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Mit grobborstigem Pinsel
Auf den Marmorklippen von Battistelli · Von Michael Herrschel
Unter Adam Fischers energischem Dirigat stärkt das Orchester den Vokalisenchor von den Bassgründen
aufwärts zum schimmernden Diskant. In wirbelnder Projektion kreisen Klippen und Inseln um den imaginären
Standort des Betrachters; die drehende Bühne hinter dem Schleier gebiert Arme, weiße Zweige, und
ein flammender Baum öffnet seinen Mund, formt brockenhaft Worte aus Ernst Jüngers Erzählung Auf
den Marmorklippen, deren Konflikt zu weiteren, die Spannung haltenden Bildern anstacheln sollte: Zwei
Brüder, die das romantische Konzept einer poetischen Wissenschaft verfolgen, spüren den feindlichen
Atem des Tyrannen, der aus den Wäldern nach Süden vorrückt und unter der biederen Maske eines
Oberförsters das Leben der Küstenbewohner zurückzwingt in ein ahistorisches Vorgestern, einen
Zustand vor aller Schrift, allem Recht, aller Zivilisation.
Die Theatertruppe La Fura dels Baus um Valentina Carrasco und Carlos Padrissa hat revolutionäres,
avantgardistisches Blut in den Adern, schien also wie geschaffen, das surreale Wurzelwerk von Jüngers Text,
das radikal-kontrapunktische Ineinandergreifen von Mythen verschiedener Kulturen bloßzulegen. Was aber
wird aus der lenguaje furero, wenn sie Vokabeln des deutschen Feld-, Wald- und Wiesenregietheaters
übernimmt? Die Frage Wie hältst dus mit dem Wort? wäre im Stande gewesen, Giorgio
Battistelli und seinen Librettisten Giorgio Van Straten in eine ernste produktive Krise zu stürzen
wenn sie sich diese Frage gestellt hätten. Es gibt Komponisten, die Rhythmus, Klang und Sinn eines Textes
in- und auswendig beherrschen, ehe sie die erste Note niederschreiben. Dieses Ethos fehlt hier. Battistellis
emphatisches Interesse für Jünger bleibt fruchtlos, sooft er beim Zitieren den Wort-Akzent mit Jauchzen
verfehlt. Es ist nicht gut, Lieblingssätze aus dem komplexen episch-rhapsodischen Gefüge von Jüngers
Buch zu reißen und sie ohne Rücksicht auf Ton, Tempus und Kontext als notdürftig passende Dialogfetzen
an den Faden einer krass vereinfachten Handlung zu heften. Battistelli ficht das nicht an, er malt mit grandios
grobborstigem Pinsel über das ungelöste Problem hinweg.
Der beschützende Hirte Belovar ist in der Interpretation von Winfried Sakai die zentrale Gestalt des Abends,
mit einer vokalen Aura, die auf der Feindseite ein starkes Pendant bräuchte aber die avancierte
Idee des Komponisten, das vertrackt-ungreifbare Wesen des Oberförsters perspektivisch zu zersplittern,
missriet zum hilflosen Rufen vierer Grobiane. Alfred Tewes, Vasile Tartan, Stephan Somburg und Hyun-Seok Kim
verwandten redlich ihre Kräfte auf eine kompositorisch besserungswürdige Aufgabe und ertrugen es,
dass man sie periodisch als hammerbewehrte Kuckucke aus dem Schnürboden-Uhrwerk herabließ. Die emporknurrenden,
an Leinen zerrenden Choristen-Hunde gehörten indes weder zum Oberförster noch zu Belovar sondern
in den Zirkus.
Wie anders wäre es gewesen, die Schlacht indirekt zu erleben, gespiegelt im Entsetzen von Belovars junger
Frau oder seiner weissagenden Mutter beide kommen in der Oper nicht vor. Was für Figuren, was für
Charakterstudien hätten das werden können! Freilich: dass sich nun solche Fragen überhaupt stellen,
dass ein inkommensurables literarisches uvre diskutiert und nicht tabuisiert wird darin liegt das
Verdienst der Mannheimer Uraufführung. In ihren gescheiterten mehr noch als in ihren gelungenen Momenten
zeigt sie, dass Jüngers Prosa ein dramatisches Potenzial enthält, das der Entdeckung wert wäre.
Angesichts von Battistellis Partitur muss man aber weiter fragen: Hätte auch ein Komponist, der an seiner
Musik ebenso kompromisslos und unbeirrbar feilt wie Jünger es an seiner Sprache tat, eine Chance, aufgeführt
zu werden? Wie simpel in der Struktur, wie ungefährlich für den normalen Betrieb muss Neue Musik heute
sein, um im Repertoiretheater unterzukommen? Dürften Querdenker wie Schönberg, Bernd Alois Zimmermann,
Luigi Nono dürften diese Leute, wenn sie heute jung und ihre Werke unbekannt wären, auch nur
die leiseste Hoffnung auf einen Partner hegen, der ihre Klangvorstellungen realisiert?
Michael
Herrschel
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