Verdienstvolle Aufzeichnungen
Neues vom DVD-Markt: Oper und Ballett
„Bluthochzeit“
Wolfgang Fortner: Bluthochzeit, Chor und Sinfonieorchester Wuppertal. ML: Hilary Griffiths, R: Christian von Götz (2013), Wergo DVD MV 08075 (132 Min.)
Bühnenwirksamkeit und Zwölftonmusik können fesselnd zusammenwirken – wenn man wie Wolfgang Fortner durch seine Freundschaft mit Karl-Heinz Stroux immer wieder theateraffin komponiert hat. So schrieb Fortner schon 1948 die Schauspielmusik zu Stroux’ „Bluthochzeit“-Inszenierung. Lorca war in diesen Jahren eine Entdeckung: Die entlarvenden Verschränkungen von spanischem Machismo, Franco-Faschismus und inhumanen Ehrbegriffen lag dieser parallel vom NS-Kulturbarbarentum befreiten Generation künstlerisch nahe. Prompt wurde keine bühnenferne „Hirn-Musik“ komponiert. Allerdings klingen andalusische Volksmusik, Kas-tagnetten und Bolero nur ein wenig herein. Vielmehr soll vor allem mit Sprechtext, melodramatisch unterlegten Sätzen, lyrischen Phrasen und nur gelegentlich hochexpressiv grellem Gesang die Verständlichkeit von Text und dramatischer Verstrickung erreicht werden. Prompt wurde das im neuen Kölner Opernhaus 1957 uraufgeführte, packende Werk viel nachgespielt
– und vergessen. In der verdienstvollen „Ausgrabung“ der Wuppertaler Bühnen haben Regisseur Christian von Götz und Dirigent Hilary Griffiths
das Orchester zusätzlich hinter die bis ans Publikum heranreichende Spielfläche verlegt und so die gesellschaftliche Unfreiheit wie auch die damit verbundene sexuell enge Verquastheit noch nähergerückt. Vor der projizierten Fassade eines heutigen Wohnblocks in trostloser Vorstadt agiert der Chor unaufdringlich überzeugend als Kleinbürger mitsamt Punks und Drogensüchtigen. Doch zurecht hat Regisseur Götz Lorcas Bezug zum Surrealismus seiner damaligen Freunde Dalí und Buñuel mit eingearbeitet: über die symbolischen Figuren des Mondes und der todverkündenden Bettlerin hinaus auch einen von Verena Hierholzer getanzten Dämon. Er lässt viele Szenen auf dunkler Bühne wie aus den schwarzen Alpträumen der alles dominierenden Muttergestalt auftauchen: Dalia Schaechter muss hinter übermächtigen Vorgängerinnen kaum zurückstehen. Eine lohnende Wiederentdeckung, eine verdienstvolle Aufzeichnung.
„Pelléas et Melisande“
Claude Debussy: Pelléas et Melisande, Chor und Orchester der Opéra National de Paris, ML: Philippe Jordan, R+B+K: Robert Wilson (2012). Naïve DVD DR 2159
Exzellente Besetzung, hochsensibler Dirigent, gutes Orchester, guter Chor – nur: abermals die im Übermaß bekannte „Wilson-Ästhetik“. Zur rätselhaften und geheimnisvollen Zauberwelt des Werkes passt ein gewisses Maß an Stilisierung – doch hier dominiert sie bis zur leeren Ges-te und Formelhaftigkeit. Nichts von einem mühsam kaschierten „Theater der Grausamkeit“.
Wolf-Dieter Peter
Paul Taylor in Paris
Paul Taylor Dance Company in Paris: „Brandenburgs“ und „Beloved Renegade“,
BelAir classiques
Paul Taylor, im Juli 83 geworden, gehört zu der zweiten Generation der US-Modern-Dance-Choreographen, welche die künstlerische Linie von Martha Graham und Merce Cunningham, in deren Compagnien er tanzte, fantasievoll und produktiv bis heute fortgeschrieben haben. Aber auch sein Studium bei anderen wichtigen Modernen wie Doris Humphrey und José Limón und dem neoklassisch-modernen Antony Tudor ist in seinem Oeuvre auszumachen. Über all diese Einflüsse hat er seine eigene Handschrift gefunden, mal in humorvollen, schrägen, postmodern-tanztheaternahen oder rein abstrakten Stücken, wie sein „Brandenburgs“ von 1988.
Vorwiegend zu schnellen Sätzen aus Bachs „Brandenburgischen Konzerten“ Nr. 3 und 6 nehmen seine Tänzer immer wieder von rechts und links die Bühne: im Laufen, mit „jetés“, den weiten klassischen Spagatsprüngen, noch öfter mit der kurzhohen Graham-Variante, bei der das vordere Bein im Knie abgebogen ist. Es ist insgesamt höchst gelungen und heutig, wie er Graham-Vokabular eingeschmiedet hat in eine dynamisch treibende Neoklassik. Im Umgang mit der Musik bleibt er dabei dicht auf den Spuren des berühmten Neoklassik-Meisters George Balanchine, der nie einsinnig auf Takt und Note tanzen ließ. Zusammen mit Taylors etwas esoterisch wirkendem Spätwerk „Beloved Renegade“ (2008) zu Francis Poulencs „Gloria“ wurde dieses mitreißende „Brandenburgs“ anläßlich eines Paris-Gastspiels 2012 aufgenommen. Und hat auch als Film die Sogkraft einer architektural gezähmten überschäumenden Energie. Der Bonus-Teil liefert erhellende Interviews mit Tänzern und Taylor selbst.
„Dance & Quartet“
„Dance&Quartet”. Three Ballets by Heinz Spoerli, Arthaus Musik
Diese Aufnahme von drei Spoerli-Balletten im Rahmen des Salzburg Festivals 2012 ist eine sehr schöne Abschieds-Hommage an Heinz Spoerli, der Ende der Saison 2011/2012 nach sechzehn erfolgreichen Jahren als Leiter des Zürcher Balletts seinen Abschied nahm.
Spoerlis erstaunliche Produktivität, ob in der Domaine klassisches Handlungs- oder abstraktes ins Zeitgenössische gehendes Ballett, erklärt sich aus der Tatsache, dass ihm Schrittmaterial sichtbar ganz leicht zufließt. Dadurch haben manche seiner Arbeiten, bei aller Qualität, etwas Konfektioniertes. Was glücklicherweise nicht der Fall ist bei diesen drei Spoerli-Juwelen. Auffallend sensibel geht der Schweizer „Tanzmacher“, wie er sich selbst bescheiden nennt, hier ein auf die Streichquartette von Leos Janácek, Antonín Dvorák und Franz Schubert. Und so werden diese wie für die klare Struktur der Salzburger Felsenreitschule geschaffenen Stücke: „Lettres intimes“ (2009), „In Spillville“ (2011) und „Der Tod und das Mädchen“ (2010) zu einem neoklassisch-tänzerischen und – mit dem Hagen Quartett – auch sehr feinen musikalischen Vergnügen.
Malve Gradinger
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