Hintergrund
Reflektierte Gefühle
Paul Klee und die Oper
Paul Klee war nicht nur Bildender Künstler, sondern auch Musiker. In seiner Jugend hatte er sich nur schwer zwischen den beiden Professionen entscheiden können, und obwohl er der Malerei schließlich den Vorzug gab, blieb er der Musik eng verbunden. Lebenslang war er ein passionierter Geiger und zugleich ein ebenso begeisterter wie kritischer Opern- und Konzertbesucher.
In Klees Werk reicht der Einfluss der Musik von Rollenporträts bis zu abstrakten Strukturen. In vielen seiner Gemälde, Aquarellen und Zeichnungen ist zu erkennen, wie er das Ordnungssystem der Töne mit Kompositionsprinzipien der Bildenden Kunst verband. „Rhythmen“ bestimmen die Gliederung der Bildflächen, „Klänge“ die Wahl der Farben. Und manchmal lässt sich auch die musikalische Notation mit Violinschlüssel und Fermate, Notenköpfen, Bögen und Taktstrichen in seinen Werken wiedererkennen.
Klee und die Oper
Ein besonderes Verhältnis hatte Klee zur Oper. Ihre komplexe Konstruktion aus Musik, Text und Schauspiel war für ihn geradezu das Modell eines Kunstwerkes schlechthin. Opernfiguren waren für ihn nicht nur fiktive Bühnenfiguren, sondern exemplarische Rollen, in denen die Psychologie von Glück und Leiden, Treue und Verführung, Würde und Lächerlichkeit verhandelt wurde. Klees Kenntnis der Opernliteratur muss enorm gewesen sein; die Zahl der Aufführungen, die er im Laufe seines Lebens besuchte, geht in die Hunderte. In seiner Heimatstadt Bern, vor allem aber in München und an seinen späteren Lebensstationen in Weimar, Dessau und Düsseldorf ließ er kaum eine Inszenierung aus.
Erstaunlicherweise scheint Klee bereits als Kind problemlos Zugang zur Oper gefunden zu haben. In seinen Schulheften entdeckt man die klagende Elsa aus Wagners „Lohengrin“, den weinenden Bajazzo und zahllose andere Physiognomien, die mit rollenden Augen und üppigen Frisuren manche Heftseiten regelrecht überwuchern. Und schon hier kündigt sich an, was die Oper für Klee im Laufe seines Lebens bedeuten sollte. Man erkennt, dass sie keineswegs eine Neigung zum bürgerlichen Theatergenuss befriedigte, sondern ein ironisches Vergnügen an der artifiziellen Überformung zwischenmenschlicher Emotionen. Klee wollte auf der Bühne nicht große Gefühle erleben, um sie tief bewegt nachzuempfinden, sondern um sie mit intellektueller Lust und ästhetischer Distanz genießen zu können. Er vertraute nicht auf die Unmittelbarkeit der Empfindung, sondern auf deren Brechung. Die Oper bot ihm dafür die geeignete Form an. Ihre irreale Verbindung aus Text und Gesang versetzte die Gefühle und Leidenschaften in eine Sphäre künstlerischer Eigengesetzlichkeit, aus der heraus er sie ernst nehmen konnte.
Mozart und andere Komponisten
Klees Operngeschmack war anfänglich in zeittypischer Weise von Wagner beeinflusst, schon bald aber konzentrierte er sich hauptsächlich auf Mozart. In dessen Opern sah er den Höhepunkt und die Vollendung in der Geschichte des Musiktheaters. „Die Entführung aus dem Serail“, „Die Hochzeit des Figaro“ und „Così fan tutte“, vor allem aber „Don Giovanni“ beschäftigten ihn über Jahrzehnte. „Psychologisch nicht zu kontrastreich“, so definierte er die Werke des Komponisten, „besonders nach dem Düstern hin nicht über ‚Wehmut‘ hinaus. Nach dem hellen Übermut ‚klare Grösse‘ als Grenzen. In allem Stabilität und Konsequenz, keine Nerven. Trauer ist selten; Zerrissenheit, Conflikt kommt nicht vor, und das helle Ende der Skala schließt lange vor dem bacchantisch Taumelnden (…).“
Mozart repräsentierte für Klee eine Harmonie ohne Extreme und eine Ausgewogenheit komplementärer Gefühlslagen, zugleich aber auch vielschichtige psychologische Konstellationen, deren Problematik ihn nachhaltig beschäftigte. Nicht umsonst wurde sein bedeutendstes Opernbild, „Die Sängerin L. als Fiordiligi“ von 1923, zu einem mit am häufigsten wiederholten Motive seines gesamten Werkes. Nicht weniger als fünf Fassungen gibt es von der zierlichen Frau mit Hut, die eine der beiden weiblichen Hauptfiguren aus Mozarts Oper „Così fan tutte“ darstellt.
Die Szene der Oper, auf die sich Klee in seiner Darstellung bezog, findet sich im 2. Akt: Fiordiligi hat bisher allen Verführungskünsten des sie bedrängenden Ferrando widerstanden und ihrem (scheinbar) in den Krieg gezogenen Geliebten Guglielmo die Treue gehalten. Sie spürt jedoch, dass Ferrandos Werben – gegen ihre verzweifelte Abwehr – nicht spurlos an ihr vorüber gegangen ist und beschließt, Guglielmos Uniform anzuziehen und an seiner Seite zu kämpfen. Entschlossen reißt sie sich ihren Kopfschmuck ab und setzt den Zweispitz auf: „Zur Hölle mit dir, unseliger Schmuck! (…) an deine Stelle setze ich nun den Hut.“
Bei Klee ist die Szene in einer prägnanten Bildformel zusammengefasst: Fiordiligi setzt sich den Hut nicht nur auf, sie hält sich regelrecht an ihm fest. Ihre erhobenen Arme grenzen dabei ein Bildfeld ein, in dem alle erotischen Signale – Brüste, Augen, Lippen, Haare – vereint werden und Verlockung und Abwehr gleichermaßen angedeutet sind.
Neben Mozart hatten andere Opernkomponisten einen schweren Stand. Zwar schätzte Klee auch Christoph Willibald Gluck, Bedrich Smetana, Modest Mussorgski und manche andere, wirklich nachhaltig jedoch beschäftigte er sich nur noch mit Jacques Offenbach und seiner phantastischen Oper „Hoffmanns Erzählungen“. In ihr sah er nicht nur eine musikalische Glanzleistung, sondern eine tief berührende Geschichte über menschliche Ohnmacht und Selbstbestimmung, die ihm in ihrer Mischung aus Leichtigkeit und Tragik besonders nahe war. „Dieses Genie ist immer mehr erkennbar“, schrieb er in einem Brief an seine Frau. „Er könnte, wie die Großen der neueren Oper, aber er biegt ab ins Zweideutige, und vollbringt damit die Tat, welche von langer Dauer sein wird.“
Gegenüber neueren Opernkompositionen hatte er dagegen Vorbehalte. Zwar interessierten ihn zeitweise die Opern von Richard Strauss, Paul Hindemith („Neues vom Tage“) und im Einzelfall auch von Kurt Weill („Die Bürgschaft“). Wirklich Feuer fing er dabei jedoch nicht.
Komische Figuren
Eine besondere Vorliebe Klees galt der Opera buffa, dem musikalischen Lustspiel. Die absurde Komik unheilvoller Verwechslungen und amouröser Intrigen, die geistvollen Koketterien und lächerlichen Eitelkeiten kamen seiner Neigung zur Ironie und seinem Sinn für Humor entgegen. Figuren wie der Palastwächter Osmin oder die Kammerzofe Blonde aus Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ lagen ihm näher als Belmonte und dessen edles Leiden.
Auch hier bevorzugte Klee nicht eine eindimensionale Lustigkeit, sondern die Ambivalenz zwischen Komik und Tragik. Es verwundert deshalb nicht, dass Klee nicht nur in ernsten Figuren die komische Komponente entdeckte, sondern umgekehrt auch die komischen Figuren auf ihr tragisches Potenzial hin betrachtete. Nach diesem komplementären Prinzip stellte er eine „komische Alte“ mit ängstlicher Miene und den Trinker und Genießer Falstaff als düstere Gestalt dar. Sogar Papageno, der auf der Bühne gerne als unkomplizierte Frohnatur inszeniert wurde, besitzt in Klees Interpretation ein doppeltes Gesicht. Hinter der rundlichen Maske des Vogelfängers steht eine dunkle Schattenfigur, und ein verängstigter Vogel schlägt mit den Flügeln und verrichtet angstvoll seine Notdurft.
Die Oper in Klees Werk
Paul Klees Opernbilder geben sich nicht leicht zu erkennen. Nur manchmal nennt er Figuren oder Stücke beim Namen, zumeist sind sie in der poetischen Prosa seiner Bildtitel verborgen. Klees Absicht war nicht Illustration, sondern die Verknüpfung mit eigenen Fragen des Lebens. Schon der erste Biograf seines Werkes, Will Grohmann, der den Künstler aus zahlreichen Gesprächen gut kannte, vermutete eine Vielzahl an unbekannten Bezügen. „Wir ahnen nicht“, so schrieb er, „bei wie vielen Blättern die Oper gemeint ist und welche (…). Sicher stehen hinter vielen anderen tänzerischen Gestalten, Verliebten und Trauernden, Maskierten und Demaskierten ebenfalls Opernerlebnisse, und bestimmt kommen zahlreiche Landschaften mit Monden und Sternen aus der Region der ‚Zauberflöte‘ und anderer Märchenopern.“
Der Fundus ist groß. Mehr als 9.000 Arbeiten umfasst Klees Gesamtwerk, und trotz jahrzehntelanger kunsthistorischer Forschung sind noch viele Entdeckungen zu machen. Das Thema Oper jedenfalls ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Christine Hopfengart |