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So menschenähnlich wie möglich

Oper und Ballett beim Salzburger Marionettentheater · Von Malve Gradinger

Märchen und Puppen – wenn auch heute zum Teil ersetzt durch Modisches, wie Barbie, Playmobil und Videospiel – sind für Kinder immer noch die besten Helfer auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Mit Geschichten und den feinsten Gliederpuppen führt das Salzburger Marionettentheater kleine und große Menschen wunderbar spielerisch an Musiktheater heran. Als eines der wenigen Marionettentheater spielt es in einem eigenen Haus. Der barocke Theatersaal, mit einer Bühne von immerhin ein mal drei Metern, hat Platz für 350 Zuschauer. Und es ist tatsächlich ein Ort für Musiktheater-Liebhaber.

Neben Opern, vor allem von Mozart, bietet das Repertoire ein Musical, ein Ballett und ein Shakespeare-Stück. Mit diesen Inszenierungen geht das Theater weltweit auf Tournee. Nun ist ein virtueller Besuch des Theaters möglich: Auf DVD erschienen sind das Tschaikowsky-Ballett „Der Nussknacker“ und Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“. Außerdem liegt zum 100. Jubiläum – das Salzburger Marionettentheater wurde 1913 von Anton Aicher gegründet – eine ungemein mutige, glücklicherweise höchst gelungene Co-Produktion mit dem Salzburger Landestheater ebenfalls auf DVD vor (Belair Edition): die „Ring“-Tetralogie, zusammengefasst in nur zwei Stunden – eine phänomenale Leistung und ein großes Vergnügen für den Zuschauer.

Natürlich bekommt man das Musikdrama nur in quasi homöopathischen Dosen. Aber Philippe Brunner hat die „Ring“-Aufnahme(n) der Wiener Philharmoniker (1958-64) unter Sir Georg Solti, immerhin mit berühmten Stimmen wie Brigitte Fassbaender, Birgit Nilsson, Joan Sutherland, Dietrich Fischer-Dieskau und Wolfgang Windgassen, praktikabel gekürzt. Und Carl Philip von Maldeghem hat so sensibel in Text und Musik hinein inszeniert, dass der Mythos um Gier, Verführbarkeit und Macht klar erzählt wird – ganz in der speziellen Poesie des Marionettentheaters.

Da stiehlt Alberich zwischen grazil umher paddelnden Rheintöchtern den Schatz, den Wotan – als Global Player im Cadillac anrollend – ihm mit List wieder entwendet. Siegfried, ein Twen von heute, schwingt sich sportlich in Jeans und T-Shirt auf ein behende galoppierendes Rösslein und ersticht den sich ballonartig vom Boden aufblasenden Drachen Fafner. Dreißig Mari-onetten, alle exquisit modelliert, intrigieren, jagen dem Schatz und dem Ring nach, lieben und töten. Und das wunderbar differenziert realitätsnah dank der fabelhaften Puppenspieler. Eine besonders lebendige Qualität bekommt diese Inszenierung durch das integrierte junge Schauspieler-Duo Christiani Wetter und Tim Oberließen.

Die beiden schlüpfen mit viel Einfühlungsvermögen wechselweise in Rollen, werden erstaunlich natürliche Spielpartner der Marionetten. Sie erklären aber auch die komplizierte Handlung mit all den Konflikten und den (Liebes-)Überkreuzbeziehungen. Und sie kommentieren immer wieder jugendlich locker, in der Art: „Die Frauen wollen kuscheln und die Männer (also die ewig abenteuernden Recken) wollen – weg!“ Da wird Scheu vor dem großen Wagner über humorvolle Umgangssprache abgebaut.

Der Bonusteil gewährt unter anderem einen Blick auf die für den Zuschauer nicht sichtbare Spielbrücke, auf der die Puppenspieler hantieren. Wie kompliziert und wie extrem körperlich anstrengend die Führung einer mehrgliedrigen Marionette ist, erklärt eingängig in dem Bonus der „Nussknacker“-DVD Gretl Aicher, Enkelin des Theatergründers und bis kurz vor ihrem Tod 2012 auch die Theater-Chefin. Am anspruchsvollsten sei die Marionetten-Technik bei einem Ballett. Obwohl „Nussknacker“ schon 31 Jahre im Repertoire ist, müsse es vor jeder Vorstellung penibel geprobt werden. Für die im „Nussknacker“ eingesetzten hundert Marionetten (von insgesamt fünfhundert im Theater-Fundus zum damaligen Zeitpunkt) und die wechselnden Kulissen sei das ganze Team von elf Puppenspielern im Einsatz. Allein die Zuckerfee brauche für Kopf, Arme, Hände und Beine vier „Beweger“. Gretl Aichers Herzensanliegen war es „die Technik der Marionettenführung zu perfektionieren, um sie so menschenähnlich wie möglich wirken zu lassen“ (Zitat aus dem sorgfältig gemachten „Ring“-Begleitheft). In diesem „Ring des Nibelungen“ wurde das aufs Schönste verwirklicht. So ist ihr zu Recht diese Produktion gewidmet.

Malve Gradinger

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