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Buchrezension: „Fifty Contemporary Choreographers“
Neue Bücher, kurz vorgestellt

 

Tanzgeschichte

50 zeitgenössische Choreografen

„Fifty Contemporary Choreographers“, Hg. Martha Bremser, Routledge, London/New York 1999, 223 Seiten, GBP 14, 99 (TB: ISBN 0-415-10364-9, gebunden: ISBN 0-415-10363-0).

Tanzliteratur, erst recht Arbeiten über die Moderne, über den zeitgenössischen Tanz – das ist in Deutschland immer noch Rarität. Deshalb greifen wir seit Jahren zu den Neuerscheinungen der angelsächsischen Länder, die uns in der Beobachtungslust, im historischen Bewusstsein, in der Reflexion über den Tanz ein gutes Stück voraus sind.

Von Martha Bremser, die bereits das informative zweibändige International Dictionary of Ballet herausgegeben hat (St. James Press, London, 93), liegt nun „Fifty Contemporary Choreographers“ vor (Routledge, London/New York 1999). Dass es ausgerechnet 50 Tanzschöpfer sind, liegt wohl am Verlag, der in dieser Zahl offensichtlich einen repräsentativen Querschnitt sieht. Zu entnehmen dieser Routledge-Serie, die jeweils fünfzig Denker, Philosophen, Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen und Künstler versammelt, und zu der Bremser hiermit den sechsten Beitrag geliefert hat.

Die Herausgeberin musste also eine Auswahl treffen. Eine äußerst schwierige Aufgabe – bei der ungeheuren Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes, bei der großen Zahl der nachgewachsenen Choreografen. Letztere sind hier nur sehr spärlich berücksichtigt. Der Brite Jonathan Burrows (Jahrgang 60) und vielleicht noch seine zehn Jahre ältere Landsmännin Siobhan Davies gehören zu dieser Minderheit in Bremsers „Reigen der 50“. Der Brite Laurie Booth ist auf Grund seiner in den frühen 80er-Jahren entstandenen Arbeiten nicht mehr zu den jüngeren Tanzschöpfern zu zählen. Und ob der gebürtige Schotte Michael Clark (Jahrgang 1962) im künstlerischen Sinn „zeitgenössisch“ oder doch nur als schräger postmoderner Vogel, also rein zeitlich als zeitgenössisch einzuordnen ist, das bleibt die Frage.
Und damit sind wir bei dem problematischen Begriff „contemporary“. Umfasst er eine künstlerische Ebene? Setzt er die Entwicklung eines authentischen Stils voraus, auch eine gewisse Qualität? Oder ist „zeitgenössisch“ auf den Tanz bezogen alles, was in unserer Zeit choreografiert wird/worden ist? Und wenn, wie lange reicht diese Zeitspanne zurück? Martha Bremser macht sich das Indefinite des Begriffs, seine Dehnbarkeit zunutze. Schart – noch lebende – Choreografen zusammen, deren Wirken zwischen den späten 40er-Jahren und heute liegt.

So finden wir also in Martha Bremsers Anthologie den Formalisten-Altmeister Merce Cunningham (Jahrgang 1919!), Murray Louis und Paul Taylor, man könnte sagen: post-Martha-Graham-Choreografen. Wichtige, gewichtige Künstler, aber doch ältere Garde. Man findet David Gordon, Steve Paxton, Trisha Brown, Lucinda Childs, Laura Dean, Douglas Dunn, Meredith Monk – Choreografen und Grenzgänger, die die US-Postmoderne der 60er- und 70er-Jahre begründet haben. Väter und Mütter also von Stephen Petronio und Bill T. Jones, die ziemlich einsam hier jene Gruppe der US-Choreographen vertreten müssen, die in den 80er-Jahren mit neuen Bewegungsideen und New-Dance-Dynamik die Tanzbühnen eroberten. Mit Garth Fagan (Jahrgang 40) und Bebe Miller (Jahrgang 50) gibt es immerhin eine feine Spur des modernen afro-amerikanischen Tanzes.

Das deutsche Tanztheater ist vertreten, selbstverständlich, durch die Wuppertaler Chefin Pina Bausch, Frankreich mit Maguy Marin, Jean-Claude Galotta und Daniel Larrieu, Choreografen noch der Gründergeneration der Nouvelle Danse Française. Und Japan durch den Soloperformer Kazuo Ohno, das Paar Eiko und Koma und die Choreografin Kei Takei.

Großbritannien hat bei der Britin Bremser – verständlicherweise – den Vorteil des Heimspiels. Da entdeckt der Leser auch Namen, die hierzulande eher unbekannt sind. Und da Martha Bremser auf den zunehmenden künstlerischen Austausch zwischen Choreografen der freien Szene und den an großen Häusern etablierten Choreographen verweisen möchte, hat sie auch die großen Namen versammelt: den Frankfurter Ballettchef William Forsythe natürlich, Jiri Kylián, die belgische Tanzfrau Anne Teresa de Keersmaeker und andere.

Bedauerlich ist jedoch, wie bereits gesagt, dass die Gewichtung des Buches eher auf der Vergangenheit liegt, auf dem schon Erreichten – dem kritisch und kulturell völlig Abgesicherten.

Wie immer subjektiv die Auslese zum Teil ausgefallen sein mag – von Karole Armitage bis Lar Lubovitch und Mark Morris –, das Buch hat einen tanz-historischen und -wissenschaftlichen Wert. Die einzelnen Beiträge – ergänzt durch hilfreiche Kurzbiografien, Werklisten und Sekundärliteratur – vermitteln einen guten bis vertieften Einblick in Arbeit, Stil und Œuvre des jeweiligen Choreografen, ergeben im Zusammenklang das spannende Spektrum des zeitgenössischen Tanzes in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts, der – wie einige Beispiele verdeutlichen – auch erneuernd in die Sprache des klassischen Balletts hineingewirkt hat.
Die 31 Autoren, darunter international renommierte Tanzexperten wie Marcia B. Siegel und Deborah Jowitt – von ihr auch der einführende historische Überblick –, sind allesamt anerkannte, langerfahrene und engagierte Fachleute aus den Bereichen Tanz-Kritik, -Geschichte, -Wissenschaft, -Pädagogik und -Archivierung.

Malve Gradinger

 

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