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Zukunft für das Theater?
Die aktuelle Debatte um Äußerungen von Peter Konwitschny
Die Wochenzeitung DIE ZEIT veröffentlichte (in Nr. 19/2001
vom 3. Mai, S. 49/50) ein Interview mit dem Opernregisseur Peter
Konwitschny, 56, das Claus Spahn geführt hatte. Oper
& Tanz zitiert die Abschnitte, in denen Konwitschny sich
mit den Theaterverhältnissen befasst; seine Äußerungen
lösten teils Empörung, teils Widerspruch aus. (siehe Reaktionen)
Ausgehend von Konwitschnys Interpretation des Falstaff
in Graz, die Verdis Oper als Untergangsszenario eines Theaters
angelegt hatte, fragte DIE ZEIT, ob das Theater nach Konwitschnys
Meinung keine Zukunft mehr habe.
KONWITSCHNY: Ja und nein. Ich möchte mich da nicht
festlegen. Ich möchte sagen dürfen, dass ich gespalten
bin. Argumentativ glaube ich, dass unsere Kultur in ihrem Endstadium
ist. Das Sterben hat schon lange begonnen, und wir gehen irgendwann
genauso unter wie Ägypten oder Mesopotamien.
ZEIT: Sie glauben an den Untergang des Abendlandes?
KONWITSCHNY: Absolut. Und ich finde es schade, dass einem
das sofort als Sentimentalität ausgelegt wird, als Selbstmitleid.
Es ist doch eine ganz natürliche Sache, dass alles seinen
Anfang und sein Ende hat, auch unsere Zivilisation. Es ist ein
Wahnglaube, unsere Kultur sei unsterblich. Beethoven ist unsterblich
so ein Nonsens. Und wenn etwas zu Ende gegangen ist, kann
auch wieder was Neues entstehen. Insofern finde ich auch, dass
sich das Theater erschöpft hat...
ZEIT: Dass etwas zu Ende ist und trotzdem weitergeht, ist
ja auch in den Opernstoffen selbst immer wieder ein Thema.
KONWITSCHNY: Es stimmt. Bleiben wir bei Verdi... Nabucco,
entstanden in einer tragischen Situation, als Verdi sich mit dem
Tod von Frau und Kindern konfrontiert sah. Er schreibt diesen
Va Pensiero-Chor. Der Gedanke an was Schönes,
an eine Hoffnung, dass es doch irgendwann besser wird in
der tiefsten Verzweiflung. Für Verdi ist das typisch. Vielleicht
werden überhaupt nur dann starke Kräfte mobilisiert.
ZEIT: Waren Sie schon einmal so weit, dass Sie ganz aufhören
wollten mit der Opernregie?
KONWITSCHNY: Nein, aber manchmal sind es die Theaterverhältnisse
selbst, die mich an diesen Punkt bringen, an dem ich mir sage:
Das machst du nicht mehr mit, jetzt hörst du auf. Als ich
zu studieren begann, dachte ich, das ist ein Beruf, in dem man
Kunst macht. Wie man sich das als junger Mensch so vorstellt:
Ich mache jetzt Kunst. Und dann musste ich bei meinem ersten Praktikum
feststellen, dass das, was man machen will, nämlich das Schöne
zu gestalten, nur ein kleiner Teil ist. Der Rest der Arbeit ist
Organisation. Man hat die Aufgabe, Menschen dazu zu bringen, etwas
zu tun, was die erst mal überhaupt nicht wollen. Die lernen
irgendwelche Töne und machen sich überhaupt keinen Kopf.
Das sind meine Probleme. Diese träge Masse zu bewegen! Wenn
ich auf der Probe nicht wie ein Tier herumspringe, bewegt sich
nichts. Ich kriege einen Chor oder eine größere Menge
Menschen nicht mit Argumenten. Die machen das nicht, weil sie
denken, der weiß, wie das geht. Nein, es ist so, dass ich
wie ein Medizinmann vor ihnen herumspringe und sie hypnotisiere.
Das kostet viel Kraft. Der Chor zum Beispiel hat das gewerkschaftliche
Recht, unvorbereitet auf die Probe zu kommen. Die müssen
zu Hause nichts tun. Angesichts der Gesamtsituation, in der wir
uns befinden, ist das absurd. Das Theater geht so zu Ende. Wir
sind ja überhaupt nicht mehr in der Lage, noch Wahrheit aufzuspüren.
Ich bin jetzt 56. Mein Herz hat angefangen, viel zu schnell zu
schlagen.
ZEIT: ... Ihre Inszenierungen werden immer als Erstes genannt,
wenn es zu beweisen gilt, dass vom Musiktheater der Gegenwart noch
ein große Kraft ausgeht...
Ihre Mahagonny-Inszenierung in Hamburg hatte geradezu
etwas aufrüttelnd Brechtisches. Am Ende haben Sie dem Publikum
ein riesiges Transparent vor die Nase geknallt, auf dem stand sinngemäß:
Warum dieses zähe Festhalten an der Berauschung? Eine Diskussion
der heutigen Gesellschaftsform würde sofort zu einer absoluten
Bedrohung dieser Gesellschaftsform überhaupt führen.
KONWITSCHNY: Ja. Ein Brecht-Zitat von 1927.
ZEIT: Sie haben da gewissermaßen die politische Systemfrage
gestellt. Glauben Sie noch an die sozialistische Utopie?
KONWITSCHNY: In dem Stück geht es nicht darum, was
werden soll, sondern, was ist. Und das ist sehr bedenklich. Ich
finde nach wie vor die Theorie von Marx richtig, dass der ganze
Schlamassel da ist durch das Privateigentum an Produktionsmitteln.
Aus Fromms Blickwinkel heißt das Haben oder Sein.
Aber für mich ist das nicht mehr eine Frage der Verzweiflung,
sondern des schmerzlichen Amüsements: dass da immer noch
viele ernsthaft glauben, man könnte politisch irgendetwas
erreichen oder verhindern. Die Konzentration von Besitz und Kapital
in den Händen weniger ist so stark. Die wirklich Mächtigen
werden den Teufel tun, es sich ausreden zu lassen, darüber
zu verfügen. Die ganze Axiomatik unserer Zivilisation stimmt
nicht. Das sind falsche Grundvoraussetzungen von Organisation
belebter Materie.
ZEIT: Und Theater ist da für Sie ein Instrument der
Aufklärung?
KONWITSCHNY: Ja. Kunst darf sich nicht in sich erschöpfen,
indem am Ende alle begeistert sind, weil es so schön aussah.
Es muss etwas in die Gesellschaft zurückwirken. Ein Impuls,
etwas zu verändern. Dieser Widerhaken muss angebracht werden.
ZEIT: Kann es sein, dass es den Regisseuren immer schwerer
fällt, diesen Widerhaken anzubringen, weil die hohe Zeit des
Regietheaters zu Ende geht?
KONWITSCHNY: Ich betrachte mich nicht als dem Regietheater
zugehörig, weil ich mich den Werken sehr verpflichtet fühle
und meine Ideen aus den Stücken hole. Meine Ideen
aus den Stücken, eigentlich ein Widerspruch.
Mein Musiktheater funktioniert deshalb gut, weil es sehr, sehr
eng mit den Stücken verbunden ist.
ZEIT: Jürgen Flimm hat kürzlich in Bezug auf das
Schauspiel kritisiert, die Regisseure seien an die Stelle der Autoren
getreten, das habe zu einer Überforderung des Regiebegriffs
geführt, zu einer Art spätromantischem Geniekult.
KONWITSCHNY: Was Flimm sagt, finde ich sehr traurig. Das
ist so ein Fall Galileo Galilei. Einer, der seine eigene Erfindung
widerruft, der die vier Monde entdeckt hat und sagt, sie sind
nicht da. Dem hat man die Instrumente gezeigt, und dann hat er
Angst gekriegt. Ich kann es mir nur so erklären, dass ihm
als Regisseur nichts mehr einfällt.
Sehr traurig...
Antworten
und Reaktionen
Die Reaktionen ließen nicht lang auf sich warten.
Jürgen
Flimm, Regisseur und Präsident des Deutschen Bühnenvereins,
sandte der ZEIT einen Leserbrief:
Für meine Verdammnis fehlen Herrn Konwitschny zweierlei
wichtige Voraussetzungen: Weder hat er was von mir gesehen noch
gelesen. Wie könnte er mir sonst das verstaubte Maskottchen
aller ehemaligen DDR-Intellektuellen um den Hals hängen,
den vergoldeten Galilei, verliehen an Wendehälse und Renegaten?
Verwunderlich zwar, ich meine allerdings, was ich sage, und das
schon seit geraumer Zeit: Ob dies nun ins Wohlbefinden der allgemeinen
ästhetischen Debatte passt oder nicht.
Der
Vorstand des Staatsopernchores Hamburg schrieb Konwitschny
einen offenen Brief, den auch DIE ZEIT veröffentlichte:
Konwitschny diffamiert pauschal alle Opernchöre. Es
gibt für Chorsänger kein gewerkschaftliches Recht,
unvorbereitet zu Proben zu erscheinen. Vielmehr sind die Rechte
und Pflichten eines Chormitgliedes durch Dienst- und Tarifvertrag
geregelt. Konwitschny trifft damit gerade die, die zum Beispiel
in Hamburg seine legendäre Lohengrin-Produktion
zu großen Teilen tragen. Was ihn dazu bewogen haben mag,
wir wissen es nicht. Zurück bleiben Zorn und Ratlosigkeit
sowie eine völlig unnötige Belastung der zukünftigen
Zusammenarbeit.
gez. Harro Brodersen, Gabriele Alban
Für
den Vorstand des Opernchores der Sächsischen Staatsoper
Dresden schrieb Margot Ehrlich:
Mit großer Verwunderung und mit noch viel mehr Empörung
über die Äußerungen zur Arbeit der Opernchorsänger
wurde das Interview von Herrn Konwitschny von unserer Kollegenschaft
gelesen. Es ist schon sehr erstaunlich, mit welcher Missachtung
und Ignoranz öffentlich ein ganzer Berufsstand pauschal auf
das unterste Niveau herabgewürdigt wird. Herr Konwitschny
muss ja an den Theatern Schreckliches erlebt haben, dass er sich
zu solchen Äußerungen genötigt sieht. Wir können
seine Erfahrungen nicht beurteilen, sondern möchten nur unserer
tiefen menschlichen Enttäuschung Ausdruck verleihen, dass
wir unsere bisherige gemeinsame Arbeit so falsch bewertet hatten...
Wir fühlen uns in unserer Arbeit nicht ernst genommen. Wenn
wir so behandelt werden, kann wohl kaum mehr von gegenseitiger
Achtung die Rede sein.
Schade, Herr Konwitschny!
Annähernd ähnlich äußerte sich Johannes
Egerer für den VdO-Ortsverband der Würtembergischen Staatsoper
Stuttgart und viele andere mehr. Sie alle forderten die VdO auf,
Konwitschny um eine Korrektur seiner Äußerungen zu bitten.
Abschließend Stefan Meuschel, Geschäftsführer
VdO
Sehr geehrter Herr Konwitschny,
die Vorstände der deutschen Opernchöre, die mit Ihnen
in den vergangenen Jahren gearbeitet haben, neben gut drei Dutzend
einzelner Sänger aus dem Chor- und dem Solo-fach, haben uns
in den letzten zwei Wochen aufgefordert, Sie herzlich zu bitten,
die pauschale Diffamierung aller Musiktheater-Mitwirkenden, die
Sie in Ihrem Interview mit Claus Spahn in DIE ZEFI (Nr.19/2001,
S.49/50) glaubten äußern zu müssen, an selber
Stelle zurechtzurücken. Wir bitten Sie hiermit dringlich
darum.
Obschon wir nicht wissen, in welcher Stimmung Claus Spahn Sie
ereilt hat, und ob Sie den Text im Wortlaut freigegeben haben,
erlauben wir uns die Meinung zu äußern, daß Ihr
Interview an den arbeitslosen Totengräber gemahnt, der zwecks
Arbeitsbeschaffung zum Mörder wird.
Ihren wohlfeilen Kulturi,essimismus, ein bisserl Untergang des
Abendlandes, ein bisserl Veilust der Mitte, würden wir Ihnen
ja gerne zugestehen, sprächen Sie nicht zugleich als vorgeblicher
Marxist von Brecht, vom Impuls, etwas zu verändern, und von
der Rückwirkung des Theaters in der Gesellschaft. Letzteres
steht Ihnen aber nicht zu: Wer das (Musik-)Theater derart subjektivistisch
als persönlichen Auslebeort seiner Kunstauffassung betrachtet,
auf dem der große Zampano Konwitschny wie ein Tier (!),
wie ein Medizinmann, wie ein Hypnotiseur die träge Masse
der Mitwirkenden gegen deren Willen dazu bringen muß, etwas
zu tun, von dem nur er weiß, wie es geht, dem ist es nicht
erlaubt, den Namen Brecht oder den Begriff Veränderung auch
nur zu denken.
Wer wie Sie meint, die größere Menge Menschen, die
da mit Ihnen gemeinsam (Musik-)Theater macht, sei nicht mit Argumenten,
sondern nur mit der Uberwältigung zu gewinnen, der sollte
sich in der Tat sagen: Jetzt hörst Du auf. Aber nicht, weil
die Theater-Verhältnisse so sind, wie Sie behaupten, sondern
weil die KonwitschnyVerhältnisse so sind, wie wir meinen.
Einen derart totalitären, ICH mache jetzt Kunst-Subjektivismus
vertrat nicht einmal der sturzbesoffene Jürgen Fehling, wenn
wir, Assistenten an den Münchner Kammerspielen, uns bemühten,
ihn, wenn schon nicht zurück auf die Probe, so doch wenigstens
ins Hotel zu bugsieren. Und Fehling hatte Grund zu saufen und
zu verzweifeln.
Auf die Details Ihrer Untergangsszenarien einzugehen, lohnt
sich kaum.Was Sie da über die Entstehung von Verdis Nabucco
erzählen, angeblich geprägt von einer tragischen Situation,
ist schlichtweg Unfug: Der Komponist war bis über beide Ohren
in Giuseppina Strepponi verliebt und keineswegs mehr mit dem Tod
seiner Frau konfrontiert. Und natürlich sind Bühnenregisseure
nicht zuletzt auch Organisatoren: Deshalb hat ja das OLG Dresden
Sie nicht zum Urheber ernannt. Und Ihre Behauptung, Sänger,
speziell Opernchorsänger, seien gewerkschaftlich berechtigt,
unvorbereitet auf die Probe zu kommen, können Sie allenfalls
als sprichwortlichen Bären einem Journalisten aufbinden.
Wenn Derartiges Ihnen praktisch widerfahren sein sollte, dann
haben Sie als Organisator (und als Kunst-Macher, der sich zu fein
dünkt, Tarifverträge zu lesen) gründlich versagt.
Wir wollens damit gut sein lassen. Als kleine Anregung
fügen wir Ihnen Götz Friedrichs letzte größere
Rede (und Harry Kupfers Laudatio auf Friedrich) bei, die sich
beide mit Ihrem Problem, Argument oder Gewalt, befassen.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Meuschel Geschäftsführer
DIE
ZEIT veröffentlichte daraufhin am 31. Mai 2001 einen Auszug
aus einem Schreiben Konwitschnys an den Hamburger Staatsopernchor:
Konwitschny, erschrocken über die Reaktionen, hat einen
erklärenden Brief an den Hamburger Chor geschrieben. Nichts
liege ihm ferner, als die außergewöhnlich fruchtbare
Zusammenarbeit in Misskredit zu bringen. Die Formulierung sei unglücklich
gewesen, ein gewerkschaftliches Recht unvorbereitet zur Probe zu
kommen, gebe es natürlich nicht. Gemeint war, dass ein
Chorsänger meines Wissens nach nicht verpflichtet ist, auch
zu Hause seine Partien zu erarbeiten. Und wenn ein Chor so über
die Maßen inspiriert und engagiert singt und spielt, wie Sie
das zum Beispiel im Lohengrin getan haben, dann ist
es ja gerade deshalb, weil Sie sich auch außerhalb der Proben
noch mit der Materie beschäftigen. (...) Verzeihen Sie, wenn
ich in der Verknappung eines Interviews diese missverständlichen
Worte gewählt habe.
Die Geschäftsführung der Hamburgischen Staatsoper mahnte
nun in verschiedenen Gesprächen mit allen Beteiligten einen
Blick nach vorne an. Don Carlo unter der Regie
Konwitschnys steht bevor.
Das sehen wir im Moment noch ganz anders, verlautete
aus dem Opernchor.
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