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Im Schlaraffenland
I Puritanian der Münchener Oper · Von
Christian Kröber
Nicht erst seit den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen
dem Bayerischen Kultusminister Zehetmair und dem Kulturstaatsminister
Naumann um den richtigen Stellenwert und Standort von Kultur kann
man eine bipolare Haltung der Öffentlichkeit zu der Frage wahrnehmen,
was Kultur in unserem wiedervereinigten Land sein und was sie leisten
soll. Dafür, dass dieser Streit nicht nur in akademischen Hinterzimmern
geführt wird, sorgen die erwähnten Protagonisten, von
deren Wohl und Wehe und recht eigentlich von den von ihnen
verwalteten Etats alle Subventionsempfänger in Deutschland
abhängen.
So erscheint es denn mehr als nur ein Zufall, dass die Bayerische
Staatsoper Vincenzo Bellinis letzte Oper I Puritani
als letzte Neuproduktion vor den Festspielen auf die Bühne
gebracht hat, gilt Bellini den Opernliebhabern doch als kulinarischer
Höhepunkt der artistischen Belcanto-Ära.
Sir Peter Jonas, der in München stets auf Erweiterung des
Repertoires und Einbeziehung neuer Publikumsgruppierungen setzt,
hat sich immer wieder dafür ausgesprochen, den unterhaltsamen,
ja zircensischen Charakter der Kunstform Oper nicht zu vernachlässigen.
Und wenn die Opern-Festspiele 2000 mit dem Titel Aufbruch
überschrieben sind, so weiß man in München aber
auch immer noch, woher man kommt, mit anderen Worten: Man ist der
Tradition verhaftet. Was unterscheidet nun, um dieses fast schon
geflügelte Wort zu gebrauchen, das Blattgold auf der preußischen
Pickelhaube von dem auf dem bayerischen Löwen?
Wahrscheinlich eine Opernproduktion wie die der Puritani. Neben
der vielleicht noch berühmteren Schwester Norma
verlangt auch Bellinis letztes Opernwerk schier übermenschliche
Gesangsleistungen von seinen Protagonisten, allen voran der mit
höchster Vokalakrobatik ausgestatteten Elvira; und so ist diese
Oper ohne den entsprechenden Fundus an Sängerpersönlichkeiten
unaufführbar. Der langen Verbindung zwischen der Bayerischen
Staatsoper und Edita Gruberova verdankt auch diese Produktion ihre
Entstehung, die anderswo schwerlich gelungen wäre. In nur vier
Wochen hat Marcello Viotti dem Bayerischen Staatsorchester all jene
italienische Leichtigkeit und das notwendige Musikantentum vermittelt,
das es den Sängern ermöglichte, alle Freiheiten ihres
Virtuosentums auszuleben. Viotti, Leiter des Münchner Rundfunkorchesters,
hat Bellinis Puritani bereits in Bologna und Zürich
dirigiert.
Wenn vom Belcanto die Rede ist, denkt man neben den vielen lyrischen
Stellen vor allem an die unglaublich schwierigen Koloraturen und
atemberaubend hohen Töne der Solopartien. Edita Gruberova,
die seit über dreißig Jahren als Primadonna assoluta
diese Opernsparte beherrscht, verfügt über beides reichlich.
Ihre Gesangsführung ist makellos, niemals angestrengt und von
einer schwebenden Leichtigkeit, die alle Artistik vergessen läßt.
Dass sie die Variationen und Wiederholungen ihrer Arien selbst improvisiert,
zeugt von der hohen musikalischen Kreativität dieser Ausnahmekünstlerin,
der das Münchner Publikum im nicht enden wollenden Applaus
zu Füßen lag. Doch keine Elvira ohne die zumindest gleichwertige
Tenorpartie des Arturo. Was Bellini da an Spitzentönen in die
Partitur geschrieben hat, löst bei den meisten Sängern
Angstphantasien aus. Gleich zu Beginn ein hohes c, ein des und im
letzten Akt sogar ein hohes f: Der Amerikaner Paul Groves schafft
alles.
Wie nun soll man ein so sehr auf die musikalische Kunstform des
Belcanto angelegtes Werk inszenieren? Der Engländer Jonathan
Miller, der sich in München bereits als Donizettispezialist
mit Anna Bolena vorgestellt hat, beschränkt sich
auf eine behutsame Personenregie, die in Bühnenbild (Isabella
Bywater) und Kostümen (Clare Mitchell) einer bildlichen Statuarik
sehr nahe kommt. Orientiert an den Aufteilungen der großen
flämischen Barockmaler sahen wir meisterlich choreografierte
Massenszenen und subtil gestellte Personenkonstellationen. Neben
den hervorragend besetzten Partien der übrigen Protagonisten
(Alastair Miles als Sir Giorgio, Paolo Gavanelli als Sir Riccardo
und Liliana als Witwe Karls I.) trug der wie so oft souverän
geführte Chor der Bayerischen Staatsoper (Choreinstudierung
Udo Mehrpohl) wesentlich zum Gelingen dieses Abends bei.
So muss, so kann also Oper im beginnenden 21. Jahrhundert auch
sein: musikalische Buttercremetorte der höchsten Spitzenklasse.
Christian
Kröber
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