Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Der Spielkasten-Regisseur
Zum Tod von Herbert Wernicke
Rahmenbedingungen statt Geld
Der Kongress „Musik als Wirtschaft“ in Berlin
Kulturleben im Land der Fjorde
Über die norwegische Opernlandschaft
Von Stimme und Sprache
Das Singen als musikalisches Grundphänomen
Abenteuer Oper
„Pollicino“-Projekt in Hamburg

Berichte
Kampf um Geld und Macht
„Die Bürgschaft“ von Kurt Weill in Dessau
Im eigenen Anspruch ertrinken
Danners „Die Sündflut“ in Karlsruhe
Mit grobborstigem Pinsel
„Auf den Marmorklippen“ von Battistelli

Alles, was Recht ist
Entfernungspauschale, Steuererklärung 2001

Buch aktuell
Über Oper ...
Attila Csampai: Sarastros stille Liebe.
... und Regisseure.
Frank Kämpfer: Musiktheater heute. Peter Konwitschny


Gipfeltreffen der Epochen
Neue DVD-Aufnahmen

Service
VdO-Nachrichten
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt
Wettbewerbe
Festivalvorschau
Spielpläne 2001/2002

 

Berichte

Mit grobborstigem Pinsel

„Auf den Marmorklippen“ von Battistelli · Von Michael Herrschel

Unter Adam Fischers energischem Dirigat stärkt das Orchester den Vokalisenchor von den Bassgründen aufwärts zum schimmernden Diskant. In wirbelnder Projektion kreisen Klippen und Inseln um den imaginären Standort des Betrachters; die drehende Bühne hinter dem Schleier gebiert Arme, weiße Zweige, und ein flammender Baum öffnet seinen Mund, formt brockenhaft Worte aus Ernst Jüngers Erzählung „Auf den Marmorklippen“, deren Konflikt zu weiteren, die Spannung haltenden Bildern anstacheln sollte: Zwei Brüder, die das romantische Konzept einer poetischen Wissenschaft verfolgen, spüren den feindlichen Atem des Tyrannen, der aus den Wäldern nach Süden vorrückt und unter der biederen Maske eines Oberförsters das Leben der Küstenbewohner zurückzwingt in ein ahistorisches Vorgestern, einen Zustand vor aller Schrift, allem Recht, aller Zivilisation.

 
 

Die gelehrten Brüder dürfen in Battistellis Oper nur noch Bildschirmhöhlen anstarren. Foto: Michel

 

Die Theatertruppe „La Fura dels Baus“ um Valentina Carrasco und Carlos Padrissa hat revolutionäres, avantgardistisches Blut in den Adern, schien also wie geschaffen, das surreale Wurzelwerk von Jüngers Text, das radikal-kontrapunktische Ineinandergreifen von Mythen verschiedener Kulturen bloßzulegen. Was aber wird aus der „lenguaje furero“, wenn sie Vokabeln des deutschen Feld-, Wald- und Wiesenregietheaters übernimmt? Die Frage „Wie hältst du’s mit dem Wort?“ wäre im Stande gewesen, Giorgio Battistelli und seinen Librettisten Giorgio Van Straten in eine ernste produktive Krise zu stürzen – wenn sie sich diese Frage gestellt hätten. Es gibt Komponisten, die Rhythmus, Klang und Sinn eines Textes in- und auswendig beherrschen, ehe sie die erste Note niederschreiben. Dieses Ethos fehlt hier. Battistellis emphatisches Interesse für Jünger bleibt fruchtlos, sooft er beim Zitieren den Wort-Akzent mit Jauchzen verfehlt. Es ist nicht gut, Lieblingssätze aus dem komplexen episch-rhapsodischen Gefüge von Jüngers Buch zu reißen und sie ohne Rücksicht auf Ton, Tempus und Kontext als notdürftig passende Dialogfetzen an den Faden einer krass vereinfachten Handlung zu heften. Battistelli ficht das nicht an, er malt mit grandios grobborstigem Pinsel über das ungelöste Problem hinweg.

Der beschützende Hirte Belovar ist in der Interpretation von Winfried Sakai die zentrale Gestalt des Abends, mit einer vokalen Aura, die auf der Feindseite ein starkes Pendant bräuchte – aber die avancierte Idee des Komponisten, das vertrackt-ungreifbare Wesen des Oberförsters perspektivisch zu zersplittern, missriet zum hilflosen Rufen vierer Grobiane. Alfred Tewes, Vasile Tartan, Stephan Somburg und Hyun-Seok Kim verwandten redlich ihre Kräfte auf eine kompositorisch besserungswürdige Aufgabe und ertrugen es, dass man sie periodisch als hammerbewehrte Kuckucke aus dem Schnürboden-Uhrwerk herabließ. Die emporknurrenden, an Leinen zerrenden Choristen-Hunde gehörten indes weder zum Oberförster noch zu Belovar – sondern in den Zirkus.

Wie anders wäre es gewesen, die Schlacht indirekt zu erleben, gespiegelt im Entsetzen von Belovars junger Frau oder seiner weissagenden Mutter – beide kommen in der Oper nicht vor. Was für Figuren, was für Charakterstudien hätten das werden können! Freilich: dass sich nun solche Fragen überhaupt stellen, dass ein inkommensurables literarisches Œuvre diskutiert und nicht tabuisiert wird – darin liegt das Verdienst der Mannheimer Uraufführung. In ihren gescheiterten mehr noch als in ihren gelungenen Momenten zeigt sie, dass Jüngers Prosa ein dramatisches Potenzial enthält, das der Entdeckung wert wäre. Angesichts von Battistellis Partitur muss man aber weiter fragen: Hätte auch ein Komponist, der an seiner Musik ebenso kompromisslos und unbeirrbar feilt wie Jünger es an seiner Sprache tat, eine Chance, aufgeführt zu werden? Wie simpel in der Struktur, wie ungefährlich für den normalen Betrieb muss Neue Musik heute sein, um im Repertoiretheater unterzukommen? Dürften Querdenker wie Schönberg, Bernd Alois Zimmermann, Luigi Nono – dürften diese Leute, wenn sie heute jung und ihre Werke unbekannt wären, auch nur die leiseste Hoffnung auf einen Partner hegen, der ihre Klangvorstellungen realisiert?

Michael Herrschel

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner