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Portrait
Der Jahrhunderttenor
Fritz Wunderlich wäre 2020 neunzig Jahre alt geworden
Am 26. September jährte sich zum 90. Mal der Geburtstag Fritz Wunderlichs. Er war einer der hoffungsvollsten deutschen Tenöre der Nachkriegszeit. Als er kurz vor seinem 36. Geburtstag an den Folgen eines Unfalls starb, riss dies eine Lücke, die bis heute nicht gefüllt wurde.
In Kosel wurde er am 26. September 1930 geboren. Seine Mutter war eine aus dem Erzgebirge stammende Geigerin, sein Vater, in Thüringen gebürtig, war Cellist, Kapellmeister und Chordirigent. Er wurde allerdings von den Nationalsozialisten um seine Stellung gebracht, weshalb er kurzfristig eine Gastwirtschaft mit angeschlossenem Kino betrieb.
Als sein Sohn Fritz gerade mal fünf Jahre alt war, nahm sich Paul Wunderlich das Leben. Die Familie überlebte nur, weil die Mutter Musikunterricht gab. Abends spielte Mutter Wunderlich mit Sohn Fritz und seiner Schwester Unterhaltungsmusik. Das musikalische Talent Fritz Wunderlichs zeigte sich früh, er lernte verschiedene Instrumente. Am Gymnasium riet man ihm zu einem Musikstudium. An der Freiburger Musikhochschule begann er mit Horn, bevor er zur Gesangspädagogin Margarethe von Winterfeldt kam. Sie erinnerte sich später: „Die Stimme war zuerst noch sehr jugendlich, sehr hell, fast knabenhaft, aber sie entwickelte sich in den viereinhalb Jahren, die ich ihn hatte, ehe er bei uns in einer Zauberflötenaufführung, die wir von der Hochschule aus machten, den Tamino sang. Und so schön, dass seine Laufbahn dadurch schon eigentlich gesichert schien.“ Sie sollte Recht behalten. Schon ein Jahr nach dieser Aufführung wurde Fritz Wunderlich an die Württembergische Staatsoper in Stuttgart engagiert. Als er für den erkrankten Josef Traxel als Tamino einsprang – Wolfgang Windgassen verzichtete als Ersatz zugunsten des Anfängers – wurde er über Nacht zum Star. Die Rolle sang er später auch an der Bayerischen Staatsoper, der Wiener Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen, seinen Hauptwirkungsstätten. Dort war er nicht nur als Tamino, sondern auch als Belmonte in Mozarts „Entführung“ aus dem Serail zu sehen und zu hören. Die Gesamteinspielung unter Eugen Jochum ist vielleicht seine beste Mozart-Aufnahme, ganz sicher eine der besten Gesamteinspielungen des Stücks.
Mit 29 Jahren sang Wunderlich bereits an bedeutenden Bühnen und Festspielorten, in Aix-en-Provence, Brüssel, Edinburgh, Salzburg und München. Er bekannte einmal „Für mich gibt es nur zwei Ecksteine in der Musik überhaupt, das ist auf der einen Seite Bach und auf der anderen Seite Mozart in der Klassischen Musik, womit ich nicht sagen will, dass ich kein Freund von Operetten wäre“.
Fritz Wunderlich hat sogar viel Operette gesungen und deutsche Spieloper, die Partie des Hans etwa in der „Verkauften Braut“, aber auch gehobene Schlager der sogenannten Unterhaltungsmusik wie beispielsweise das Granada-Lied von Augustin Lara, ein tenorales Bravourstück, das er mit atemberaubendem, jauchzendem Ungestüm wie kein anderer zu singen verstand.
Was Wunderlichs Stimme so atemberaubend machte, war das strahlende Metall seiner mühelosen Höhe, der frische Glanz seines leuchtenden, lyrischen Tenors, die atemtechnische Sicherheit, das betörende Legato seines Vortrags, die – bei aller Virtuosität – große Natürlichkeit seines Singens und die absolute Wortverständlichkeit, schließlich sein unvergleichliches Timbre.
Er war prädestiniert für die Partien seines Fachs in Opern von Richard Strauss. Wer hätte je den Henry Morosus in der „Schweigsamen Frau“, den Leukippos in „Daphne“, den Jüngling in der „Frau ohne Schatten“ und den Sänger im „Rosenkavalier“ strahlender und feuriger gesungen? Zu schweigen von seinen Ausflügen ins französische, italienische und russische Fach, er sang immerhin Arien von Puccini, Verdi und Tschaikowski. Brigitte Fassbaender, die Fritz Wunderlich in ihrer Zeit als Elevin an der Bayerischen Staatsoper erlebte, sprach später von seinem Timbre als einem, „das den Hörern ans Herz ging“. Tatsächlich hatte diese Jahrhundertstimme einen Klang von keuscher Innigkeit, von Melancholie und Wehmut. Er sparte nie mit Kraft, sang immer mit Volldampf. Mit Partien wie Pfitzners „Palestrina“ oder dem Steuermann in Wagners „Fliegendem Holländer“ ließ er erahnen, was man von ihm noch hätte erwarten können, wenn er nicht so früh verstorben wäre: Florestan, Parsifal, Lohengrin oder gar Tristan. Auch das anspruchsvolle „Trinklied vom Jammer der Erde“ aus Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ sang Wunderlich unter Otto Klemperer gemeinsam mit Christa Ludwig so mühelos, glutvoll und sinnlich wie kein anderer Tenor vor und nach ihm.
Fritz Wunderlich war aber auch ein begnadeter Oratorien- wie Liedsänger. Die Schubert-, Bach- und Beethoveneinspielungen seiner umfangreichen Diskographie belegen es. Immer neue Wunderlich-Editionen vervollständigten sein Repertoire und optimierten die Klangqualität seiner Aufnahmen. Die Sängerin Hetty Plümacher schwärmte einmal, sie habe „die ‚Dichterliebe‘ nie beseelter und vollendeter“ gehört. Der langjährige Klavierbegleiter Wunderlichs, Hubert Giesen, erinnerte sich: „Er hat zuletzt so fabelhaft gesungen, dass ich ihm kurz vor seinem Tod, beim Edinburgh-Festival, wo wir seinen letzten Liederabend gaben, gesagt habe: So Fritz, jetzt bist Du meiner Ansicht nach der beste Liedersänger, den ich kenne.“ Den Ritterschlag erhielt Wunderlich von Luciano Pavarotti, der, 1990 befragt, wer für ihn der herausragendste Tenor der Geschichte sei, geantwortet haben soll: „Fritz Wunderlich“. Anneliese Rothenberger, die oft mit ihm auf der Bühne stand, würdigte ihn in einem Gespräch kurz vor ihrem Tod als bedeutendsten deutschen Tenor der Nachkriegszeit: „Künstlerisch war er der Beste und er ist ja bis heute nicht ersetzt, wenn wir ehrlich sind.“ Menschlich war er so natürlich wie er sang, unkompliziert, kollegial und ohne alle Allüren. Der Sturz von einer Treppe setzte seinem Leben ein frühes Ende.
Dieter David Scholz |