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Kulturpolitik
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Reaktionen auf den Kultur-Shutdown
Der zweite Shutdown ist verkündet – und er betrifft unter anderem alle Kulturveranstaltungen, die bezeichnenderweise nicht als Bildungseinrichtungen gesehen werden, sondern neuerdings unter die Rubrik „Freizeitaktivitäten“ fallen. Schon hatte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda erklärt: „Fast müsste man sagen, wenn man sich die Ansteckungszahlen anguckt: ‚Gehen Sie in die Oper oder gehen Sie in die Elbphilharmonie – da sind Sie sicherer als zu Hause‘.“ Ansteckungen im Rahmen von Theaterbesuchen konnten bisher nach wie vor nicht nachgewiesen werden.
Die Kulturbranche trifft es mehr als hart, zumal die ersten Kommunen bereits Kulturetatkürzungen für das kommende Jahr angekündigt haben. In einem offenen Brief unter dem Titel „Vorhang zu und alle Fragen offen“ hat das Staatstheater Mainz bereits am Abend der Shutdown-Verkündung die Theaterschließungen als „sinnlose Maßnahme“ deklariert. Dort heißt es unter anderem: „Gewünscht hätten wir uns einen politischen Gestaltungswillen, der aktiv nach Möglichkeiten sucht, einer durch die strengen Kontaktbeschränkungen zunehmenden Vereinsamung alles entgegenzusetzen, was entgegengesetzt werden kann: wichtige Orte der Lebendigkeit als Rettungsinseln in einer Zeit, die jedem Einzelnen so viel abverlangt. Stattdessen wird in einem pauschalen Verhinderungsreflex, den wir kurzsichtig finden, diese kostbare Möglichkeit vertan.“ Kurz darauf schlossen sich die künstlerischen Ensembles der Städte Augsburg, Bamberg, Nürnberg, Regensburg, Fürth und Würzburg einem Appell ihrer Münchner Kollegen an und erklärten in einem offenen Brief an Ministerpräsident Söder, Staatsminister Sibler sowie die Bürgermeister/-innen, Kulturdezernent/-innen und Referent/-innen des Freistaats: „Sämtliche Theater in Bausch und Bogen zu schließen, hat im Hinblick auf den Infektionsschutz keinen Nutzen. Und es ist schädlich! Kultur ist kein Luxus, sondern eine zwingende Notwendigkeit jeder zivilisierten Gesellschaft! (…) In Konsequenz ist die Aussage Ihres Schließungsbeschlusses das Eingeständnis, dass alle Vorgaben, alle Hygienekonzepte wertlos sind. Es fühlt sich wie eine Kapitulation vor der Pandemie an.“ Weitere offene Briefe und Protestbekundungen folgten, unter anderem von sämtlichen Theaterveranstaltern in Berlin, die sich an den Regierenden Bürgermeister wandten. Sie mahnten unter anderem, dass Kulturinstitutionen mehr als reine Freizeitangebote seien, erinnerten an die Arbeit- und Auftragggeberfunktion der Einrichtungen und an die umfassenden Hygienekonzepte, die bereits entwickelt wurden. Verschiedene Häuser veranstalteten am ersten Tag des erneuten Shutdowns unter dem Motto „Sang- und klanglos“ ein Konzert der Stille: 20 Minuten Auftritt, dann Abtritt ohne Musik und Theater. Einen anderen Weg geht Dieter Hallervorden mit dem Berliner Schlosspark-Theater, das er 2008 übernommen und mit privaten Mitteln umbauen lassen hatte. Als Intendant und Geschäftsführer des Theaters beschloss er, gegen die Regelungen der Corona-Schließungen gerichtlich vorzugehen und reichte einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Berlin gegen die Schließungen ein. Einige Häuser wie die Oper Leipzig oder die Bayerische Staatsoper zogen für den November geplante Premieren einige Tage vor, um zumindest diese noch auf die Bühne zu bringen.
Es gibt allerdings auch andere Reaktionen auf das vorübergehende Aus für die Kultur. Nordrhein-Westfalens Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen erklärte in einem Redebeitrag im Kulturausschuss des NRW-Landtags, die Szene solle sich nicht zu sehr aus dem gesellschaftlichen Konsens herausbewegen und sich keine „Extrawurst“ braten. Sie appellierte eindringlich an die Kulturschaffenden, die Einschränkungen zu akzeptieren und mitzutragen. Und Moritz Eggert, Komponist und frischgebackener Präsident des Deutschen Komponistenverbandes formuliert in seinem „Bad Blog of Musick“ gleich „5 dringende Gründe, warum es jetzt besser ist zu schweigen“. Dabei kann dem engagierten Musiker wohl niemand vorwerfen, sich nicht für die Kultur in der Pandemie eingesetzt zu haben. „Ich bin in der Sache voll solidarisch – selbstverständlich möchte ich, dass Kunst und Kultur gut durch die Coronakrise kommen, darauf können wir uns alle einigen“, schreibt er. Seine 5 Argumente für das Schweigen: 1. Die Argumente nutzen sich ab und befinden sich im falschen Fahrwasser. 2. Man glaubt zu Unrecht, dass man mit Bordellen und Fitnessstudios gleichgesetzt wird. 3. Im Moment hört niemand zu. 4. Es gibt keinen Lockdown ohne Lockdown. 5. Der Moment, die Stimme zu erheben, kommt noch. (Nachzulesen mit ausführlichen Begründungen auf https://blogs.nmz.de/badblog/2020/11/02/5).
In einem youtube-Video spricht der
Jazzmusiker Till Brönner darüber, wie „auffällig verhalten und geradezu übervorsichtig“ sich Bühnenkünstler derzeit äußern. „Er halte diese Zurückhaltung für fatal. Brönner fügt hinzu: „Wir in der Veranstaltungs- und Kulturbranche sind noch immer zu leise, weil wir keine ernstzunehmende Gewerkschaft haben. (…) Hier müssen wir in Zukunft ganz klar unsere Hausaufgaben machen als Künstler und vielleicht beginnen Mitgliedsbeiträge zu bezahlen.“ Eine prompte Antwort auf Brönner folgt im offenen Brief des Geschäftsführers des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, der sich irritiert zeigt über die Äußerungen über eine fehlende Interessenvertretung im Kulturbereich. Er verweist auf die gute Struktur der Interessenvertretung unter dem Dach des Kulturrates. Dazu gehören „Berufsverbände, Gewerkschaften, Verbände der Kultureinrichtungen und Kulturwirtschaftsverbände, die mit großem Engagement die Interessen ihrer Mitglieder vertreten“. |