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Neue Opern und ihr Publikum
Ein Symposium zum zeitgenössischen Musiktheater ·
Von Christian Tepe
„Das Stadttheater hat als Museum der Oper seine Berechtigung.“
Was geschehen muss, damit aus dieser Überzeugung des Komponisten
Heiner Goebbels nicht eine Tatsachenfeststellung wird, darüber
stritten namhafte Kritiker, Komponisten und Theatermacher während
des Symposiums „schöne NEUE OPERNwelt“. Das Bremer
Theater hatte anlässlich der Uraufführung von Battistellis
Oper „Der Herbst des Patriarchen“ (Bericht s. S. 22)
zu einem Meinungsaustausch unter anderem über die Fragen „Stadttheater
und zeitgenössisches Musiktheater – ein ungleiches Paar?“
sowie „Erobert die zeitgenössische Oper das Publikum?“
eingeladen. Neben den Klagen über das kulturelle Wertevakuum
in Politik und Gesellschaft entzündete sich die Leidenschaft
der Disputanten vornehmlich an der Beurteilung der Bedeutung des
Publikums für das Überleben der Oper als zeitgenössischer
Kunstform von öffentlicher Geltung.
Zeitgenössische Inhalte
Kunst und Hochkultur, befand Dramaturg Norbert Abels (Oper Frankfurt),
seien zu Überwinterungsmedien des Geistes fern ab vom wirklichen
Leben der Menschen geworden, während gleichzeitig 97 Prozent
aller Rezipienten im Bereich einer von ihm wertfrei so titulierten
„heruntergekommenen Sinnlichkeit“ ihren Platz einnähmen.
Gerhard Rohde (Oper&Tanz) quittierte Abels’ Appell „Wo
finden wir die elementaren Konflikte, die die Menschen heute bewegen,
im zeitgenössischen Musiktheater wieder?“ mit der Replik,
ob „singende Drogenabhängige“ nicht „peinlich“
seien und stellte damit in Frage, ob sich überhaupt alle Probleme
der Zeit durch die ästhetischen Mittel der Kunstgattung Oper
direkt abbilden lassen. Der Komponist Detlev Glanert warnte ebenfalls
vor der Gefahr, beim Buhlen um das Publikum dem Jugendkult und den
bloßen Aufgeregtheiten der Eventmaschinerie zu verfallen und
darüber ein wesentliches Entwicklungsgesetz der Oper zu vergessen,
nämlich den „Grundsatz, in Form eines kunstvollen ‚Spiels’
mit Menschen, intellektuell gefiltert etwas über Menschen zu
erzählen und zu zeigen.“
Schwierige Dechiffrierung
Doch auch mit Tadel am Publikum wurde während des Symposiums
nicht gespart. Die Opernbesucher seien „altgierig statt neugierig“,
lautete Hans-Peter Kehrs griffige Formel der Publikumsbeschimpfung.
Den Menschen fehle der Mut, sich auf die eigene emotionale Befindlichkeit
zu beziehen, meinte der Opernleiter der Wuppertaler Bühnen.
Als mildere Variante der Publikumsschmähung kursierte die Ansicht,
zeitgenössisches Musiktheater sei schwer vermittelbar. Die
Moderne konfrontiere das Publikum mit der Notwendigkeit, Arbeit
in die Rezeption zu stecken. Selbst geschulte Hörer scheiterten
aber an der „Dechiffrierung“ der Werke, das erzeuge
ein Gefühl des Ausgeschlossenseins, hob Glanert hervor. Reinhard
J. Brembeck (Süddeutsche Zeitung) hielt dagegen, dass gerade
hochkomplexe Werke in „exzeptionellen Aufführungen“
durchaus ihr Publikum fänden. Es komme darauf an, die Menschen
im Theater nicht zu erziehen, sondern durch Schönheit zu verführen.
Auch im Auditorium regten sich Zweifel an der Existenz eines singulären
Vermittlungsproblems nur der zeitgenössischen Opernkunst. Die
ältere Musik sei gleichfalls kompliziert und häufig auf
Ablehnung gestoßen, gab Detlef Brandenburg (Die Deutsche Bühne)
zu bedenken, nur habe es einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund
der Menschen gegeben, der heute nicht mehr vorhanden sei. Von anderen
Zuhörern wurde nach der Verantwortung der Musikkritiker gefragt.
Auf Vorhaltungen, man erfahre zu wenig über die Stücke
und die Musik, die schreibende Zunft erfülle ihren Bildungsauftrag
nicht, räumte Brembeck überraschend freimütig ein:
„Die Kritiken sind interne Spiele.“
Veränderte Gesellschaft
Die Ursachen für die Krise im Verhältnis zwischen dem
zeitgenössischen Musiktheater und seinem Publikum sind also
weder nur in den subjektiven Voraussetzungen der Rezipienten noch
allein in einer Ignoranz der Werke gegenüber den Lebenssorgen
der Menschen zu suchen. Entscheidend kommt eine übergreifende
Epochendimension hinzu, wie Bernd Feuchtner (Opernwelt) mit Blick
auf die Entseelung des Menschenwesens durch die verheerenden Katastrophen
des 20. Jahrhunderts erläuterte: Das Individuum der alten Oper
vom Barock bis in das 19. Jahrhundert, das durch die Musik glorifiziert
werde und das sich im Gesang ausdrücke, sei zerschmettert.
Auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagierten die Kunstwerke.
Wie am Theater Aachen das Publikum an Zeitgenössisches herangeführt
wird, darüber berichtete noch ganz konkret Intendant Paul Esterhazy:
Alle Beteiligten einer Aufführung präsentieren den Zuschauern
unter Ausnutzung der Autorität des mitwirkenden Intendanten
eine 20-minütige Werkeinführung auf der Bühne –
als „vertrauensbildende Maßnahme“ oder auch als
„Zwangsbeglückung“.
Christian
Tepe
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