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Hintergrund
Sprungbrett Oper?
Dustin Kleins Choreografie für „Les Vêpres siciliennes“ an der Bayerischen Staatsoper
Ungefähr sechs Minuten dauert Dustin Kleins Choreografie. Sonst dienen „Die vier Jahreszeiten“ („Les saisons“) als bloße Balleinlage zu Giuseppe Verdis eher selten gespielter Grand Opéra „Les Vêpres siciliennes“. Hier stehen sie – technomäßig verfremdet, das rein orchestrale Verdi-Kontinuum unterbrechend (dafür gab’s Buhs), abstrus-utopisch und fast karnevalesk – für eine dynamisch-kurze Auszeit, die den schaurigen Totentanz in hoffnungsleerer Daueragonie dahinvegetierender Figuren zum Innehalten bringt. Eher konventionelle Seherwartungen werden torpediert. Mit vollem Recht – hat sich das Genre Ballett doch mindestens ebenso rasant weiterentwickelt wie die zeitgenössische Opernregie. Bei der Pariser Uraufführung der „Sizilianischen Vesper“ 1855 war ein Einschnitt in die gesungene Handlung durch Tanz obligatorisch. Das ursprünglich halbstündige Ballett-Divertissement verantwortete damals Lucien Petipa – Bruder des legendären Marius Petipa („Ballettmeister der Zaren“), beide Hauptvertreter des klassisch-romantischen Balletts.
Die Mitarbeit an der Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper unter Dirigent Omer Meir Wellber und Regisseur Antú Romero Nunes bedeutete für Klein, den aus Landsberg am Lech stammenden Demisolisten des Bayerischen Staatsballetts, erstmalig die Auseinandersetzung mit einer französisch-italienischen Meisteroper des 19. Jahrhunderts. Die erste eigene Tanzproduktion hatte der heute 32-jährige Tänzer bereits 2012 in der Freien Szene realisiert. Bewusste Schritte in eine Zukunft, in der der professionelle Bühnentanz einmal nicht mehr Berufsmittelpunkt sein wird. In Münchens führender Kompanie ist er momentan der einzige, den choreografische Ambitionen umtreiben.
Dustin Klein. Foto: Wilfried Hösl
Wie aber ergattert man einen solchen Staatsopernauftrag? „Ich bin spontan ins Opernbüro marschiert und bot mich an“, erzählt Dustin. „Ich sei am Haus, wäre interessiert und sie sollen Bescheid sagen, wenn sie jemanden brauchen. Es dauerte nicht lange, und Henning Ruhe, Direktor des Künstlerischen Betriebsbüros, stand bei uns im Ballettsaal.“ Prompt, ohne weitere Vorkenntnisse über das Werk, akzeptierte Klein das Angebot. Einen Monat wurde er freigestellt und verzichtete darauf, bei der Wiederaufnahme von Crankos „Onegin“ mitzuwirken.
Dustins Laufbahn begann im Tanzstudio seiner Mutter. Zusätzlich trainierte er bei Heinz Manniegel in München und an der Jaga Antony Ballet School in Luxemburg. Mit 16 wurde er in die Royal Ballet School in London aufgenommen und anschließend von 2006 bis 2008 an die Deutsche Oper am Rhein engagiert. Danach wechselte er ins Ensemble des Bayerischen Staatsballetts, wo er 2014 zum Halbsolisten aufstieg. Als Interpret steht Klein heute technisch wie darstellerisch im Zenit seiner aktiven Tänzerkarriere, steppt in Wheeldons „Alice“ als Hutmacher und bringt in Neumeiers „Sommernachtstraum“ als Thisbe das Publikum in Spitzenschuhen zum Ablachen. Er schätzt sich glücklich, darin unterstützt zu werden, sich einen zweiten Karriereweg aufzubauen. „Als Ballettcoach sehe ich mich nicht. Das möchte ich anderen überlassen. Ich wusste früh, dass ich mich mit Bewegungssprache beschäftigen und eigene tänzerische Ausdrucksmöglichkeiten ausprobieren will. Tanz, Oper, Theater, Videos – sich nur auf eine Sache zu fixieren, würde mir zu schnell zu einseitig werden.“ Am 4. Juli präsentiert Klein seine zweite Staatsballettkreation im Rahmen der „Jungen Choreografen“. Man staunt nicht schlecht über das Thema: „Es geht um das Leben zum Verzehr großgezogener Schweine“.
Ursprünglich wollte Dustin Klein in der „Sizilianischen Vesper“ mit seinen Staatsballett-Kollegen arbeiten. Dies hätte einen Bruch der hart erkämpften Usance zur Folge gehabt, ein eigenes Opernballett zu beschäftigen. „Letztlich hat sich mit der SOL Dance Company aus Israel alles zum Besten gewendet. Aus Zeitgründen – und weil Tanz in der Oper eher zweitrangig ist – finde ich die Separierung der beiden Hochleistungssparten notwendig und gut. Andererseits höre ich von vielen Zuschauern, wie schön es sei, endlich auch in der Oper professionell geführte Tänzer zu erleben. Interessant wäre meiner Meinung nach, jährlich eine ausgesuchte Neuinszenierung in gemeinschaftlicher Kooperation auf die Beine zu stellen.“
„Les Vêpres Siciliennes“ mit der SOL Dance Company. Foto: Wilfried Hösl
Kennengelernt hat sich das „Vêpres“-Team Stück für Stück, teils über Skype. Die ganze Truppe, Matthias Koch (Bühne) und Victoria Behr (Kostüme) eingeschlossen, war relativ jung. „Eine coole Runde, in der man sich unter seinesgleichen gefühlt hat“, erinnert sich Dustin. „Wir kamen gut miteinander aus, standen uns aber trotzdem kritisch gegenüber. Antú Romero Nunes ist ein Super-Typ, ähnlich alt wie ich. Schnell machte er uns klar, Sizilien sei unter der Fremdherrschaft keine schöne, sondern eine widerlich runtergerockte Mittelmeerinsel, in der Frauen aus Selbstschutz wie Männer rumlaufen. Kochs multipel assoziative LKW-Plane fand ich sofort fantastisch. Ihre behäbige Art, sich stetig langsam wie Lava zu verformen, hat mich choreografisch inspiriert. Ballett, mit Mädchen auf Spitze, hätte dazu niemals gepasst.“
Wellber und Nunes verlegten die Ballettszene vom Maskenfest im dritten ans Ende des vierten Aktes. Und kürzten musikalisch den Winter-Satz der „Jahreszeiten“ komplett. Was blieb, ließen sie das Klangdesign-Duo Nick & Clemens Prokop mit computergenerierten Loops und Beats zeitgenössisch ummodeln. So entstand eine Fusion aus Live-Orchester und Sound-Interferenzen – für einen dem 21. Jahrhundert mehr entsprechenden Partybackground. Das Experiment rechnet Klein dem Dirigenten, der für den akustisch-visuellen Überraschungscoup der Inszenierung Kopfhörer aufsetzen muss, hoch an. Weil er oft zu elektronischer Musik choreografiert, mag der Verfremdungseffekt Dustin gerade recht gekommen sein. „Das machte mir die Erarbeitung des bizarren Bildes einfacher, ich war quasi in meinem Element. Es gibt aber auch andere Tanzteile. Die acht Tänzer sind ja in die ganze Aufführung eingebunden. Mit Marias Solo – verkleidet als Junge, der an den Strand gespült wurde – geht die Inszenierung los. Die Rettungsweste ist unser einziger Bezug zur Gegenwart. Beglückt, noch am Leben zu sein, tanzt das Kind und springt freudig erneut in die schwarzen Fluten. Dann treten die ersten einheimischen Zombiegestalten auf und die Geschichte nimmt ihren Lauf.“ Bewegungsformen zu Musik zu finden, die er sonst nie verwenden würde, war eine neue Herausforderung für Klein. „Ich musste mich der Frage stellen, wie ich damit umgehe und meinem Stil treu bleiben kann.“
„Ich bin spontan ins Opernbüro marschiert und bot mich an“, erzählt Dustin. „Ich sei am Haus, wäre interessiert und sie sollen Bescheid sagen, wenn sie jemanden brauchen. Es dauerte nicht lange, und Henning Ruhe, Direktor des Künstlerischen Betriebsbüros, stand bei uns im Ballettsaal.“
Gleich nach der Premiere unterbreitete Nunes Klein einen Tanz und Theater verbindenden Projektvorschlag für das Thalia Theater in Hamburg. Seit er choreografiert, fügt sich so eins ans andere. „Mein erster Auftrag war 2015 ‚DisTanz‘ für das Bayerische Staatsballett II. 2017 durfte ich für das Stanislawski-Theater in Moskau ‚X²‘ kreieren. Dort machte ich die Bekanntschaft von Eyal Dadon, dem Leiter der SOL Dance Company – also meinen Tänzern für die aktuelle Opernchoreografie. Für die Stuttgarter Noverre-Gesellschaft entstand ‚wer ko der ko‘. Die maskuline Pas-de-deux-Sause mit bayerischem Einschlag kam so gut an, dass mich tags darauf Ballettintendant Reid Anderson anrief.“ Im Sommer steht Strawinskys „Sacre“ – der zweite Auftrag für das Origen Festival in der Schweiz – auf dem Programm. Wie seine Stücke aussehen sollen, davon hat Klein genaue Vorstellungen. Partner, darunter seine Frau im Ausstattungsbereich, arbeiten ihm zu.
„Ganz anders in der Oper! Ich habe mich von Anfang an als Teil von etwas Größerem gesehen. Mir war klar: Das ist Antús Show, er hat das letzte Wort. Die Erfahrung, mal selbst den Ideen eines anderen zuzuarbeiten, fand ich schön. Das heißt nicht, dass man weniger gibt. Im Gegenteil. Man trägt eine unheimliche Verantwortung, dem Konzept des Regisseurs Herr zu werden. Es muss auf Vieles geachtet werden, das nicht mit dem eigenen Aufgabenfeld zu tun hat.“ Gerne wechselt Dustin Klein bald wieder die Perspektive. „Als Tänzer verlangt man immer etwas von mir. Als Choreograf bestimme ich. Mein Prozess beginnt jedes Mal bei Null, es gibt weder Text noch Partitur. In der Oper ist es ein Gemisch aus Selbstverantwortung und Umsetzungswünschen nach dem Motto ‚Wir möchten Folgendes – kannst Du das bitte so machen‘. Wichtig ist, im Kollektiv an der Grundidee festzuhalten, sich aber auch Spielraum zu lassen für das, was beim Justieren der verschiedenen Komponenten Konzept, Bühne, Kostüme, Tänzer, Musik entsteht.“
Vesna Mlakar |