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Natur und Technik
Distance to Eternity in Karlsruhe · Von Nike
Luber
Mit einer Ballett-Uraufführung begann das Theaterprogramm
der Europäischen Kulturtage in Karlsruhe. Die stehen in diesem
Jahr unter dem Motto KunstStück Zukunft, und auch
das vom Badischen Staatstheater Karlsruhe in Auftrag gegebene Ballett
rang mit diesem Thema. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der
Menschheit wollten der Karlsruher Ballettchef Olaf Schmidt und der
chinesische Filmkomponist Cong Su auf die Bühne des Kleinen
Hauses bringen. Als roten Faden durch das Distance to Eternity
genannte Ballett nahm sich das Duo die Problematik im Verhältnis
des Menschen zur Natur und zur Technik vor. Entstanden ist ein zwischen
augenfälliger Symbolik und völliger Abstraktion oszillierendes
Werk.
In vielen Farben und Facetten schillert die Musik von Cong Su,
der nicht umsonst als Komponist der Filmmusik zu Der letzte
Kaiser bekannt wurde. Da verbindet sich die live spielende
Badische Staatskapelle in Kammerbesetzung mit Computerklängen,
farbig klingelt das Schlagzeug, amerikanisch getönter Folk
untermalt den Siegeszug der Technik. Die Natur singt dagegen Elegien
in chinesischer Melodik, was den Kontrast zu den Rock- und Popanklängen
der personifizierten Technik unterstreicht. Atonale Dissonanzen
markieren die Entfremdung von der Natur. Unter der Leitung von Johannes
Willig behält die Musik ihren Filmcharakter: stets präsent,
aber nie im Vordergrund. Da Videoprojektionen allein Olaf Schmidt
und Cong Su nicht ausreichten, den zunehmenden Einfluss der Technik
auf Natur und Mensch zu zeigen, hat das Duo diese Konstellation
in Personen auf die Bühne gestellt. Klaus Seiffert verkörpert
die Technik als schmierigen Taschenspieler, der die Menschen mit
Tricks verführt. Clara OBrien, als Mutter Natur nach
dem Triumphzug der Technik schwer gealtert, singt ihren Part mit
vollem, warmem Mezzosopran und bewahrt das eigens für die Texte
der Natur erfundene Esperanto vor der Peinlichkeit. Dass die Natur
vor den Karren der Technik gespannt wird, also Clara OBrien
ihren Kollegen in der Rikscha über die Bühne zieht, wirkt
allzu dick aufgetragen. Um auch die Schauspielkunst in das Werk
zu integrieren, stellt Rosalinde Renn die Wissenschaft dar. Sie
sitzt also im weißen Kittel am Rand der Spielfläche,
murmelt kryptische Worte in ihren PC und darf gelegentlich kleine
Experimente mit dem Ballettensemble veranstalten.
Das tanzt sich durch eineinhalb Stunden ohne Handlung, ohne Identifikationsfigur,
ohne mitreißende Emotionen. Zwar bleibt dem Publikum auf diese
Weise der Keulentanz der Neandertaler erspart, aber ob das Ensemble
gerade in der Vergangenheit oder in der Zukunft tanzt, ist schwer
zu erkennen. Genau genommen weiß der Zuschauer nicht einmal
mit Sicherheit, ob da die Menschheit tanzt oder die Moleküle.
Neben netten Einfällen wie der Verblödung zappender Fernsehkonsumenten
stehen viele Längen, die auch nicht unterhaltsamer werden,
wenn die Tänzerinnen und Tänzer fleißig Kulissen
schieben. Immerhin können sich Ballettomanen an der modernen,
fantasievoll-ästhetischen Tanzsprache Olaf Schmidts erfreuen,
die das Ballettensemble sehr gekonnt in einen Wirbel aus geschmeidigen,
fließenden Bewegungen umsetzt. Dass sich all die disparaten
Teile nicht zu einem organischen Ganzen fügen, dass vieles
zu gewollt wirkt und sich beim besten Willen keine Spannung einstellt,
liegt am Thema. Soviel Abstraktion eignet sich für Vorträge,
Diskussionen oder Dokumentationen, aber nicht für das Theater.
Dem Uraufführungsjubel tat das bei der Premiere keinen Abbruch.
Nike
Luber
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