Portrait
Fehlende Wertschätzung
Falk Joost, VdO-Ortsdelegierter im Sächsischen Staatsopernchor, im Gespräch mit Michael Ernst
Er gilt als ältester ununterbrochen existierender Opernchor Deutschlands, der Sächsische Staatsopernchor. Zum 200. Gründungsjubiläum sprach Michael Ernst für „Oper & Tanz“ mit dem VdO-Ortsdelegierten Falk Joost.
Oper & Tanz: 200 Jahre Opernchor sind ein besonderes Jubiläum, an dem man nur ein einziges Mal beteiligt sein kann. Wie hat dies den Staatsopernchor beflügelt?
Jubiläumskonzert 200 Jahre Staatsopernchor mit dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden und der Sächsischen Staatskapelle.Foto: Frank Höhler
Falk Joost: Wir sind schon ziemlich stolz auf unsere Tradition. Besonders interessant ist, dass man hier sowas wie eine mündliche Überlieferung der Gesangskultur spürt, gerade wenn man neu in den Chor kommt. Auf unserer Jubiläums-CD ist das sehr gut zu hören. Da hat sich ein gewisser Gestus erhalten und wurde über verschiedene Generationen hinweg weitergegeben.
O&T: Wie blickt der Chor heute auf seinen Initiator Carl Maria von Weber?
Joost: Dass er unser Gründungsvater war, ist zwar ein historischer Fakt, wird aber nicht überbewertet. Natürlich lieben wir seinen „Freischütz“, gerade den herrlichen Jägerchor. Für mich war Weber auch ein Vorkämpfer für Wagners Opern, ob der das nun zugibt oder nicht.
Unser Chor ist ähnlich wie die Sächsische Staatskapelle eng mit Wagner und Strauss verbunden, wobei natürlich auch italienische Oper eine große Rolle spielt. Die Semperoper war ein Ort vieler Opern-Uraufführungen, und ich hoffe, dass sie das auch in Zukunft sein wird.
O&T: Geht der Blick zum Jubiläum in die eigene Vergangenheit oder eher nach vorn?
Joost: Für unseren Chor ist das definitiv ein Anlass, nach vorn zu schauen. Wohin gehen wir, in welche Richtung wird sich unser Berufsstand entwickeln, das sind die heute anstehenden Fragen.
Da mache ich mir auch gewerkschaftlich Gedanken. Im Moment habe ich eher das Gefühl, dass der künstlerische Beruf des Opernchorsängers zu einem reinen Dienstleistungsberuf wird. Wir sind verpflichtet, Kunst abzuliefern. Aber, ist das Kunst?
Meiner Meinung nach ist unser wahrer Intendant das Finanzministerium.
Wir werden vom Haus eingesetzt wie eine Orgel, wie wir gerade gebraucht werden, aber von der künstlerischen Auffassung her spielen wir eine Nebenrolle – jedenfalls im Vergleich zu Orchester, Solisten und Dirigenten. Leider ist das die interne Wahrnehmung in unserem glorreichen Haus. Vom Publikum werden wir geliebt, die Kritik lobt uns beständig, unsere Anerkennung innerhalb bleibt gering.
O&T: Die Semperoper ist in einer Übergangsphase, kann das der Grund dafür sein?
Joost: Meiner Meinung nach ist unser wahrer Intendant das Finanzministerium. Immerhin wird von unserer Oper erwartet, dass sie 42 Prozent ihrer Mittel selbst einspielt. Das ist einzigartig in Deutschland.
Wir haben seit Jahren einen Interimsintendanten, und der ist sicher ein akribischer Kaufmann, kein Künstler. Dadurch fehlt der Semperoper in meinen Augen generell die künstlerische Richtung. Zu selten waren in den letzten Jahren herausragende Produktionen und überregionale Anerkennung. Das liegt natürlich mit an den Unglücksfällen wie dem plötzlichen Tod von Ulrike Hessler und dem glücklosen Ausscheiden von Serge Dorny. Seitdem hat die zweite Führungsebene im Haus ihre Machtbefugnisse nach ihrem Gusto erweitern können. Um aber eine Oper von Format der Semperoper zu führen, bedarf es meines Erachtens einer wesentlich größeren künstlerischen Vision.
O&T: Wie sah in dieser Situation das 200. Jubiläum des Chores aus?
Joost: Fest steht, dass es ohne die aktive Bereitschaft und Arbeit unseres Chores nie ein Jubiläumskonzert gegeben hätte. Vom Haus aus gab es da gar nichts. Auch die hörenswerte Jubiläums-CD mit Aufnahmen aus rund acht Jahrzehnten hätte es ohne den Chorvorstand nicht gegeben. Lediglich eine etwas einfach gehaltene Broschüre mit großen bunten Bildern gibt es, nachdem wir sehr deutlich auf unser Jubiläum hingewiesen hatten. Dazu passt dann auch, dass die Staatskapelle es abgelehnt hat, das Jubiläumskonzert von unserem Chordirektor dirigieren zu lassen. Herrn Thielemann in Ehren, werden wir am 1. Mai 2018 ohne größeren Probenaufwand „Ein deutsches Requiem“ von Brahms geben, als Festkonzert! – Die Frage ist nur, wen wir zu Grabe tragen. Nebenbei bemerkt, singen wir diesmal nicht zum traditionellen Gedenkkonzert der Zerstörung Dresdens am 13./14. Februar. Darüber könnte ich mich aufregen.
O&T: Immerhin hat Sie die Stiftung zur Förderung der Semperoper mit ihrem diesjährigen Preis ausgezeichnet. Ließen diese Ehre und 10.000 Euro Preisgeld Feststimmung aufkommen?
Joost: Natürlich haben wir uns über diese Ehrung gefreut, das war sehr freundlich. Aber wie sieht es im Alltag aus? Die Chordirektion wird in die Spielzeitplanung nicht mit einbezogen, ein Unding! Man wird vor vollendete Tatsachen gestellt, dann wundern sie sich, dass sich der Chor beschwert, wenn es zum Beispiel zu wenige Probenmöglichkeiten in einer Produktion gibt. Selbst der Personalrat erfährt den Plan erst zwei Tage vor der Jahrespressekonferenz und hat darauf keinerlei Einfluss. Das läuft alles nicht auf Augenhöhe. Informationsweitergabe als Machtinstrument sagt man dazu, oder?
O&T: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Ende dieses Interims zur nächsten Spielzeit?
Joost: Die Vorhaben von Peter Theiler klingen sehr ambitioniert. Wir werden wahrscheinlich noch mehr spielen und noch weniger Repertoireproben haben als bisher. Uns wurde jetzt schon signalisiert, wenn es uns zu viel wäre, könnten wir ja aus dem Konzertbetrieb aussteigen. In engen Zeiten müsse man Abstriche machen, hieß es. Selbst die Konzerttätigkeit in Salzburg wurde schon in Frage gestellt. Das ist alles sehr ärgerlich. Unter diesen Voraussetzungen glaube ich nicht, dass es besser werden wird.
Seit Jahren schon laufen Personalrat, Gewerke und Technik Sturm und beklagen Überlastungen. In einer Personalversammlung hieß es von der Hausleitung dazu, Belastungen seien nicht auszuschließen, wenn die Qualität weiter erhöht und neue Besuchergruppen gewonnen werden sollen. Das heißt auf Neudeutsch: Wir müssen liefern!
Der Personalrat weist ständig auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hin und mahnt regelmäßig eine bessere Kommunikation mit der Leitung an. Da geht es uns wie allen am Haus.
O&T: Dass der Sächsische Staatsopernchor im Vergleich zu kleineren Häusern sehr gut dasteht, ist Ihnen aber bewusst?
Joost: Das ist mir schon bewusst. Wir sind noch immer privilegiert, wenn Sie damit meinen, dass wir nicht wie die Kollegen an den kleinen Häusern ständig um unseren Arbeitsplatz bangen müssen. Aber unser Arbeitsaufkommen ist nicht weniger groß, und fehlende Wertschätzung ist ein emotionales Problem, das der Motivierung nicht eben dient. Obwohl ich sagen muss, dass der Chor auf der Bühne sehr motiviert ist, spielerisch und musikalisch auf sehr hohem Niveau agiert. Wir haben tatsächlich Freude an unserer Arbeit, und wir tun das nicht für irgendeinen Minister oder Intendanten, sondern für unser Publikum und unsere Oper. Dabei haben wir das große Glück, mit Jörn Hinnerk Andresen einen Chordirektor gefunden zu haben, der uns vorbildlich unterstützt und uns ausgezeichnet auf unsere anspruchsvollen Aufgaben vorbereitet. Ja, wir fühlen uns verpflichtet, im Sinne unserer Oper die Tradition eines großartigen Ensembles weiterzuführen. Wir hoffen aber auch, dass dies von unserem designierten Intendanten verstanden wird. |