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Neue (alte) Räume
Leipziger Ballett-Tage im alten Gasometer
Das Paar nähert sich der Berührung, still, im nackten
Lichtkegel. Draußen lärmen Vögel, ein Auto hupt,
bevor die Bremsen kreischen. Zerbrochene Scheiben blenden das weichende
Tageslicht langsam aus. Roser Munoz und Christoph Böhm winden
sich mit ihrem Pas de Deux in lähmendem Schmerz und hoffender
Zärtlichkeit. Melancholisch-bedrohliche Musik trennt den Raum
schließlich von der restlichen Welt.
Dans la marche (Musik: Udo Zimmermann/Choreografie Uwe Scholz)
ergreift Besitz von Augen, Ohren, Bauch der gut 1.250 Zuschauer
im alten Leipziger Gasometer, den die Mitglieder des Vereins KunstRäume
vor dem endgültigen Verfall retten wollen. Gemeinsam mit den
Stadtwerken als Eigentümer wird ein Investor gesucht für
das Gebäude, das mehr als 90 Jahre seinen Dienst getan hat
und dessen Dach speziell für das Stadt-interne Gastspiel (Teil
des EXPO-Programms) dicht gemacht wurde. Der Raum ist ein Traum
aus Stein, Licht und morbidem Charme kathedraler Industrie-Ruinen.
Eine ansteckende Vision, die Christoph Hansel vom KunstRäume
e.V. nicht mehr los- ließ, seit er zum ersten Mal die wuchtige
Erhabenheit erlebte. Das war vor anderthalb Jahren und das
Schöne war, dass (Ballettdirektor) Uwe Scholz einen ähnlichen
Traum hatte, sagt Hansel heute.
Quasi als Herzstück der ersten Leipziger Ballet-Tage flieht
der nicht mehr taufrische Zimmermann/Scholz-Abend Dans la
marche/Pax questuosa die traditionelle Spielstätte, leider
nur für zwei Abende. Ein längst fälliger Schritt,
den Noch-Intendant Udo Zimmermann als historisch bezeichnet.
Was auf der Opernbühne arg befrachtet wirkte, wagt hier unter
der düsteren Kuppel eine Liaison mit ungewohnten Kontrasten.
Zumindest im ersten Teil geht das Konzept auf. Zimmermanns trauernde
Hommage an Witold Lutoslawski berührt mit schlichtem Klanggewebe
ganz unmittelbar. Die Tänzer wagen eine Innigkeit, die keiner
Geste entbehren dürfte. Das ist im zweiten Teil anders. Das
dramatische Plädoyer für den gefährdeten Frieden
Pax questuosa klagt nicht nur musikalisch das Unbeschreibliche
(zu) üppig an. Scholz Compagnie muss es auch noch überdeutlich,
fast schwülstig-monumental verstärkt zelebrieren.
Alles wird zu viel, der ungewöhnliche Raum benutzt statt einbezogen
oder dagegen gesetzt. So brachte der 200.000 Mark teure Seitensprung
weniger Inspiration als möglich gewesen wäre, sollte jedoch
gerade deshalb nicht als Zwischenruf verhallen. Beide Abende waren
restlos ausverkauft, das Leipziger Publikum dürstet nach überraschenden
Ideen zwischen Stadtfesten und verkaufsoffenen Sonntagen. Der KunstRäume
e.V. arbeitet seit 1999 an einer Verbindung zwischen darstellender/bildender
Kunst und Architektur, will Geschichte und Veränderung (anders)
erlebbar machen. Mit 50 Millionen hätte man hier eine
fantastische Spielstätte, schwärmt schließlich
auch Udo Zimmermann. Eine Euphorie, die die bis Pfingsten gezählten
Ballett-Tage überdauern sollte.
Janina
Fleischer
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