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Hartnäckig, konkret, subtil
Die Regisseurin Katharina Wagner · Von Michael Herrschel
Plötzlich ist da diese frühe Erinnerung: Als hätte er sich
aus einem anderen Jahrhundert herverirrt, starrte der riesige Drache mit zornigen,
vielleicht ein wenig hilflosen Augen über den Bretterboden von Bayreuth…
Ein Mädchen, das vorüberkam, fand ihn abstoßend, wollte fortlaufen
– aber ihr Vater, der seit Menschengedenken jeden Wurzelstock, jede
Falle und jeden Abgrund im Bühnenwald kennt, meinte, man müsse sich
vor Fafner nicht fürchten; und als er die Misstrauische hinführte,
staunte sie, dass das Monstrum hohl und inwendig mit Zeitungspapier ausgekleidet
war.
Kultur ist Teil der Bildung
Als sie achtzehn wird, entscheidet sich Katharina Wagner, am Theater zu
arbeiten. Sie weiß, was sie will: Menschen auf die Bühne stellen,
Regie führen. Von der Pike auf erwirbt sie sich ein Rüstzeug von
Fertigkeiten. Um sich weiter auszubilden, übersiedelt sie in eine Theatermetropole
voller Kontraste – sie erlebt Berlin, den freien Geist und die Zerrbilder
des Extremismus; Zirkusgrellheit sieht sie, buntbemalte Schattenschluchten
und mittendrin den Überlebenskampf der Opernhäuser. Polarisierenden
Fragen weicht man hier nicht aus: „Angesichts von immer geringeren Sozialleistungen
mag es musisch nicht so interessierten Leuten nahezu dekadent vorkommen, Kultur
zu subventionieren. Nur: Sie ist Teil der Bildung, und wohin führt es,
wenn dieser Teil vernachlässigt wird?“ Auch dafür kann Regie
die Augen öffnen.
Die erste Regie
Liest man unverhofft in Gesichtern und Straßenszenen, was Menschen
bei vollem Bewusstsein einander antun, dann brechen Assoziationen wie Wunden
auf und Geschichten, die man mit sich trägt und zu kennen glaubte, reagieren
unwillkürlich, indem sie – als veränderliche Lebewesen –
ihre schlimmstmögliche Wendung durchspielen. In ihrer ersten eigenen
Produktion, dem „Fliegenden Holländer“ in Würzburg,
zog die Regisseurin Katharina Wagner unerwartete Konsequenzen aus einem romantischen
Widerstreit: Die Leute des Holländers kommen als Davidsbündler daher
und werden, ehe sie gegen die Philister aufbegehren können, mit Knüppeln
erschlagen.
Die Wahl des ersten Stückes war wohlüberlegt: „Es gab mehrere
Anfragen, bevor ich den ,Holländer‘ inszeniert habe; aber ich lehnte
sie ab, da mir die Ideen, die ich für die Werke hatte, noch nicht reif
erschienen. Ich muss mich im Spiegel ansehen und mir sagen können, dass
ich von meinem Konzept hundertprozentig überzeugt bin und dem Publikum
keine halbherzige Lösung präsentiere.“ Deshalb nimmt sie sich
Zeit und ist im Interpretieren hartnäckig. Unbeteiligte Nebenfiguren
kennt sie nicht; sie ist sich auch nicht zu schade, spöttisch grobe Konturen
ins Kampf-Tableau von Adam und Eva einzuzeichnen: „Jedes Geschlecht
hat so genannte typische Verhaltensweisen, die manchmal auf den ersten Blick
dumm erscheinen mögen, aber sich beim zweiten Blick als Raffinesse entpuppen
können… Oft wird so etwas angedeutet, aber nicht bis ins Letzte
gezeigt. Das ist für mich keine Lösung – entweder ich bediene
mich bewusst in der Klischeekiste, weil ich etwas aussagen will, oder ich
bin konsequent und lasse es gleich sein. Man kann natürlich als Frau
leichter mit diesen Dingen spielen, ohne gleich die Rüge der Frauenfeindlichkeit
einzustecken…“
2004: Lohengrin
Daraus resultierte in ihrem Debüt ein Moment ironischer Selbstverteidigung.
Sie führte das voreilige Bild, das man sich von ihr gemacht hatte, auf
der Bühne ad absurdum und mancher Invektivenritter, der Richard Wagners
jüngster Urenkelin eine schillernde Prominenz, aber kein Künstlertum
gönnte, war düpiert. Indem sie in ein Wespennest von Erwartungen
stieß, legte sie ihre Fragen zum Stück überhaupt erst frei
– doch vielleicht wird man sich im Mai 2004, wenn ihre Inszenierung
des „Lohengrin“ in Budapest Premiere hat, rascher, unmittelbarer
auf die Rätsel einlassen, über die sie jetzt mit dem Finger fährt,
um Spalten und Risse zu ertasten: Was bedeutet das Helle, Gute innerhalb der
Grausamkeit des Märchens? Was ist das: dieses Flirren, diese gleißende
Kälte um Lohengrin, die ihn zum begehrten, einsamen Menschen macht? Wo
lösen sich Grautöne vom Rabenschwarz der Gegenspieler? Welche Erkenntnis
bietet Ortruds schneidender Witz? Und was für ein Mensch war Telramund,
ehe er diese Heidin traf?
Lebendig und vielfältig
Katharina Wagner notiert Gedankensplitter, verändert sie stetig; sie
bilden ein Muster und natürlich reicht die Beschäftigung weit zurück.
„Bei manchem Werk ist ein Konzept sozusagen schon inszenierungsreif,
es wartet nur auf eine Anfrage“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Was
sie vorhat, ist lebendig, beweglich, vielfältig. Gewiss will sie ihre
Haut mit Lesarten von Werken der Vergangenheit zu Markte tragen und geduldig
alle Belehrungen über nicht nachprüfbare Autor-Intentionen anhören
– aber zum wachen Leben in der Gegenwart gehört für sie auch
der Wunsch, eines Tages eine Uraufführung zu inszenieren: „Dies
ist eine der reizvollsten Vorstellungen überhaupt. Heute wird so oft
über den Begriff der Werktreue diskutiert und spekuliert… In solch
einem Fall aber könnten sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und
sich mit vielleicht sehr unterschiedlichen Sehweisen überraschen. Die
Diskussion über die Werktreue fiele vollkommen weg, da alle Beteiligten
lebendig über das Werk sprechen.“ Wenn man gemeinsam eine Geschichte
erzählt, dann ist Regietheater zugleich Autorentheater und Komponistentheater.
Und es besteht ja kein Zwang, sich auf Bayreuth als Uraufführungsort
zu kaprizieren – plausibler ist es, die anderen Theater an ihre Pflicht
zu erinnern. Man kann mit Katharina Wagner nur hoffen, dass es weiterhin genug
Freiräume für aufwändige, alle Kräfte eines Hauses bindende
neue Projekte gibt. Angesichts enormer, teils brachliegender Talente unter
jungen Komponisten stünden gegenwärtig die Aussichten dafür
gar nicht schlecht.
Michael
Herrschel
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