Editorial
Theater-Glück mit Luft nach oben
Anfang November wurde der „Glücksatlas“ (www.gluecksatlas.de) für das laufende Jahr 2017 veröffentlicht. Er basiert auf einer Studie, die jährlich im Auftrag der Deutschen Post ermittelt, wie es um die subjektive Lebenszufriedenheit in Deutschland steht. Wir liegen mit 7,07 von 10 möglichen Punkten in einem ganz guten Bereich – aber da ist noch Luft nach oben, wie uns allen voran die skandinavischen Länder vormachen.
Bei der Ermittlung des Glückslevels zeigen sich immer wieder dieselben glücksbestimmenden Faktoren. Eine sinnhafte, abwechslungsreiche und gesicherte Berufstätigkeit rangiert weit oben bei den Glücksgaranten, und es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Arbeits- und Lebenszufriedenheit. Arbeitslosigkeit oder die Angst davor ist hingegen ein zentrales Glückshindernis.
Gerrit Wedel. Foto: Charlotte Oswald
Auch eine Lohnentwicklung, die der Inflation sowie der individuellen Berufserfahrung und erbrachten Leistung angemessen ist, stellt einen wichtigen Glücksfaktor dar. Beiden letztgenannten Faktoren aber fehlt im Arbeitsfeld Theater die entsprechende Wertschätzung.
Die Arbeit der Kulturschaffenden stellt einen zentralen Beitrag zum kulturellen Reichtum des Landes dar und führt damit auch zu einer intensiven Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen. Die Arbeit im und für das Theater zählt sicher zu den vielfältigsten Berufen, die es gibt. Von einem gesicherten Arbeitsumfeld kann im Theaterbereich vor dem Hintergrund der Diskussionen um die notwendige Finanzierung jedoch keine Rede sein.
Wenn man den Glücksatlas als Deutschlandkarte betrachtet, fällt ein dramatisches Ost-West-Gefälle auf. Es kann und darf nicht sein, dass 28 Jahre nach dem Mauerfall weiterhin so große Unterschiede bestehen. Insbesondere in den „neuen“ Bundesländern ringen wir regelmäßig um die Finanzierung der kulturellen Institutionen, verhandeln an einigen Standorten immer noch über Haustarifverträge, die massive Einschnitte in die tariflichen Vergütungen bedeuten.
Das größte Problem jedoch ist, dass der von den Mitarbeitern über Jahre hinweg im Vertrauen auf eine bessere Zukunft geleistete Verzicht von einem Teil der Rechtsträger schon wie selbstverständlich in den entsprechenden Haushaltsdiskussionen als feste Grundlage eingeplant wird und nicht als – wie ursprünglich vorgesehen – vorübergehende Notlösung. Werden jedoch Forderungen nach auskömmlicher oder zumindest tarifgerechter Finanzierung erhoben oder sogar nur nach einem schrittweisen degressiven Abbau von Verzichtsleistungen, so wird dies von den verantwortlichen Rechtsträgern regelmäßig mit der unverhohlenen Drohung der Insolvenz quittiert. Und das zum Teil seit über 20 Jahren; das Gefühl eines gesicherten Arbeitsplatzes sieht anders aus, von dem Empfinden der vollkommen fehlenden Wertschätzung mal abgesehen.
Tarifgerechte Entlohnung gibt es nur bei den unmittelbaren kommunalen Einrichtungen. Bei den in privaten Rechtsformen ausgelagerten Institutionen aber, wo über lange Zeit im Hinblick auf den Erhalt der Einrichtungen die Bereitschaft zur (temporären) Abkehr von flächentariflichen Bedingungen gelebt wurde, wo man sich kompromissbereit gezeigt hat im Sinne der Sache, werden die eigentlich nur für den Ausnahmefall vorgesehenen tariflichen Spielräume zur Selbstverständlichkeit. Die Rechtsträger können sich nicht weiter auf dem Rücken der Mitarbeiter ihrer Verantwortung entziehen.
Bedingt durch diese problematische Ausgangssituation ist aber auch das künstlerische Niveau nachhaltig gefährdet, da es aufgrund der mangelnden Attraktivität zunehmend schwieriger ist, überhaupt noch geeignetes und qualifiziertes Personal zu finden. Vor 200 Jahren war man da schon mal weiter und bemühte sich gerade, um die Qualität zu sichern, die (Vergütungen und) Arbeitsbedingungen zu verbessern (s. Bericht auf S. 12).
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob derartige tarifliche Spielräume noch zeitgemäß und zumutbar sind. Ist nicht vielmehr der Zeitpunkt erreicht, in dem unter diesen Bedingungen ein Abweichen grundsätzlich nicht mehr als gerechtfertigt angesehen werden kann? Muss nicht die rechtliche Möglichkeit für diese Spielräume kategorisch abgeschafft werden, um die Politik zu zwingen, Farbe zu bekennen, inwieweit Tariftreue 28 Jahre nach der Wende nicht bloß ein Lippenbekenntnis ist.
Hoffen wir auf die Erkenntnis und ein Umdenken, hoffen wir darauf, dass den Mitarbeitern endlich auch wieder für ihre Zukunft sichere Arbeitsperspektiven gegeben werden, auf dass die Zufriedenheit steigt und die bestehenden Unterschiede in unserem Land endlich vollkommen abgebaut werden...
In diesem Sinne: Glückauf!
Gerrit Wedel
|