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Im eigenen Anspruch ertrinken

Danners „Die Sündflut“ in Karlsruhe · Von Andreas Hauff

Warum eigentlich keine Oper über die Sintflut? Nachdem die Millenniumshysterie gerade abgeklungen ist, nähren die Ereignisse des beginnenden Dritten Jahrtausends durchaus wieder apokalyptische Fantasien. Zu den 16. Europäischen Kulturtagen in Karlsruhe (unter dem Leitthema „Mythos Europa?“) bringt man am Badischen Staatstheater als Uraufführung Wilfried Maria Danners „Die Sündflut“ nach dem gleichnamigen Drama von Ernst Barlach. In den Rahmen der Kulturtage passt das Werk nur im weiteren Sinne; immerhin gehört die alttestamentarische Geschichte von der Sintflut zu den grundlegenden Mythen der europäischen Zivilisation. Die (ungenaue) Vorankündigung versprach viel. Ausgehend von der „urchristlichen“ (etwa nicht auch jüdischen?) Erzählung würden „Dauerhaftigkeit und Verträglichkeit menschlicher Zivilisation in beängstigend aktueller Dimension vorgeführt“. Die Vorlage des Werkes, das 1924 uraufgeführte Drama des Bildhauers, Grafikers und Dichters Ernst Barlach (1870 – 1938) ist ein bilderreiches, gedanklich leicht verstiegenes expressionistisches Ideendrama, in dessen Mittelpunkt die Auseinandersetzung zwischen dem gottergebenen Noah und seinem nihilistischen Nachbarn Calan steht.

 
 

Wolfgang Neumann (Noah), Bent Norup (Calan) in Danners „Sündflut“. Foto: Jochen Klenk

 

Danners Librettisten Michael Hampe und Claus H. Henneberg haben das Drama zum Libretto gestrafft und die Bilder reduziert; der Komponist hat sich um einen nahtlosen, zügigen Ablauf bemüht; der Text wird teils gesprochen und deklamiert, teils syllabisch ausgesungen. Kurze instrumentale Zwischenspiele begleiten die Szenenwechsel. Die Partitur als solche wirkt insgesamt gut durchgehört, ist farbig instrumentiert und wird von der Badischen Staatskapelle und dem vierzehnköpfigen Ensemble unter GMD Kazushi Ono engagiert und sicher realisiert. Warum das etwa siebzigminütige Werk im Untertitel „Musiktheater“ heißt und nicht „Oper“, wird allerdings nicht deutlich. Im Gegenteil, sowohl die Komposition als auch Michael Hampes Inszenierung wirken in vieler Hinsicht ausgesprochen „opernhaft“ und konventionell. Auf Henning von Gierkes ansprechender Bühne treten die Figuren auf und gestikulieren wie in einem alten Bibel- oder Historienschinken, Diktion und Gesangsstil sind von Pathos aufgeladen; Glockenschläge, Trommelpassagen und Windmaschinen als musikalische Signale der kommenden Bedrohung wirken im musikalischen Kontext plakativ. Dabei hätte man mit Bild und Musik in die Tiefe gehen müssen. Zum einen hat Barlach selbst eingeräumt, dass ihn in seinen Dramen der Dialog stets mehr interessiert hat als die Handlung. Zum anderen kann man Barlach-Rezensionen der 1920er-Jahre immer wieder den Hinweis auf die niederdeutsche Herkunft des Dichters entnehmen. Tatsächlich erkennt man in der „Sündflut“ einen durchaus norddeutschen Menschenschlag: erdnah, schweigsam, grüblerisch, begabt mit trockenem Witz ebenso wie mit einer Neigung zum „Spökenkiekertum“.

Welche Möglichkeiten hätte es hier gegeben, die Handlung sinnreich zu bebildern, mit Musik Atmosphäre zu schaffen und psychologische Abgründe auszuloten! Und wie spannend wäre es gewesen, die bei Barlach angelegte Spanne zwischen Noah’scher Familienkomödie und allgemeiner Menschheitstragödie zu entfalten! Aber jeglicher Ansatz zu Witz erstickt im Bühnenpathos.

In Noah (Wolfgang Neumann) und Calan (Bent Norup) erlebt man so auf der Bühne kaum mehr als zwei üble, verschlagene Typen, denen Glück und Leid ihrer Mitmenschen nur zum Vorwand werden, theologische Spitzfindigkeiten und Gemeinheiten auszutauschen. Wenig originell ist auch die Idee des Regisseurs, Gott (Bodo Brinkmann) im Verlaufe der Inszenierung sterben zu lassen: Als Reisender tritt er auf wie Wotan in Wagners „Siegfried“, als Bettler wird er von den im Lande umherstreifenden „Wolfskindern“ erschlagen. Nicht nur ist die Szene, in der die Turnergruppen zweier Karlsruher Vororte als heulende Untermenschen über den Verletzten herfallen, eine gedankenlose Peinlichkeit. Unerfindlich bleibt auch, wieso die Sintflut nach dem Tode ihres Lenkers überhaupt noch stattfindet. Dass sie stattfindet, ist dennoch zu begrüßen, denn immerhin gibt sie dem Ausstatter Anlass zu stilvollen Projektionen und eindrucksvollen Lichteffekten.

In der Karlsruher „Sündflut“ hat Calan das letzte Wort. Der Komponist hat ihm ein attraktives, jazzartiges Saxophonsolo beigegeben, das zum Text eigentlich gar nicht passt. Aber war es nicht auch schon in den 1920er-Jahren so, dass die Schurken (in „Johnny spielt auf“ oder der „Dreigroschenoper“) die aufregendste Musik hatten? Vielleicht ist ja die Karlsruher „Sündflut“ bloß in ihrem eigenen hohen Anspruch ertrunken.

Andreas Hauff

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