|
Hintergrund
Tanz ist gesellschaftsrelevant
Die Stiftung TANZ – Transition Zentrum Deutschland feiert zehnjähriges Jubiläum
Zehn Jahre Stiftung TANZ – Transition Zentrum Deutschland: Anlass genug, nach unserem ersten Bericht vor fünf Jahren ein weiteres Mal auf diese verdienstvolle Einrichtung zu blicken: Wie arbeitet sie? Mit welchen Zielen? Was hat sich in den letzten fünf Jahren verändert und weiterentwickelt? Ein Gespräch mit Sabrina Sadowska, im Hauptberuf Ballettdirektorin am Theater Chemnitz und Vorstandsvorsitzende der Stiftung, gab Auskunft über viele Fragen.
Sabrina Sadowska. Foto: Nasser Hashemi
Das Thema Transition im Tanz wurde in früheren Jahren tabuisiert. Es war nicht angesagt, als Tänzerin oder Tänzer laut darüber nachzudenken, was nach dem Ende der Tanzkarriere kommt – obwohl sich die Frage für alle früher oder später stellt. Es überwog die Sorge, dass man nicht mehr besetzt oder sogar gekündigt werden könnte, wenn man gezeigt hätte, dass man über den Tanz hinausdenkt, so Sadowska. Im Interview mit Wiebke Hüster erzählt Inka Atassi, neben Sadowska die zweite Stiftungsgründerin und stellvertretende Vorstandsvorsitzende: „Ich bin damals zum Arbeitsamt gegangen. Der Berater sagte zu mir, er wisse nicht, was er mit mir anfangen solle, denn ich hätte ja nichts gelernt. Das meinte er gar nicht abwertend. Er war einfach hilflos.“ Dass so viel Stillschweigen, auch Unkenntnis über eine existenzielle Lebensfrage herrschte, war für Sadowska und Atassi Anlass, über eine institutionalisierte Unterstützung von Tänzern am Ende ihrer aktiven Karriere nachzudenken.
Das Ergebnis war die Gründung einer Stiftung, die nun seit zehn Jahren tätig ist. Mehr als 1.000 Tänzer wurden seither zumeist intensiv und mehrfach beraten. Hier können sie mit ihren praktisch-organisatorischen Fragen ebenso hinkommen wie mit ihren Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten, auch mit der Trauer über das Ende eines Lebensabschnitts. Mit Fragen wie: Wer oder was bin ich eigentlich? Was kann ich – über das Tanzen hinaus? Was habe ich bisher erreicht? Was möchte ich in Zukunft tun?
In den letzten Jahren wurde die Arbeit der Stiftung noch einmal professionalisiert. Zwei Psychologen widmen sich in der Geschäftsstelle in Berlin inzwischen all diesen Fragen: Eilika Leibold ist klinische Psychologin, Fabian Obermeier Sportpsychologe. Auch die Stiftungsgründerinnen wirken im Hintergrund und tragen ihr Knowhow in die Arbeit. Die Angebote der Stiftung richten sich an festangestellte ebenso wie an freie Tänzerinnen und Tänzer.
Was hat sich noch verändert? „Wir müssen bei den Compagnien längst keine Überzeugungsarbeit mehr leisten, dass der Transition Vortrag innerhalb der Arbeitszeit stattzufinden hat“, sagt Sabrina Sadowska. Inzwischen gibt es regelmäßige Anfragen, auch aus den Häusern. Die Stipendien, die die Stiftung vergibt, sind sehr begehrt. Zu Beginn der Pandemie konnte allen Stipendiaten im Übrigen eine Einmalzahlung von 500 Euro zusätzlich überwiesen werden: erste Hilfe in einer Zeit der absoluten Ungewissheit und des Stillstands. Neuerdings können sich Tänzer/-innen, die zum Beispiel eine Bachelor- oder Masterarbeit schreiben, für ein Residenzstipendium bewerben. Sie wohnen dann in der Weiterbildungsvilla, können in Ruhe arbeiten und ihre Wohnung in dieser Zeit auch untervermieten.
Das Cover der Jubiläumsbroschüre
Neben Beratung und Stipendien bietet die Stiftung Tanz auch Weiterbildungen an, vier Formate, die Tänzerinnen und Tänzer wahrnehmen können. Da geht es um das Thema Führung, um Gesundheitsmanagement, Konflikt- und Kommunikationskultur sowie um Rechtsfragen rund um das Theater. Diese Angebote werden sehr gut angenommen, berichtet Sadowska.
Weniger gut steht es um die Finanzierung. Neben einer jährlichen Zuwendung in Höhe von 33.000 Euro durch acht Bundesländer lebt die Stiftung von ihrem Stiftungskapital. Dass die Zinsen sich schon so lange im Niedrigstbereich bewegen, erschwert das Engagement. Ausfälle gibt es in diesem Jahr auch, weil Ballett-Benefizgalas zugunsten der Stiftung ausgefallen sind. „Wir versuchen, über private Spender wieder etwas aufzufüllen“, so Sadowska. Und: „Wir können manchmal auch mit wenig sehr viel erreichen.“
Welche speziellen „skills“ bringen Tänzerinnen oder Tänzer eigentlich mit, die sie auch für andere Berufe qualifizieren? Unendlich viele, erklärt die Ballettdirektorin: „Qualitäten, derer wir uns häufig gar nicht so bewusst sind.“ Dazu gehört die enorme Zielorientierung und Disziplin; beides ist im Tänzerberuf unbedingt gefordert. „Wir sind Teamplayer, wir bringen Dinge voran, wir können sehr schnell reagieren, bringen auch Führungsqualitäten mit. Wir haben gelernt aufeinander achtzugeben und Respekt anderen gegenüber zu zeigen; wir sind sensibel für unsere Umwelt.“ Auch die Bühnenpräsenz des Tänzers ist ein Plus. „Wir sind es gewohnt, etwas zu präsentieren, und diejenigen, die an erster Front stehen, sind Kämpfernaturen.“ Die meisten Tänzer sprechen darüber hinaus mehrere Sprachen. Die Aufzählung ist nicht abgeschlossen: Beweis genug, dass die Chancen für einen beruflichen Neubeginn gar nicht schlecht stehen, vor allem dann, wenn Helferinnen und Helfer im Hintergrund unterstützen, wo es nötig ist.
Seit ihrer Gründung ist die Stiftung auch international vernetzt. Als Mitglied der International Organization for the Transition of Professional Dancers (IOTPD) kümmerte sich Sabrina Sadowska von Anfang an um den Austausch mit bestehenden Transition-Zentren im Ausland. Die Fragen und Probleme sind in allen Ländern gleich oder ähnlich, die Strukturen und Modelle sind durchaus unterschiedlich. In Holland oder England werden zum Beispiel Versicherungen für Tänzerinnen und Tänzer angeboten, die ihnen den Berufswechsel erleichtern sollen. In Deutschland gibt es die Versicherung durch die Bayerische Versorgungskammer. Tänzer können hier beantragen, sich im Rahmen der Transition einen Teilbetrag auszahlen zu lassen. Allerdings wird dies von Seiten der Stiftung nicht unbedingt empfohlen, schließlich soll der Tänzer/die Tänzerin auch vor Altersarmut geschützt werden.
Dank der guten Zusammenarbeit der Gewerkschaften VdO und GDBA, des Deutschen Bühnenvereins und der Stiftung fand das Thema Transition auch Anerkennung im Tarifvertrag. Seit 2019 gilt im Normalvertrag Bühne/Sonderregelung Solo und Sonderregelung Tanz, dass ein/e Tänzer/-in (Solo und Gruppe) für nachgewiesene berufliche Weiterbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen beziehungsweise nachgewiesene einschlägige Maßnahmen zur Existenzgründung (Transition) pro Beschäftigungsjahr, das er oder sie bei einem dem Deutschen Bühnenverein angehörenden Arbeitgeber zurückgelegt hat, drei bezahlte freie Tage erhält.
Wie sind die Rückmeldungen derjenigen, die von den Angeboten der Stiftung profitiert haben? Es gibt viele Feedbacks, die große Dankbarkeit zeigen, berichtet Sadowska. Dankbarkeit dafür, dass jemand für sie da war, ihre Sorgen und Nöte ernst genommen und sie individuell beraten hat. So individuell wie die Tänzer sind auch die Lebenswege, die sie einschlagen. Eine sehr informative Broschüre, die anlässlich des Jubiläums erschienen ist, gibt über einige Beispiele Auskunft. Da ist die Geschäftsführerin einer Café- und Kaffeeröstereikette oder der Aufnahmeleiter beim Film, der Fotograf oder der Oberbürgermeister, der Arzt oder Kulturmanager. Vergleichsweise viele gehen in soziale oder therapeutische Berufe, andere bleiben im Theater oder gar beim Tanz, als Choreografen, Ballettmeister, Ballettdirektoren…
Im Sommer 2019 wurde eine wissenschaftliche Studie zur Evaluation und Weiterentwicklung der Stiftungsarbeit durchgeführt. Tänzerinnen und Tänzer, die in den vorangegangenen vier Jahren mit der Stiftung in Kontakt gestanden hatten, wurden gebeten, einen Fragebogen anonym zu beantworten. Die Ergebnisse sind in der Jubiläumsbroschüre nachzulesen. Die abschließende Bewertung der Befragten war sehr positiv: Alle Maßnahmen der Stiftung wurden im Durchschnitt als „hilfreich“ oder „sehr hilfreich“ bewertet.
Drei persönliche Wünsche nennt Sadowska in der Broschüre. Erstens: Tanz gehört in die Schule! „Die Wahrnehmung des eigenen Körpers und damit verbunden die Erfahrung, was für Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten alleine oder im Team ohne Sprache möglich sind, bleibt ein prägendes Erlebnis für Kinder und Jugendliche.“ Zweitens: Im Studium sollten Tänzer/-innen Spitzensportler/-innen gleichgestellt werden! „Das Projekt ‚Partnerhochschule des Spitzensports‘ sollte auch auf professionelle Tänzer/-innen Anwendung finden und um den Zusatz ‚Tanz‘ erweitert werden.“ Drittens: Eine Ausnahme in der Sozialgesetzgebung für Tänzer/-innen in Transition. Dabei geht es um die Forderung, den Bezug von Arbeitslosengeld I auch während eines Studiums zu ermöglichen.
Was ist Sabrina Sadowska besonders wichtig an ihrer Arbeit und ihrem Engagement für die Stiftung? „Tanz ist ein akademischer Beruf“, erklärt sie. „Mir ist wichtig, dass das, was wir tun, gesellschaftlich relevant ist – und dass dies endlich anerkannt wird.“
Barbara Haack
|