Rezensionen
Oper, Religion und Geschichte
Isolde Schmid-Reiter & Aviel Cahn (Hg.): Judaism in Opera – Judentum in der Oper. 368 Seiten, zahlreiche Farbfotos, ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg 2017, 34 Euro, ISBN 978-3-940768-68-1
Religion und Oper als vermintes Feld? Heikel sind die historischen und aktuellen Implikationen bezüglich jüdischer Künstler und ihrer Musiktheaterwerke – auch für einen agnostischen Rezensenten. Anlässlich einer Neuinszenierung von Fromental Halévys „La Juive“ veranstaltete Antwerpens Opera Vlaanderen ein Symposium. Nicht Richard Wagners Judentum-Pamphlet, sondern Einflüsse jüdischer Kultur und Opernkunst sollten multiperspektivisch und international von Wissenschaftlern und Künstlern betrachtet werden. Der zweisprachige Band fordert das Englisch des deutschen Lesers fachspezifisch und nuanciert zu Musik, Kunst und Psychologie heraus.
Isolde Schmid-Reiter & Aviel Cahn (Hg.): Judaism in Opera – Judentum in der Oper. 368 Seiten, zahlreiche Farbfotos, ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg 2017
Als Generallinie der mitdiskutierenden jüdischen Künstler – etwa Jossi Wieler, Ioan Holender, Moshe Leiser, Barrie Kosky, Neil Shicoff – wurde klar, dass es keine spezifisch „jüdische“ Interpretation, Inszenierung oder Gestaltung gibt. Wiederholt wird die Rolle des Chores, wie etwa in „Moses und Aron“, anders als in herkömmlichen Inszenierungen bewertet. Hier und auch in vielen anderen Aussagen schwingt der Begriff „Schmerz-Potenzial“ mit. Jüdische Wissenschaftler betonen mehrfach die zentrale „unüberwindbare“ Zäsur im kollektiven jüdischen Selbstbewusstsein, die der Holocaust darstellt.
Peter Konwitschnys kühne Entscheidung, in seiner „Jüdin“-Inszenierung eine immer klischee-gefährdete Juden-Christen-Bebilderung zu umgehen, indem sich Menschen mit blauen und gelben Händen begegnen und gegenüberstehen, wird diskutiert, kontrovers speziell seine Regie-Zutat, die als Jüdin erzogene Christen-Tochter Rachel am Ende mit Sprenggürtel als Dschihadistin alles in die Luft sprengen zu lassen.
Die viele Einzeluntersuchungen und Fach-Aufsätze zusammenfassenden Vorträge von Hilde Haider, Erik Levi, Susanne Vill und Mathias Spohr machen das beeindruckend weite und vielfältige Spektrum jüdischer Künstler seit der frühen Neuzeit, speziell in der Aufklärung und im 19. wie 20. Jahrhundert kompakt überschaubar; hier werden auch Singspiele, die Komische Oper, Brettl-Künstler, die klassische Operette und das Musical mit einbezogen – samt Seitenblicken auf Filmadaptionen ein großer Lesegewinn. Dazu zählt auch Joshuah Hirshbergs tabellarische Zusammenstellung und inhaltlicher Ausblick auf Werke, die um jüdische Identität nach dem Holocaust bis ins Jahr 2010 kreisen. Insgesamt bestätigt sich auch bezüglich des Komplexes „Judentum und Musiktheater“ ein Satz Jonathan Swifts: „Wir haben gerade genug Religion in uns, um uns zu hassen, aber nicht genug, um uns zu lieben.“
Wolf-Dieter Peter
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