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Berichte
Ein großer Wurf
Othmar Schoecks begeisternde »Penthesilea« unter neuer musikalischer Leitung in Bonn
Es war eine Premiere mit Symbolkraft: der Einstand des gerade erst installierten Bonner GMD Dirk Kaftan als Dirigent in der Bonner Oper. Die Bonner Kulturpolitik war in den letzten Jahren ja eher mit Schlagzeilen der Kategorie „Pleiten, Pech und Pannen“ in den Medien vertreten. Die Impulse, die Kaftan mit diesem Programm der Gegensätze und einem neu aufgestellten Education-Bereich nun setzt, könnten in dem konfliktträchtigen Spannungsfeld von Kultur und Sport, das nicht zuletzt von der Politik eifrig befeuert wurde und zuweilen eher ein Minenfeld war, der gebeutelten Kulturszene wieder neues Renommee verschaffen. Gerade einmal 90 pausenlose Minuten dauert Schoecks
Werk, doch die Geschichte der Amazone Penthesilea, die ihren Gegner Achilles trotz dessen Liebe zu ihr im Kampfesrausch abschlachtet, wird in Peter Konwitschnys Inszenierung derart temporeich und spannungsvoll erzählt, dass man am Ende konsterniert zurückbleibt. Das ist in erster Linie dem ausnahmslos herausragenden, mit großer szenischer wie stimmlicher Präsenz agierenden Ensemble zu verdanken, das durchweg ausgezeichnet besetzt ist, allen voran Dshamilja Kaiser und Christian Miedl: beides großartige Stimmen und in jeder Hinsicht überzeugende Akteure in einem Drama, das an irrwitzigem Tempo und brutaler Gewalt kaum zu überbieten ist.
Penthesilea ist jedenfalls ein großer Opernabend, ein großer Wurf, der das Niveau der Bonner Oper eindrucksvoll unter Beweis stellt. Schoeck, der das Libretto zu seinem Werk selbst verfasste, hat Heinrich von Kleists literarische Vorlage radikal eingedampft und auf einen konzentrierten Kern verdichtet: eine Geschichte von Liebe und Hass, von Vertrauen und Missverständnissen. Diese dramaturgische Essenz wird in Peter Konwitschnys Inszenierung und durch Johannes Leiackers Ausstattung noch einmal ebenso konzentriert wie temporeich verdichtet – durch eine radikale Reduktion auf das Wesentliche. Die Bühne ist auf eine quadratische Fläche verlegt, die über den Orchestergraben hinweg in den Zuschauerraum hinein gebaut wurde. Kulissen im eigentlichen Sinne gibt es nicht, nur zwei Flügel, die von den beiden szenisch wie dramaturgisch eng eingebundenen Bühnenpianisten bespielt werden, fungieren auch als mobile, multifunktional genutzte Bühnenmöbel.
Das Orchester mit Dirk Kaftan als wirkungsvoll in Szene gesetztem Zeremonienmeister, der zu Beginn plötzlich wie aus dem Nichts dazustehen scheint, findet sich angesichts dieser Konstellation auf ein Podest im hinteren Bereich der Bühne verbannt, ist akustisch aber sehr präsent. Zwischen Orchester und Spielfläche sowie darum herum sitzt das Publikum, ein Szenario wie bei einem Boxkampf. Das funktioniert auch im Zusammenspiel mit den Sängern akustisch wie musikalisch ausgesprochen gut, zumal das Beethoven Orchester Bonn unter Kaftans überaus präziser wie konziser Leitung mit großartiger klanglicher Akribie und theatraler Wucht spielt.
Schoeck hat für seine Oper ein üppig besetztes, durch den Verzicht auf Tutti-Violinen und die Besetzung von nicht weniger als zehn Klarinetten allerdings klanglich eher mattiertes Orchester disponiert. Die hochexpressive Musik ergeht sich zuweilen in postromantischer Fulminanz, zumeist jedoch unterstreicht sie das dramaturgische Geschehen durch wuchtige Klangattacken von einiger Schärfe. Das wird durch das Beethoven Orchester mit größtem Nachdruck und absolut vorbildlich vorexerziert. Schon das klangliche Ergebnis ist in jeder Hinsicht überwältigend.
Sängerisch sieht es nicht anders aus. Dshamilja Kaiser als Penthesilea und Christian Miedl als Achilles tragen die Handlung musikalisch wie dramaturgisch, Aile Asszonyi (Prothoe), Ceri Williams (Oberpriesterin) sowie Kathrin Leidig, Marie Heeschen, Johannes Mertes, Christian Specht und Brigitte Jung stehen dem durch sie gesetzten Standard in nichts nach. Herausragendes leistet auch der von Marco Medved einstudierte Chor des Theaters Bonn, der überall im Publikum positioniert ist – wie im Übrigen auch der Zuschauerraum in vielfältiger Weise in das szenische Geschehen eingebunden wird. So eine atemberaubende und doch kultivierte klangliche Wucht erlebt man nicht alle Tage. Vor allem die tumultartig wirkenden und doch sehr präzise durchchoreografierten Kampfszenen entfalten nicht zuletzt im Chor eine eindrucksvolle Kraft und großartige Spannung.
Kurzatmige Einwürfe, mit denen Schoeck oft das dramaturgische Geschehen kommentiert, kommen hochpräzise, und auch die temporeichen Aktionen auf der Bühne wirken sich in keiner Weise negativ auf die musikalische Qualität aus. Großartig!
Am Schluss der Inszenierung greift Konwitschny zu einem Kunstgriff: Penthesilea tritt als Konzertsängerin auf, so als ob sie sich selbst der Geschichte entziehen und gleichsam vor ihrer blutrünstigen Tat fliehen würde. Hier offenbart der Regisseur Sarkasmus, gelegentlich auch Humor: Das nur als Bericht zu hörende und wie im Kleistschen Original nicht direkt gezeigte Abmetzeln des Achilles durch Penthesilea wird als sensationslüsterner Live-Report à la Event-TV in Szene gesetzt, ein näselnder, mit Alphorn auftretender Bote des Achilles wird zuvor von der Titelheldin gewitzt parodiert. Alles in allem ist diese Inszenierung bei aller radikalen Zuspitzung der Vorlage auch eine mit Pfiff gewürzte Mischung, die nicht nur einen brillanten, sondern auch einen unterhaltsamen Opernabend bietet. Am Ende ist man geradezu erschlagen, erschlagen von einer gewaltträchtigen Handlung, unglaublich präsenten Darstellern, einer ebenso reduzierten wie verblüffenden Inszenierung und eindrucksvoller Musik. Keine Frage, die Premiere von Othmar Schoecks Oper „Penthesilea“ an der Bonner Oper ist ein kollektiver Opernrausch, der mit irrwitziger Geschwindigkeit und unfassbarer Wucht vorbeizieht.
Guido Krawinkel
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