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Kulturpolitische Mahnung
Febels Besuchszeit in der Reihe bonne chance!
· Von Frank Kämpfer
Die Expedition beginnt nahe am Publikum im äußersten
Winkel des Raums. Licht, Projektionen und Gazevorhänge bilden
ein Labyrinth. Drei Akteure in Overalls untersuchen Meter um Meter.
Ihr Gebaren wirkt komisch, doch die Harmlosigkeit gesprochener Dialoge
wird von heftig schlagenden Bläserakkorden umgehend Lügen
gestraft. Quer durchs Publikum bohrt sich ein Scheinwerferstrahl,
per Tonbandzuspiel durchqueren Zuggeräusche den Saal. Die Musiker
und später die Sänger beide bis zum Schluss unsichtbar
nehmen den Grundrhythmus auf.
Reinhard Febels Besuchszeit, ein Auftragswerk des Bonner
Theaters, bedient sich in der Uraufführungs-Fassung aller Theater-Medien.
Zugleich vermittelt es sich ganz traditionell über Aktion,
Wort und Musik. Inhaltlich geht das Stück auf einen Science-Fiction-Roman
der Brüder Strugatzki zurück, der seinerseits Ende der
70er-Jahre Andrej Tarkowski zu seinem berühmten Film Stalker
inspirierte. Ähnlich wie Film und Literatur spielt auch das
Stück in einem künstlichen Raum, in dem die Akteure nicht
Ufos und Aliens, sondern dem Unterbewussten begegnen. Reinhard Febel
lässt seine drei Protagonisten (s. Foto) dabei die Orientierung
verlieren und entfacht im selbstverfassten Libretto einen Diskurs
über kontroverse Erscheinungs- und Wahrnehmungsweisen von Zeit.
Regisseur und Ausstatter Michael Simon seinerseits inszeniert den
suchenden Menschen, der sich in unscharfen Welten verliert. Die
drei Sprecher/Darsteller werden dazu in verschiedene Räume
geschickt. In ihnen finden sich Gebrauchsgegenstände verschiedener
Zeiten, die Wände wiederum sind mit Zeit-Definitionen bedruckt.
Zeit bestimmt auch den musikalischen Part. Zunächst sind schauspielartige
Szenen und die impulsiven, partiell betäubenden Klänge
streng voneinander getrennt. Dramaturgisch betrachtet, fungiert
Musik als eine andere Sprache, als das Andere an sich.
Wenn sie erklingt, erstarrt anfangs das Szenengeschehen; sie entfaltet
sich dafür opulent: Blechbläser und Schlagwerk brillieren
in schillernden Farben, sechs Vokalisten imaginieren utopische Stimmen
aus einer anderen Zeit oder Welt. Nach und nach überlagern
sich Geräuschspiele und gesprochene Szenen mit dem musikalischen
Part. Instrumente imitieren Rhythmen, Vokalisen grundieren Monologe,
geballte musikalische Aktion dominiert mehr und mehr die theatrale
Substanz.
Mit dieser Dramaturgie reiht sich Reinhard Febels Besuchszeit
in eine schon stattliche Reihe neuer musikalisch-theatralischer
Werke, die in Bonn Möglichkeiten des Zusammenspiels von Theater,
Bildender Kunst, Neuen Medien und neuer Musik erkunden. Initiator
Klaus Peter Kehr hatte dieses Neue Theater für Musik
vor gut einem Jahrzehnt als Koproduktion installiert. Die Kunst-
und Ausstellungshalle am Regierungsbezirk stellt Bühne, Technik
und Saal, die Oper schreibt pro Saison zwei Aufträge aus und
engagiert Autoren und Protagonisten. Achim Freyer und sein Ensemble
erhielten anfangs dafür mehrfach den Zuschlag, Thomas Körner
wurden verschiedene Libretti in Auftrag gegeben. Paul Eszterhazy
übernahm 1997 dieses Gastspielmodell, öffnete seine Versuchsreihe
bonne chance! jedoch einer ästhetisch größeren
Vielfalt. Multimediale Experimente jüngerer Komponisten wie
Beat Furrer, Helmut Oehring und Michael Gordon kamen so auf den
Plan sie wurden von Partnern wie der Musikfabrik NRW, den
Dirigenten Wolfgang Ott und Anton Zapf sowie dem Regisseur Michael
Simon realisiert.
Seitdem Jens Neundorf die avancierte Reihe betreut, gastierte die
Musikfabrik NRW bereits zweimal. Sie war im Frühjahr als Orchester
für Effi Briest verpflichtet, sie garantierte auch
Reinhard Febels sinnlich-expressiver Theatermusik den verdienten
Premierenerfolg. Während der 60-minütigen Aufführung
blieb das avancierte Ensemble allerdings hinter bedruckten Leinwänden
und Gazevorhängen versteckt. Regisseur Michael Simon hatte
die Bühne als Installation konzipiert, die für das Publikum
lediglich außerhalb der Aufführung einsehbar war. In
Gestalt von Zitaten und Requisiten waren versatzstückhaft Theaterproduktionen
der vergangenen Jahre präsent. Kulturpolitisch gesehen, war
dies durchaus als Mahnung zu verstehen, die erfolgreichen Bonner
Bühnen künftig nicht, wie geplant, wieder zum Kleinstadttheater
zu schrumpfen.
Frank Kämpfer
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