Massenhypnose im Kammerformat
„Mario und der Zauberer“ in der Jungen Oper Stuttgart
Eine Feriengeschichte besonderer Art. Sie beginnt gereizt und endet
mit einem Knalleffekt. Aus dem Unbehagen über die gesellschaftliche
und politische Entwicklung im Italien, im Europa der 20er- Jahre
macht sie keinen Hehl: „Mario und der Zauberer“.
Der „Zauberer“ Cipolla, der es zu weit treibt, „dieser
selbstbewusste Verwachsene war der stärkste Hypnotiseur“,
dem Thomas Mann je begegnete: „Wenn er der Öffentlichkeit
über die Natur seiner Vorführungen Sand in die Augen gestreut
und sich als Geschicklichkeitskünstler angekündigt hatte,
so hatten damit offenbar nur polizeiliche Bestimmungen umgangen
werden sollen, die eine gewerbsmäßige Ausübung dieser
Kräfte grundsätzlich verpönten“, heißt
es in der 1930 erstmals veröffentlichten Erzählung; „die
zweite Hälfte seines Programms war nun ganz offen und ausschließlich
auf den Spezialversuch, die Demonstration der Willensentziehung
und -aufnötigung gestellt.“ Und darum ging es, subtil
gefasst, im abgründigen Kontext: Um den Entzug der (politischen)
Entscheidungsfähigkeit durch Massenhypnose und das Oktroyieren
des Führerwillens. Heute mag die Geschichte, trotz veränderter
Manipulationsmuster, noch immer aufschlussreich und in ihrer Mehrschichtigkeit
von Interesse sein.
Auch wenn sie in ihrer Form und der weithin moderat freitonalen
Tonsprache erst einmal konventionell wirkt, präsentiert Stephen
Olivers 1988 entstandene Kammeroper „Mario und der Zauberer“
ein Experiment – eben die Rekonstruktion der Hypnosekünste,
der zynischen Massenverführung und des elementaren Widerstandsaktes.
Mit den einfachen Mitteln des von Manfred Weiß präzise
choreografierten Buden-Theaters versteht es die Junge Oper der Staatsoper
Stuttgart – und vornan der tatsächlich zaubernde Sänger
Motti Kastón – ein Werk der großen Literaturgeschichte,
dessen Veroperung man vielleicht eher skeptisch entgegenblickte,
mit den Mitteln eines intensiv gesungenen Theaters zu einem Abend
von wahrhaft verblüffendem Erkenntniswert zu promovieren.
Was Thomas Mann literarisch wie eine Symphonische Dichtung anlegte,
hat durch umsichtige Reduktion die Form einer Kammeroper mit erheblicher
Suggestionswirkung erlangt, in der das Politische mit der gebotenen
Deutlichkeit und doch nie zu penetrant präsent ist. Im Wechselspiel
mit Kastón als Demagogen Cipolla überzeugt das junge
Team der Stuttgarter Staatsoper, vornan mit Madeleen Ijsselmuiden
als ungebührlich behandelter junger Witwe und Matthias Eschli
als schüchternem Kellner Mario.
Frieder Reininghaus
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