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Berichte
Parabel über Religion und Gewalt
»Echnaton« von Philip Glass in Bonn
Ist diese Oper überhaupt eine Oper? Zweifel daran könnten jedenfalls aufkommen, wenn man den von den Anfängen der Gattung bis ins 20. Jahrhundert tradierten Genrebegriff zu Grunde legt. Dann könnte man Philipp Glass‘ „Oper“ Echnaton diese Bezeichnung durchaus aberkennen, ist es doch eher eine Ansammlung von Szenen, eine Bildbetrachtung, die Episoden aus dem Leben des ägyptischen Pharao Echnaton präsentiert. 1984 in Stuttgart uraufgeführt, ist sie der Abschluss einer Trilogie, mit der der Komponist historische Persönlichkeiten portraitiert.
Die Regisseurin Laura Scozzi hat „Akhnaten“ – so der Originaltitel des Werkes – in Bonn zu einer Parabel über Religion, Gewalt und Extremismus gemacht. Und sie hat das Kunststück fertiggebracht, eine Oper ohne Handlung als schlüssige Geschichte zu erzählen. Dazu hat sie eine Rahmenhandlung erfunden, die die historischen Gegebenheiten in Glass‘ Opus in die heutige Zeit überträgt, die „Moral von der Geschicht“ aber gleichzeitig zeitlos erscheinen lässt. Auch musikalisch zeigt man sich in Bonn dem Werk mehr als gewachsen: Das von Stephan Zilias dirigierte Beethoven Orchester zeigt sich ebenso von seiner besten Seite wie das Sängerensemble und der Chor.
Der Hohepriester Amuns (Johannes Mertes), Haremhab (Giorgos Kanaris), Ajeh (Martin Tzonev), Chor. Foto: Thilo Beu
Protagonist der Oper ist Echnaton, ein Pharao aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert und als Gatte der Nofretete und Vater des Tutanchamun bislang überwiegend nur mittelbar durch deren weitaus größeren Ruhm bekannt. Gekrönt wurde Echnaton als Amenophis IV., doch durch eine besondere Verehrung des Sonnengottes Aton, nach dem er sich später benannte, weist seine Herrschaft stark monotheistische Tendenzen auf. So ließ Echnaton in der Wüste eine neue Hauptstadt bauen, verlor dann aber immer stärker die Kontrolle über den Rest des Landes, bis er vermutlich einem Attentat zum Opfer fiel. Laura Scozzi setzt bei den historischen Ereignissen an und greift diese in ihrer in der Jetzt-Zeit spielenden Rahmenhandlung in Form einer Schülergruppe auf, die die Geschichte im Unterricht behandelt. Die Schüler tun das, was Schüler eben so tun, sie interessieren sich für alles, nur nicht für den Unterricht. Nur das Problemkind der Gruppe, die schweigsame Marie, ist fasziniert von der Person Echnatons.
Durch diesen Kunstgriff wird die historische Begebenheit in die Gegenwart geholt, und erstaunlicherweise geht das ziemlich gut. Denn Scozzi versucht hier nicht, etwas Historisches auf Biegen und Brechen auf Zeitgeistiges zu trimmen, sondern setzt ihre dramaturgische Zutat in vielschichtiger Hinsicht in Beziehung zu der Originalgeschichte und zu Tendenzen der Gegenwart. Bestes Beispiel: eine Szene, in der Echnaton am Fenster seines Palastes einen langen Hymnus singt. Auf die Mauer des Palastes werden nacheinander Gotteshäuser verschiedener Religionen projiziert, und ein Vertreter der jeweiligen Religion sprüht auf die Wand, dass nur sein Gott der wahre Gott sei. Zu guter Letzt jedoch kommt ein „neutraler“ Sprayer, der das universelle Symbol einer Friedenstaube als Graffiti anbringt. Ein Moment mit durchaus symbolhafter Kraft, ebenso wie manch anderer szenischer Einfall – etwa die Metamorphose des jungen zum alten Echnaton, die Scozzi gewissermaßen im Zeitraffer durch die szenische Überblendung verschiedener aufeinander abfolgender Darsteller symbolisiert. Das Bühnenbild von Natacha Le Guen de Kerneizon findet hier zumeist genauso schlüssige wie symbolhafte Lösungen.
Sehr gelungen ist die choreografische Seite dieser Aufführung, die den die Schüler darstellenden Tänzern einiges abverlangt. Hier zeigt die Inszenierung ebenso wenig Berührungsängste mit aktuellen Street-Dance-Trends wie mit der Tatsache, dass sie die zumeist repetitive Beschaulichkeit der Musik Glass‘ gelegentlich mit Anflügen von Klamauk und Aktionismus durchbricht. Auf der Haben-Seite auch das Bonner Ensemble: Der sphärische Counter von Benno Schachtner gibt Echnaton eine zuweilen auratische Erscheinung, der von Marco Medved einstudierte Chor glänzt mit vokaler und szenischer Präsenz, und auch Susanne Blattert (Nofretete), Marie Heeschen (Teje), Giorgos Kanaris (Haremhab) und Martin Tzonev (Ajeh) fügen sich bestens ins Gesamtbild, ebenso wie das außerordentlich präzise spielende Beet-
hoven Orchester.
Guido Krawinkel |