Hymnische Friedensfeier
Die Erfurter Domstufen-Festspiele · Von Andreas Hauff
Mit der großen Freitreppe zwischen Dom und St. Severi besitzt die Innenstadt
von Erfurt eine architektonisch vorgegebene Freiluftbühne. Die sommerlichen
Domstufen-Festspiele gibt es hier seit 1994. Unter Leitung des langjährigen
Theaterintendanten Dietrich Taube wurden hier populäre Werke wie Orffs
„Carmina Burana“, Hofmannsthals „Jedermann“ oder Wagners
„Fliegender Holländer“ aufgeführt, aber auch Raritäten
wie Honeggers „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ oder Orffs „Das
Spiel vom Ende der Zeiten“.
Im zehnten Jahr der Festspiele trägt nun Taubes Nachfolger Guy Montavon
die künstlerische Verantwortung. Mit Richard Strauss‘ Einakter
„Friedenstag“ präsentiert er eine ausgesprochene Rarität;
im kommenden Jahr folgt dann mit Leoncavallos „Pagliacci“ wieder
ein Werk aus dem populären Repertoire. Die diesjährige Strauss-Oper
aus dem Jahr 1938 durfte man mit Spannung erwarten, denn natürlich wird
hier die heikle Frage nach dem Verhältnis des Komponisten zum NS-Regime
berührt. Ist das Werk wirklich ein Ausdruck von Friedenssehnsucht, wie
zahlreiche Gastbeiträge im Programmbuch vor dem Hintergrund der jüngsten
Kriege in Afghanistan und Irak selbstverständlich annehmen?
Die Handlung spielt in der Zitadelle einer belagerten Stadt im letzten Jahr
des 30-jährigen Krieges. Der Kommandant will gemäß kaiserlicher
Anordnung die Festung um jeden Preis halten, die ausgehungerte Bevölkerung
fordert die Übergabe der Stadt, die Besatzung ergibt sich in ihr Schicksal.
In dieser Situation entschließt sich der Kommandant zur Sprengung der
Zitadelle; einige seiner Getreuen, auch seine Frau, wollen dabei mit ihm in
den Tod gehen. Soeben soll die Lunte gezündet werden, da künden
Kanonenschüsse und Kirchenglocken von einer unerwarteten Wendung: Die
Nachricht vom Abschluss des Westfälischen Friedens hat die Stadt erreicht;
die feindlichen Protestanten ziehen mit weißen Fahnen ein, die Bevölkerung
jubelt, Erleichterung und Versöhnung kehren ein.
Wie ein Deus ex Machina kommt der Frieden über die Handlung. Ein Drama
kann man das nicht nennen, eher eine Studie über das Verhalten in aussichtsloser
Situation. Heroischer Durchhaltewillen und soldatisches Pflichtethos stehen
gegen nackte Not und Versöhnungsbereitschaft – eine durchaus heikle
Konstellation, die in Deutschland seit der Endphase des 1. Weltkrieges virulent
war und schon das innenpolitische Klima der Weimarer Republik vergiftete.
Das Libretto für Strauss schrieb zwar der Wiener Theaterhistoriker Joseph
Gregor, aber wie stark dabei der bei den Nationalsozialisten unerwünschte
Stefan Zweig im Hintergrund mitwirkte, dokumentiert deutlich das von Arne
Langer zusammengestellte Material im Programmheft. „Ich möchte,“
schrieb Zweig zu seinem Entwurf, „drei Elemente darin zusammenfassen:
das Tragische, das Heroische und das Humane, ausklingend in jenem Hymnus an
die Versöhnung der Völker, an die Gnade des schaffenden Aufbaus;
nur möchte ich Kaiser, Könige ganz aus dem Spiel lassen und es ins
Anonyme stellen.“
Guy Montavons Inszenierung ist in der räumlichen Anordnung nicht immer
konsequent, der Eindruck des Engen, Eingeschlossenen verliert sich dadurch
schnell. Dennoch ist sie optisch reizvoll, deutlich in der Personenführung
und wirkungsvoll in der Ausnutzung des Raumes unter der Zuschauertribüne;
von dort nämlich erklingen die Hunger-Rufe der von Andreas Ketelhut vorzüglich
einstudierten Chöre (außer dem Erfurter Opernchor drei weitere
Sängerensembles). Die Klangbalance überzeugt, die Lichtregie aber
müsste die räumliche Orientierung des Zuschauers stärker unterstützen.
In der Rolle des Kommandanten hinterlässt Juan Carlos Mera-Euler mit
einem trag- und nuancierungsfähigen Bariton einen guten Eindruck; unglaubwürdig
wirkt hier die wenig soldatische, allzu zappelige Körpersprache. Kelly
God singt Maria, die Frau des Kommandanten; ihr kräftiger Sopran wird
freilich in der Höhe etwas zu scharf, das Vibrato zu stark. Sämtliche
weitere Rollen sind klar ausdifferenziert und respektabel bis hervorragend
besetzt; besonders hervorzuheben sind hier Florian Plock als Wachtmeister
und Thomas Stückemann als Schütze. Unter Leitung von GMD Walter
E. Gugerbauer entfaltet das Philharmonische Orchester Erfurt den besonderen
Reiz dieser ungewöhnlichen Strauss’schen Partitur ausgezeichnet.
Ganz düster, mit einem tritonusreichen Schicksalsmotiv, beginnt die
Oper. Blühende Melodik in Wagnerscher Tradition begleitet die Partie
der Maria und bereitet den Wendepunkt vor. Den Kanonenschüssen, auf dem
Gelände der benachbarten Zitadelle Petersberg als Feuerwerk realisiert,
folgt ein aus dem Orchester anwachsendes Glockengeläute. Hier hinein
mischen sich die Stimmen der Sänger, dann steuert die Musik langsam auf
eine eindrucksvolle Apotheose zu, die durch den Fackeln tragenden Chor auf
den Domstufen auch optisch zu einem grandiosen Erlebnis wird.
Und da bemerkt man einen entscheidenden Kontrast: Während sich die Figuren
Richard Wagners im Angesicht von Tod und Untergang derart ekstatisch aussingen,
feiert Strauss hier hymnisch – über allen Durchhalte- und Kampfeswillen
und auch alle NS-Ideologie hinweg – den Frieden. Montavons Inszenierung
setzt hier historisch richtig ein Fragezeichen: Während alle die Waffen
gesenkt oder niedergelegt haben, verweigert der Kommandant als einziger die
entscheidende versöhnliche Geste.
Andreas
Hauff
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