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„Ring“-Wagnis

Ring-Tetralogie in Chemnitz · Von Werner Wolf

Nach 57 Jahren wurde erstmals wieder ein „Ring“-Zyklus in Chemnitz aufgeführt. Das Publikum erlebte eine werkgerechte Inszenierung des Operndirektors Michael Heinicke und des Chefdirigenten Oleg Caetani.

Allein das verdient schon besonderes Augenmerk: Während in Sachsen die Leipziger Oper seit acht Jahren eine Neuinszenierung von Richard Wagners Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ immer wieder mal lautstark, aber ergebnislos ankündigte und bevor die Sächsische Staatsoper Dresden den Beginn dieses Vorhabens für 2001 vermeldete, stellte das kleinere, finanziell gewiss nicht günstiger ausgestattete Opernhaus Chemnitz das Riesenwerk in knapp zwei Jahren auf die Bühne.

Geschlossene Regie

Mehr noch als dieses Faktum ist anzuerkennen, wie geschlossen und ausdrucksdicht das Werk geboten wird. Der Chemnitzer Operndirektor Michael Heinicke und der Chefdirigent Oleg Caetani vertrauen im Bunde mit dem Dramaturgen Volkmar Leimert, dem Bühnenbildner Wolfgang Bellach und dem Kostümgestalter Ralf Winkler der Aussagekraft des Werkes und der Fantasie der Theaterbesucher ohne Ehrgeiz auf eine eigene Lesart und Deutung. Für ihre Inszenierung nutzten sie wesentliche Erfahrungen und Ergebnisse der Leipziger „Ring“-Inszenierung von 1973/76. Dabei erweist sich, dass die von Wagner in Text, Szene und Musik gestaltete Gier nach Besitz und Macht mit all ihren tödlichen Folgen in der heutigen Welt noch bedrohlicher wirkt und keiner vordergründigen Aktualisierung bedarf.

   

Yue Liu (Hagen) und Janice Baird (Brünnhilde).
Foto: Wuschanski

 

Im ersten Bild von „Rheingold“ wird die Aufmerksamkeit nach den im neckischen Spiel von Wellgunde eher beiläufig gesungenen Worten vom weltbeherrschenden Ring auf die Bedingung des Liebesverzichts und (mit deutlicher Gestik und musikalischer Gewalt) auf Alberichs Verfluchung der Liebe gelenkt. Loges demagogische, die Riesen betörenden Schilderungen gipfeln in der „Proudhonschen“ Antwort auf Wotans Frage, wie der von Alberich geschmiedete Ring zu erlangen sei: „Durch Raub! Was ein Dieb stahl, stiehlst du dem Dieb: Ward leichter ein Eigen erlangt?“ Auch im weiteren Verlauf der Tetralogie beeindruckt, wie bündig Wagner die katastrophalen Vorgänge als Folge ungehemmter Besitz- und Machtgier gestaltete und wie gezielt die Inszenierung sie ins Spiel setzt. Zugleich wird der von falschen Vorstellungen ausgehende und deshalb scheiternde Versuch Wotans sicht- und hörbar gemacht, die Welt durch Verträge zu ordnen, Macht und Liebe zu verbinden.

Bei allem nutzen die Inszenatoren weitgehend die mit der 1992 abgeschlossenen Rekonstruktion des Chemnitzer Opernhauses geschaffenen enormen bühnentechnischen Möglichkeiten. Ein fantastisch changierend ausgeleuchtetes Gewirr bietet sich dem Auge beim Spiel der Rheintöchter. In diesem ersten Bild finden sich, wie sich an den folgenden drei Abenden zeigt, bereits wesentliche Elemente der gesamten Bühnengestaltung. Das Gewirr dient in „Siegfried“ in wundersam schillerndem Licht für das Waldbild mit dem großartigen Waldweben, in düsterer Färbung für die Nornenszene und erneut variiert für die Begegnung Siegfrieds mit den Rheintöchtern in „Götterdämmerung“. Die gläserne Walhall-Front im letzten „Rheingold“-Bild wird nicht nur im Finale der „Götterdämmerung“ wieder sichtbar, sondern auch während der in Walhall stattfindenden verhängnisvollen Auseinandersetzung zwischen Wotan und Fricka als Gefangene in ihrer eigenen Burg. Bildverbindungen bestehen auch zwischen der Hunding-Hütte und der Gibichungen-Halle. Als bedeutsames Symbol erscheint, im „Rheingold“ schon in Segmenten vorhanden, zuerst im Schlussbild der „Walküre“, dann wieder im „Siegfried“-Schlussbild sowie im Vorspiel der „Götterdämmerung“ in der Form eines die Bühne umschließenden Ringes das von Wotan beschworene Feuer um die von ihm verstoßene Brünnhilde. Im Finale der „Götterdämmerung“ schwebt er beim Brand Walhalls über der Szene.

Starkes Sängerteam

In der ersten zyklischen Aufführung wirkte das szenische und musikalische Geschehen dank der gegenüber den Einzel-Premieren weiter intensivierten Personenführung und gesteigerten Spielfreude noch eindringlicher. Die stärksten Eindrücke wecken der Engländer John Treleaven als Siegfried, die Amerikanerin Janice Baird als Brünnhilde, Jürgen Freier als Alberich und der Engländer Richard Berkeley-Steele als Siegmund, die neben dem Schweizer Hans-Peter Scheidegger als Wotan für diese insgesamt vom hauseigenen Ensemble getragene Inszenierung verpflichtet wurden.

Selbst in Bayreuth ist nicht immer ein so quicklebendiger Siegfried zu erleben, der im Schlussduett mit Brünnhilde noch so unangestrengt singt wie in den ersten beiden Aufzügen. Im Spiel mit Mime zeigt sich John Treleaven als kraftstrotzender, lausejungenhafter Naturbursche, der instinktiv Mimes Falschheit erspürt und aus diesem Gefühl heraus seiner Abneigung freien Lauf lässt. In Jürgen Mutze als Mime hat er dabei einen geradezu artistisch aufspielenden Partner. Tief berührend gestaltet Treleaven die ganz anders geartete Szene beim Waldweben. Da offenbart er, besonders beim Nachdenken über seine tote Mutter, eine bislang verschlossene, kaum erwartete Zärtlichkeit als sein innerstes Wesen. Auch für die Angst beim Anblick der schlafenden Brünnhilde findet er überzeugenden Ausdruck.

Janice Baird beeindruckt als Brünnhilde schon in der Begegnung mit dem Siegmund Richard Berkeley-Steeles mit ausgeprägt menschlichen Zügen. Mit großer Strahlkraft singt sie in den Duetten mit Siegfried wie im Racheterzett mit Hagen und Gunther. Nachhaltig berührt ihr nur von Hagen argwöhnisch belauschter Abschiedsgesang in der „Götterdämmerung“, vor dessen Beginn die Männer und Frauen (im Unterschied zu Wagners Anweisungen) die Bühne verlassen. Ihre Abschiedsworte richtet sie, soweit sie nicht Siegfried gelten, mit bittenden Gesten, doch beschwörend mit dem hochgehaltenen Ring als ihr fluchbeladenes Erbe, an die Theaterbesucher in der leisen Hoffnung, sie möchten doch Schlussfolgerungen aus all den Katastrophen ziehen. Dass mit der Rückgabe des Ringes an die Rheintöchter das Böse nicht aus der Welt ist, macht der Regisseur deutlich, indem er nach Brünnhildes Selbstopfer und Hagens Untergang Alberich allein auf der Bühne erscheinen lässt.
Als stimmgewaltiger (allerdings nicht immer deutlich artikulierender) Wotan gewinnt Hans-Peter Scheidegger bei der Wissenswette mit dem Mime Jürgen Mutzes jene darstellerische Gelöstheit, die schon bei der Auseinandersetzung mit Fricka zu wünschen wäre. Eine in Darstellung und Gesang dämonische Ausdrucksgewalt zeichnet Jürgen Freier als Alberich aus.

Oleg Caetani führt die Robert-Schumann-Philharmonie zu spannungsgeladener musikalischer Gestaltung. Er schafft nicht nur glanzvolle und abgründige Höhepunkte, sondern lässt auch erleben, welch feinsinnige, reich differenzierte „Kammermusik“ das Werk in sich birgt. Nur müsste er zuweilen noch mehr Rücksicht auf die Sänger nehmen.

Die Qualität der Inszenierung hatte sich schnell herumgesprochen. So reisten wie zu den Einzel-Premieren zur ersten zyklischen Aufführung viele auswärtige Gäste mit Bussen, Eigenfahrzeugen und Bahn zwischen München, Mannheim, Berlin und Stendal an.

Dieser Chemnitzer „Ring“ bekräftigt jene Worte, die Thomas Mann 1937 in seinem Züricher Einführungsvortrag sprach, nämlich dass dieses Werk „sozial-sittlich weit hinauszielt über alle kapitalistisch-bürgerliche Ordnung in eine von Machtwahn und Geldherrschaft befreite, auf Gerechtigkeit und Liebe gegründete, brüderliche Menschenwelt.“

Werner Wolf

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