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Das Rückgrat des Grünen Hügels
Bayreuths Festspiel-Chor liefert alljährlich Spitzenleistung
„Uns gibt es nur im Sommer“ – sagt Chordirektor
Eberhard Friedrich. Für die Schlagzeilen in Bayreuth sind auch
dieses Jahr wieder andere zuständig: Erst Fast-Regisseur Lars
von Trier, dann Trotzdem-Regisseur Christoph Schlingensief, anschließend
Festspielleiter Wolfgang Wagner und schließlich noch „Parsifal“-Darsteller
Endrik Wottrich. Der Bayreuther Festspiel-Chor hingegen erhält
stets knappe aber gute Kritiken.
Jenseits von Grabenkämpfen, Streitigkeiten und Kompetenzgerangel
wird richtig gute Musik gemacht. Maßgeblichen Anteil daran
haben die 134 Sängerinnen und Sänger des Bayreuther Festspielchors
mit ihrem Chordirektor Eberhard Friedrich. Der 46-Jährige,
zugleich auch Chordirektor der Berliner Staatsoper „Unter
den Linden“, leitet den Bayreuther Chor seit dem Jahr 2000.
„Natürlich sind einige Inszenierungen wie Schlingensiefs
Parsifal medial sehr dominierend, aber die Wahrnehmung des Chores
in der Öffentlichkeit ist außerordentlich intensiv“,
sagt Friedrich.
Das klingt bescheiden, wird der Chor in den großen Feuilletons
der Republik doch meist nur mit zwei Sätzen gewürdigt.
Es fällt aber auf, dass sich am Chor die Geister nie scheiden,
sondern die Leistung einhellig gelobt wird. „Dafür müssen
wir aber auch einiges leisten“, sagt Friedrich. Der Chorleiter
kann dabei auf 58 Frauen und 76 Männer zählen. Und wer
im August seinen Jahresurlaub singend in Bayreuth verbringt, der
muss hoch motiviert sein. Während andere große Häuser
die Sommerpause einlegen, wird in Bayreuth Höchstleistung erwartet.
„Denn uns gibt es nur im Sommer“, beschreibt Friedrich
seinen Chor.
Der Festspielchor besteht etwa zur Hälfte aus hauptberuflichen
Chorsängern. Sie kommen aus deutschen und internationalen Opernhäusern
oder aus Rundfunkchören. Die anderen 50 Prozent setzen sich
zusammen aus freiberuflichen Chorsängern, aus Solisten anderer
Häuser, und auch angehende Sänger bekommen eine Chance.
„So mancher Gesangs- und Musikstudent hat im Festspielchor
den Grundstein für seine berufliche Karriere gelegt“,
sagt Friedrich.
Damit der Chordirektor auf einem soliden Stamm von Sängern
aufbauen kann, finden jedes Jahr etwa 150 Vorsingen in Bayreuth
und Berlin statt. Auf dem Programm stehen dann keine Chorpartien,
sondern Arien.
Sind die 134 Chormitglieder einmal gefunden, dann beginnen etwa
vier Wochen vor der Eröffnung der Festspiele die Proben. „An
den ersten vier Tagen finden reine Chorproben statt, die können
dann schon sieben Stunden dauern“, erklärt Friedrich.
Das ist auch nicht verwunderlich, denn der Chor muss erst geschaffen
werden, Friedrich muss einen homogenen Klang aus vielen einzelnen
Stimmen erzeugen: „Denn singen können sie alle.“
Ist diese Hürde geschafft, geht es weiter mit den szenischen
Proben, anschließend folgen dann die Orchesterproben mit Originalkostümen.
Zum Durchatmen bleibt da nur sehr wenig Zeit. „Ein freies
Wochenende kennen wir in Bayreuth nicht“, sagt Friedrich.
Freizeit gilt auch während der Spielzeit eher als Fremdwort:
Zum einen ist Richard Wagner nicht gerade dafür bekannt, kurze
Opern geschrieben zu haben, zum anderen hat der Chor in den meisten
Aufführungen sehr viele Partien zu singen. Der diesjährige
Spielplan kommt dem Chor aber etwas entgegen: „Wenn der ,Ring’
aufgeführt wird, dann tritt der Chor nur in der ,Götterdämmerung’
auf“, so Friedrich. Der gebürtige Darmstädter ist
Perfektionist – das wird in den Proben und auch während
des Einsingens vor dem nächsten Akt deutlich. Da gilt es, wenn
nötig, immer noch den allerletzten Schliff anzulegen. Friedrich
ist ein Mann des offenen Wortes, er spart weder mit Lob noch mit
Kritik. Deshalb nimmt es ihm auch niemand übel, wenn er zwei
Minuten vor Beginn des dritten Aktes den männlichen Sängern
nochmals eindringlich einschärft: „Nicht so gewalttätig,
meine Herren!“ Schließlich sind für die dicken
Schlagzeilen ja andere zuständig.
Holger Stiegler (ddp)
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