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Rehabilitierte Musikdramatik
Braunfels Der Traum ein Leben in Regensburg
· Von Juan Martin Koch
Horch es schlägt! Drei Uhr vor Tage! Auch als Rustan
im dritten Akt auf dem Höhepunkt des Gewaltspuks seine Situation
realisiert, also in die Realität übersetzt und sich nach
dem Tagesanbruch sehnt, der ihn wieder zu dem macht, der er war,
schlägt die Szenerie nicht in geläuterte Einsicht um.
Unerbittlich will der Traum zu Ende geträumt sein und die Genien
entlassen den gebrochenen Helden in eine Wirklichkeit, die in ihrer
abgeschotteten Scheinidylle auch nur Trugbild, auch nur Tagtraum
ist.
Zwischen den Welten, zwischen den Zeiten steht auch Walter Braunfels
Oper Der Traum ein Leben (nach Grillparzer), ein Werk,
das nach der Vollendung in der erzwungenen inneren Emigration (1937)
seine eigentliche Ur-Aufführung auf der Bühne nicht erleben
durfte. In der musikalischen Sprache schon zur Entstehungszeit eher
aus der Retrospektive heraus gestaltet, musste die Ur-Sendung 1950
zwangsläufig in der verspäteten Rezeption der Neuen Wiener
Schule und der sich neu formierenden Avantgarde untergehen. Die
Regensburger Wiederentdeckung, die sich einreiht in eine verstärkte,
bisher aber vornehmlich auf Die Vögel von 1920
fokussierte Braunfels-Rezeption, erwies sich nun als ein über
die Beschwichtigungsformel verdienstvoll weit hinausweisendes
Signal der Rehabilitierung eines begnadeten Musikdramatikers. Denn
retrospektiv bedeutet bei Braunfels nicht ein sich Einrichten in
vokaler und orchestraler Fin-de-Siècle-Opulenz, sondern psychologisch
subtiles Musiktheater mit den erweiterten Mitteln der (deutschen)
Operntradition. Die harten Schnitte, die er mit großem dramaturgischem
Gespür und modernistisch ergänztem Instrumentarium setzt,
entfalten im Umfeld des unhaufhaltsam fortströmenden Klangflusses
ihre Wirkung umso stärker.
Regensburgs GMD Guido Johannes Rumstadt, dessen Initiative diese
Produktion zu verdanken ist, hatte das Philharmonische Orchester
bestens für diese anspruchsvolle, aber durchaus dankbare Aufgabe
präpariert. Das Kollektiv erfüllte den großzügig
bemessenen Klangraum mit angemesser Leuchtkraft und der nötigen
Trennschärfe im instrumentalen Detail.
Auch Braunfels Fähigkeit, die Stimmen idiomatisch, aber
nicht mit selbstgefälliger Nachgiebigkeit zu führen, wurde
vom Sängerensemble mit vorbildlicher Präsenz umgesetzt.
Michael Waldenmaiers heldisch-verzweifeltes, gleichwohl durchschlagskräftiges
Tenortimbre ergänzte sich bestens mit einer Sally du Randt,
die die Doppelrolle als mild besorgte Gefährtin im wirklichen
Leben und unerbittlich machtbeflissene Traumprinzessin auch vokal
zwischen Schmelz und metallischer Härte souverän anzusiedeln
wusste. Gegenüber Adam Kruzels spöttisch-bedrohlichem
Zanga fiel Georg Paucker als König allerdings ab, in den Nebenrollen
bestach Maria Soulis als die dealende Szenefrau, in die Regisseur
Alois Michael Heigl die Rolle der Alten mit dem Gifttrank umgedeutet
hatte.
Sein im Prinzip nachvollziehbarer Ansatz, die Interpretation der
Traum- und Lebenswelten als Ganze in der Schwebe zu halten und stattdessen
mit einzelnen, dem musikalischen Verfahren nicht unähnlichen
Akzenten immer neue, teils psychologisierende, teils aktualisierende
Deutungsfenster zu öffnen, vermochte das Stück nicht über
die ganze Strecke zu tragen. Für den in Missbrauch umschlagenden,
durchaus mit Zeitbezug aufgeladenen Rausch von Erfolg und Macht,
fanden er und seine Ausstatterin Uta Fink nur partiell adäquate
Bilder, etwa wenn die neue Herrscherin Evita gleich ans Mikrofon
tritt und die Massen ruhig stellt. Nur selten und unentschlossen
waren die naiv-märchenhaften Requisitenreste ins Surrealistische
verfremdet. Was blieb, war die Realitätsnische, in der Rustan
am Ende zwischen den Polen der Selbstbescheidung und des Ausbrechens
zweifelnd verharrt. Dennoch war zu spüren, dass hier ein wichtiges
Stück Musiktheater des 20. Jahrhunderts möglicherweise
im 21. endlich angekommen ist und weitere und weiter gehende
Regieanstrengungen vorausgesetzt vor einer dauerhaften Renaissance
stehen könnte.
Juan Martin Koch
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