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Briefmarkensammler werden sich erinnern: Zunächst gedacht
zur Finanzierung der die drei Westsektoren Berlins versorgenden
Luftbrücke, wurde 1948 die Notopfer-Marke eingeführt.
Auf jede Postsendung musste die kleine, blaue Steuermarke im Wert
von zwei Pfennigen neben die Briefmarke geklebt werden, die das
Konterfei von Papa Heuß schon in dessen zweiter
Amtszeit zeigte, als das Notopfer Berlin im Jahr 1957
endlich abgeschafft wurde. Ob solch ein Notopfer Berlin
nicht wieder an der Zeit ist?
Die Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen bis 1990 hatte
zwar einen Sitz der Regierung, aber weder Zentrum noch Hauptstadt.
Es ist nicht ohne Ironie, dass das Provisorium Bonn in dem Moment,
als es ein Regierungsviertel mit neuem Bundestag und sogar zwei
Museen zu etablieren begann, seine Hauptstadt-Funktion verlor.
Die neue Bundeshauptstadt Berlin aber ist ein ausgepowerter
Großstadt-Staat. Er ist mit 65 Milliarden Mark doppelt so
hoch verschuldet wie Hamburg, mit dem er 1992 noch gleichauf lag.
Die Arbeitslosenquote liegt bei rund 20 Prozent. Der Zuschuss des
Bundes zum Berliner Haushalt ist im Zuge der Normalisierung
nach der Vereinigung von rund 20 Milliarden im Jahr 1991 auf jetzt
7,5 Milliarden Mark reduziert worden. Das Debakel um die Berliner
Bankgesellschaft, die mit rund 16.000 Mitarbeitern Berlins zweitgrößter
privater Arbeitgeber ist, treibt das Land an den Rand
der Zahlungsunfähigkeit. Nicht zuletzt Berlins Kulturpolitikern
muss es den Angstschweiß auf die Stirn treiben, wenn der Regierende
Bürgermeister jetzt von einer neuen Dimension des Sparens
spricht.
Sie stehen ohnehin vor dem Problem, dass die Stadt Berlin erstmals
seit rund 300 Jahren seine Hochkultur allein bezahlen soll. Bis
1990 waren es die Brandenburger Hohenzollern, das Königreich
Preußen, das Deutsche Reich der Weimarer und der NS-Zeit,
die Regierungen des Bundes und der DDR, die da zum Beispiel die
vormals Königlichen, jetzt Preußischen Staatstheater,
die Staatlichen Bühnen oder die Staatsoper
Unter den Linden (mit-)finanzierten. Es war nicht die Stadt
Berlin, sondern das Preußische Ministerium für
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, das drei eigenständige
Opernhäuser in Berlin unterhielt. Nur Traumtänzer können
glauben, dass die Stadt, deren Steueraufkommen und Wirtschaftswachstum
im regionalen Vergleich ganz unten rangieren, diese (Hauptstadt-)Lasten
allein zu tragen in der Lage sei.
Der jetzt abschlussreife Hauptstadt-Kulturvertrag, nach dem der
Bund zunächst bis 2004 das Jüdische Museum, die Festspiele
und das Haus der Kulturen der Welt übernimmt, mindert die Probleme
nur marginal. Die Bundesregierung hat ihre geringen kulturpolitischen
Kompetenzen, kaum war sie nach Berlin umgezogen, kraftvoll in einem
neuen Staatsministerium gebündelt, dessen Chef der Volksmund
zum Berlin-Minister ernannt hat. Es ist jetzt an der
Regierung eines der reichsten Länder der Welt, ihre Hauptstadt
nicht zum kulturellen Abwicklungsunternehmen werden zu lassen, es
ist aber auch zugleich an den Bundesländern, sich mit dem Bund
über seine kulturpolitischen Kompetenzen zu verständigen,
bevor die berüchtigte normative Kraft des Faktischen
das Grundgesetzt beschädigt.
Ein Notopfer Berlin ist gefragt es muss
ja nicht wieder eine Steuermarke auf dem Briefumschlag sein.
Ihr Stefan Meuschel
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