachte ich ständig: Oh, das
war schrecklich. Wie sehe ich aus? Wie steht mein Fuß? Das
hat mich viel zu viel Energie gekostet. So war ich ständig
mit mir beschäftigt und konnte dem Publikum nichts geben. Aber
genau darum geht es: Dem Publikum alles zu geben. Man muss also
zu einem Punkt kommen, wo man sich einfach so akzeptiert, wie man
ist. Man muss sagen: Schaut her: Das bin ich. Ich bin ehrlich und
ich stehe heute vor euch und gebe euch alles, was ich habe.“
Das Hamburger Publikum spürt diese Hingabe. Kein Abend endet
ohne begeisterten Applaus, der nochmals anschwillt, wenn Riggins
sich verbeugt. Dann erkennt auch er, wie sehr das Publikum ihn schätzt.
Aber bis dahin bleibt jedes Mal die Unsicherheit des Künstlers,
der versucht die Stimmung im Theater zu erraten, während er
tanzt. Riggins erklärt das so: „Künstler sind alle
ein wenig verrückt. Wir sind so sensibel, wir versuchen ein
Flüstern in der Luft zu deuten. Wir wollen das Herz des Publikums
gewinnen und Emotionen auslösen. Das ist im Grunde kein wirklich
greifbares Ziel, aber zugleich doch sehr real. Es ist ein wenig
wie Zauberei. Das macht es so wundervoll und zugleich so schwer.
Aber andererseits: Alles was gut ist, ist schwer.“
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