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Das Trauma der Linken

Lombardi-Uraufführung in Leipzig · Von Reinhard Schulz

Die Fiktion „Dmitri oder Der Künstler und die Macht“ von Luca Lombardi wurde im April in Leipzig uraufgeführt. Das Libretto stammte vom Musikkritiker Hans-Klaus Jungheinrich.

   

Der übergroße Diktator: Wolfgang Newerla als Stalin in „Dmitri“

 

Es geht in diesem Musiktheaterwerk um ein Trauma: das Trauma der Linken, der 68er in Bezug auf künstlerische Tat im Verhältnis zu einer pervertierten Idee menschlicher Befreiung. Dafür steht Stalin, der die Hebel der Macht immer monströser, rücksichtslos und menschenverachtend seiner Ideologie unterwarf, dafür steht auch sein Pendant Dmitri Schostakowitsch, dessen künstlerisches Tun sich immer wieder als Akt des Freikämpfens aus dem politischen Zangengriff darstellte. Es ist ein heikles Verhältnis, denn immer wieder sah sich Schostakowitsch genötigt, Kompromisse mit der Sowjetmacht einzugehen – und dies durchaus nicht immer nur unter Zwang, sondern auch in Parteinahme für sozialistische Ideale oder auch einfach für sein Land im Kampf gegen den Hitlerfaschismus. So betonte denn auch der Komponist Luca Lombardi, dass er klar zu trennen suche zwischen der Idee von einer humanen Gesellschaft und ihrer Depravierung zum Apparat diktatorischer Niederhaltung. In dieser Spannung ist auch das kompositorische Wirken von Schostakowitsch angesiedelt. Wie bei allen anderen Künstlern, bei ihm allerdings in geschärfter Form, resultiert die persönliche Handschrift aus den Zwängen und Komplexen, aus den Perspektiven und Hoffnungen, die ihm seine Gesellschaft und deren Machtverhältnisse mitgeben. Freilich ist dies in Bezug auf Stalins Diktatur ein kontrovers heikles Thema. Zwei Hauptlager stehen sich unversöhnlich gegenüber: Das eine sieht Stalins Perversion als notwendiges Resultat sozialistischer Umwälzung, das andere (und das Autorenteam Luca Lombardi und der Librettist, der Musikkritiker Hans-Klaus Jungheinrich, gehört wohl eher dieser Fraktion an) spricht von einer Verbiegung einer fundamental positiven Idee. In dieser Situation verhielt man sich geschickt. Mit Pathos ist dem Gegenstand kaum beizukommen, und so entstand ein deliriumartiges Capriccio, ein greller Angst- und Schreckenstraum von Schostakowitsch, der die Stationen der russischen Revolution bis zu Stalins Tod, auch die ambivalenten eigenen Verstrickungen in historischer Reihenfolge abgreift. Es kommt zu Verbiegungen, Stalin wird zur Karikatur, mit Abstrichen auch die eigene Person Schostakowitschs. Da windet Stalin dem sterbenden oder schon toten Lenin eine Zarenkrone aus den Händen und wird zum roten Zar, dort lässt er sich von Molotow den Hintern lecken, dann erschlägt er eigenhändig mit einer jämmerlichen Pappaxt seinen Widersacher Trotzki im mexikanischen Exil. Schostakowitsch hingegen maßregelt erzürnt den Kompositionsschüler Arionoff, der sich auf das dekadent westliche Gefilde der Zwölftönigkeit vorwagt. Dessen Freundin Axinja wird nach Arionoffs Tod – er fällt im Krieg –- zum sinnlichen Spielball zwischen Schostakowitsch und Stalin. Und auf dem Sterbebett gar mutiert Stalin wahnhaft zu Schostakowitsch („Ich baute Musik, meine Siege waren Musik, mein Töten war Musik, mein Tod wird Musik, ich werde ewig leben, ich bin Dmitri!“) während der Komponist seine Existenz ohne das diktatorische Alter Ego entwurzelt sieht („Kann ich frei sein ohne Stalin?“).

Kein Wunder, dass derart lockere Hand manchem sauer aufstößt. Viel lieber hätte man klare Gut-Böse-Trennung oder eine in die Tiefe schürfende Analyse gesehen. Doch der von musikkritischem Tun geschärfte Blick Jungheinrichs erkennt, dass ersteres zur Plattitüde verkäme, letzteres aber auf der Opernbühne nicht zu leisten ist, ohne ins gelehrt Verquaste abzugleiten. Und man rechnet auch ein, dass das Desaster des Stalinismus nicht einfach zu personifizieren ist. Geschichte wäre zu simpel, wenn sie, wie unsere Schulgeschichtsbücher oft suggerieren, auf schlechte und vernünftige Personen zu reduzieren wäre. So bleibt als bühnentauglicher Ausweg die sarkastische Karikatur, die parodistische Umformung, wie sie Schostakowitsch selbst häufig in Szene setzte (besonders drastisch in der satirischen Kantate „Rayok“ über die Formalismus-Realismus-Auseinandersetzung 1948). Wenn man die Oper „Dmitri“ als Huldigung an Schostakowitsch verstehen will, dann auf die Weise, dass man nicht die Person mit Moralemblemen dekorierte, sondern dass man sich die schöpferischen Schlüsse zu eigen machte, die der Komponist im Spannungsfeld von Zwang, Überzeugung, Zweifeln, Verzweiflung und künstlerischen Durchbrüchen zog. Nicht immer lief das rund. Der Text macht hin und wieder im Bestreben nach Erläuterung Ausflüge ins Gelehrsame, er sagt, was man empfinden soll und knackst es dadurch an. Vor allem aber die Inszenierung Uwe Wands (Ausstattung Peter Sykora)  unterliegt immer wieder der Versuchung zum großen Aufriss, zum Realspektakel, wo eigentlich geträumter Wahn, spukhaft Fiktives seinen Platz hätte: Realsozialistisch abbruchreife Fassaden, aus denen irgendwo ein leuchtend roter Stern hervorflackerte, ein selbstredend zu groß geratenes Stalin-Monument, Massenszenen, die auch noch mit Dokumentarfilmsequenzen untermauert wurden. Solches verschob eher unnötig die Perspektiven und beschnitt im Grunde die kritische Schärfe, die Diffussion des wirren Erlebens und Denkens. Das schöne Bild vom gespaltenen Komponisten, der einerseits an einem ruinösen Flügel festhaftet, andererseits immer wieder in die Fährnisse der realen Existenz geworfen ist, zeigte in die richtige Richtung.

Luca Lombardi schrieb dazu eine sprechend plastische Musik. Er merkte zum Werk an, dass kein Zitat von Schostakowitsch verwendet wurde – nur die Tonbuchstaben D-Es-C-H bilden wie in manchen Arbeiten Schostakowitschs das Grundmaterial –, dennoch klingen dessen Verfahrenstechniken immer wieder durch. Hierin offenbarte Lombardi eine geradezu kühn chamäleonartige Wendigkeit im Umgang mit den  musikalischen Sprachmitteln. Marschimpulse klingen an, zum Hohlen hinabkomponiertes Pathos, Fanfaren-Verschnitte, Walzer-Episoden und groteske Couplets verschränken sich ineinander und zwingen Stalin zu falsettierendem Übertönen mit grellen Intervallsprüngen. Ihm gegenüber musste der gezwängte Schostakowitsch (Hector Guedes, schauspielernd gedoppelt von Hans-Dieter Heiler) ins zweite Glied zurücktreten.

Was aber Lombardi gelang, folgte einem ebenso verblüffenden wie direkt sprechenden Konzept: Er schrieb im Grunde eine Umformung der Musik, der Klänge, die für Schostakowitsch selbst Basis seiner musikalischen Sprache waren. Hierin ist sie Dekonstruktion der Werke Schostakowitschs, die gleichsam auf Zustände vor ihrer Entstehung zurückgeführt werden. Sie verweisen im Taumel des Ungeformten auf das weite Feld ihrer innewohnenden Potenzen: ein parodistisches Verfahren nach hinten, das Schärfe und Sarkasmus in nuce in sich trägt. Und hierin geht schon das Material den Weg, den das Autorenteam als einzig möglichen zur Näherung an das komplexe Verhältnis zwischen Stalin und Schostakowitsch erachtete. Es ist eine halluzinatorische Farce, die tief ins Innere sticht.

Reinhard Schulz

 

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