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Oper hinter der Bühne
Dresdner Opern-Projekt für den Nachwuchs · Von Helmut
Mauró
Der Tanztheater-Abend in Wigmans Wohnhaus, der Kleinen Szene
in Dresden, war ein voller Erfolg. Auch wenn keiner der jungen Besucher
zuvor etwas von Mary Wigman gehört hatte. Nach der Vorstellung
Diskussion mit den Tänzern: Wie sieht das Leben nach dem glanzvollen
Bühnendasein aus? Düster, das wissen die Jugendlichen,
auch wenn ihnen die Dresdner Tänzer ein paar nicht ganz so
katastrophale Szenarien schildern. Einige tanzen bis ins hohe Alter,
andere widmen sich durch den Tänzerberuf verdrängten Interessen.
Die fragenden Jugendlichen aus Ost und West sind durchweg selbst
angehende Künstler. Alle haben sie ihre Fähigkeiten bereits
beim Wettbewerb Jugend musiziert bewiesen. Knapp 50
Preisträger dieser renommierten Nachwuchs-Auslese, davon immerhin
40 Mädchen im Alter zwischen 16 und 20 Jahren, durften nun
für vier Tage nach Dresden reisen, um sich dort quasi hautnah
ein Bild vom Künstlerberuf zu machen. Ein in Deutschland einmaliges
Projekt, organisiert vom Verband der Musikschulen und der Semperoper,
finanziert von einer großen Auto- und Luftfahrtfirma.
Alles Oper? lautet das Motto, und für die meisten Jugendlichen
gab es auf diese Frage am Ende nur eine bejahende Antwort. Denn
Intendant und Dramaturg der Semperoper, vor allem aber die allabendlich
auf der Bühne agierenden Künstler, auch Stimmbildner,
Repetitoren und andere Mitarbeiter auf und hinter der Bühne,
konnten dem neugierigen Nachwuchs glaubhaft vermitteln, dass ihr
Beruf, so weltfremd er von außen gesehen erscheinen mag, vor
allem eines ist: solides Handwerk. Auch eines mit Zukunft. Vorausgesetzt,
man stürzt sich wirklich hinein in seinen Beruf und es ist
tatsächlich Alles Oper. Dass es sich hierbei nicht
um eine verstaubte Museumskunst handelt, sondern um ein mitunter
durchaus zeitgemäßes Medium, lernten die Jugendlichen
im Gespräch mit den Akteuren auf eine Weise, wie sie auch durch
detaillierteste Beschreibung nicht erfahrbar ist.
In Opernbesuchen und Workshops wurden die jungen Sänger und
Instrumentalisten an das Phänomen Oper nicht vorsichtig herangeführt,
sondern gleich mitten hineingeschubst, durchs Parkett auf die Hinterbühne,
in die Werkstätten und vor allem in die Kantine, wo sie mit
den Stars plauderten und dabei mal als kreischende Groupies, mal
als zukünftige Kollegen auftraten. Durch diesen Workshop,
resümiert ein Mädchen, habe ich wirklich gemerkt,
wie provinziell man doch aufwächst, besonders in den Kleinstädten.
Alle Ost-West-Differenzen scheinen hier eingeebnet, das Staunen
vereint: Die Künstler, die ich immer für unerreichbar
gehalten habe, sind wunderbar kooperativ und fliegen nicht über
den Wolken. Viele der jungen Musiker fühlen sich dennoch
nicht ganz wohl in ihrer Haut, merken einerseits, dass sie privilegiert
sind, fühlen sich andererseits von Gleichaltrigen diskriminiert,
sogar von ihren Lehrern, die nicht verstehen, warum ein Konzertauftritt
wichtiger sein soll als die Vorbereitung auf eine Erdkundeklausur.
Hierin sind gerade deutsche Kinder international weiterhin benachteiligt.
Erst nach dem Abitur, mit Beginn des Hochschulstudiums, können
sie sich auf ihren Beruf konzentrieren, der doch wie kaum ein anderer
eine frühe professionelle Ausbildung verlangt. Zu Recht beklagten
die Nachwuchstalente, dass etwa die Ausbildung im sportlichen Bereich
auf wesentlich mehr Akzeptanz stößt. So sehr sich die
Profis der Semperoper in der Diskussion auch bemühten, den
Opernbetrieb als zeitgemäße Einrichtung zu betrachten,
so sehr stießen sie auf ungläubige Gesichter. Die Jugendlichen
wussten sehr wohl, dass sie ein soziales Nischendasein führen
und sind keineswegs so realitätsblind, dies zu leugnen.
Andererseits gehört es zum Künstlerberuf, sich für
den Mittelpunkt der Welt zu halten, sonst könnte man die Entbehrungen
und Diskriminierungen kaum auf sich nehmen, die mit der Ausbildung
zum Musiker verbunden sind. Auch dies konnten die Jugendlichen in
Dresden lernen, wo sich Orchestermusiker, Sänger, Dramaturg
und Intendant viel Zeit nahmen, um das Phänomen Oper zu erklären.
Ein vorbildliches Projekt, das es eigentlich an jedem Opernhaus
für alle interessierten Jugendlichen geben sollte und nicht
nur für jene, die aufgrund ihrer Interessenlage ohnehin irgenwann
einmal in ein Opernhaus gestolpert wären. Andererseits war
es gerade für die Nachwuchsmusiker besonders nützlich,
ihre mögliche berufliche Perspektive als Realität zu erleben.
Und als kleine Belohnung für die fleißigen Jugend-musiziert-Preisträger
war diese Auswahl allemal gerechtfertigt.
Helmut
Mauró
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