Ein Kaiser in neuen Kleidern geht als Gespenst in Deutschlands Theaterszene um. Trotz vieler Vornamen
wie zum Beispiel Weimarer, Berliner, Düsseldorfer, Mainzer
oder Frankfurter ist es stets ein und dasselbe Gespenst mit dem Nachnamen Modell.
Es hat nur einen Schneider und der kennt nur einen grobstichigen Schnittmusterbogen: Aus einigen Ellen Privatisierungsstoff
schneide man eine GmbH, verziere sie mit dem Goldrand der Gemeinnützigkeit, halte sie sorgsam von allen
Koalitions-Verschmutzungen fern, reinige sie von Arbeitsgesetzen und Tarifverträgen, füttere sie mit
flexiblen Individualverträgen, versteife sie, wo erforderlich, mit Betriebsvereinbarungs-Abnähern
und schon ist das Modell fertig.
Der Geburtsort des Gespenstes namens Modell heißt Mangel, Mangel an Geld und Fantasie.
Die Überlegungen, als Regie- oder Eigenbetriebe geführte öffentlich-rechtliche Bühnen in
die private Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder einer Stiftung zu überführen,
sind so alt wie das Nachkriegstheater. Gustaf Gründgens war es, der die Umwandlung des städtischen
Düsseldorfer Schauspielhauses in eine GmbH betrieb, um sein Haus aus kameralistischen Zwängen zu befreien,
um mehr Spielraum und auch Verantwortung zu erlangen. Eine Vielzahl von Staats- und Stadttheatern ist diesem
Beispiel gefolgt, gegen das so lange nichts einzuwenden ist, als der Rechtsträger (Mehrheits-)Gesellschafter
bleibt und die Umwandlung sachlich motiviert und nicht von der Illusion geleitet ist, ein Theater in privater
Rechtsform ließe sich automatisch kostengünstiger betreiben.
Diese Illusion war es, die das Gespenst gezeugt hat. Als ließe sich durch Änderung der Rechtsform
auch nur ein einziges Problem lösen! Das würde selbst dann nicht funktionieren, wenn die neue
GmbH den Arbeitgeberverbänden fern bliebe: Nach dem Jahr gesetzlicher Nachwirkung der Tarifverträge
könnten zwar neue Vereinbarungen getroffen werden, für deren Abschluss aber, entgegen einem weit verbreiteten
Irrglauben, in allen tarifüblichen Bereichen nicht ein noch so eingeschüchterter Betriebsrat,
sondern wieder die Gewerkschaften die alleinige Kompetenz hätten. Die hypothetische Frage, wie insbesondere
ein Musiktheater ohne kollektive Regelungen, die schließlich Pflichten der Beschäftigten ebenso beinhalten
wie Rechte, überhaupt arbeiten könnte, sei, da jede Antwort kabarettreif wäre, erst gar nicht
gestellt.
Anders als manch zeitgenössischer Politiker hatte Herzog Moritz von Sachsen schon 1548 das Problem erkannt,
als er für seine Cantorei, Vorläufer des Dresdner Staatsopernchores und der Staatskapelle,
Regeln zur Ordenung und Underhaltung erließ.
Es ist an der Zeit, dass, wie im Märchen, der Kaiser als ein Nackter erkannt wird. Die Probleme lassen
sich nur in gemeinsamer Anstrengung aller, nicht durch von unwissenden Feuilletons begleitete Gespensterdebatten
lösen.
Stefan
Meuschel
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