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Kulturpolitik

... dann geht die Post ab

Die chor.com 2013 in Dortmund · Von Juan Martin Koch

Gemessen an der Selbstverständlichkeit, mit der die chor.com 2013 über die Bühne ging, hätte man meinen können, der Dreiklang aus Messe, Workshop-Forum und Festival begleite die vielstimmige Szene schon seit vielen Jahren. Das soll nun nicht heißen, dass Zauber und Aufbruchstimmung, die von der Premiere ausgegangen waren, zwei Jahre später schon verflogen gewesen wären. Dem Allegro agitato von 2011 folgte – trotz deutlich gestiegener Teilnehmer- und Ausstellerzahlen – gleichsam ein vom veranstaltenden Deutschen Chorverband (DCV) souverän eingezähltes Allegro moderato.

Musikalisch und darstellerisch ein Vergnügen: VOCES8 aus Großbritannien. Foto: Juan Martin Koch

Musikalisch und darstellerisch ein Vergnügen: VOCES8 aus Großbritannien. Foto: Juan Martin Koch

Dementsprechend lapidar, aber durchaus unterhaltsam, wurde die zweite Ausgabe des Branchentreffs dann auch nicht mit einer großen, musikalisch umrahmten Eröffnungsveranstaltung eingeläutet, sondern mit einer von nmz- und Oper&Tanz-Herausgeber Theo Geißler moderierten Gesprächsrunde, in der DCV-Präsident Henning Scherf auf den Punkt brachte, was der Verband, ausgehend von seiner „Caruso“-Initiative für das Singen im Kindergarten, in den kommenden Jahren erreichen will: „Wenn das wachsende Interesse der Kinder und dann auch der Eltern am Singen mit gut ausgebildeten Chorleitern zusammenkommt, dann geht die Post ab!“
Wie diese zum Teil musikferne Elterngeneration angesprochen werden könnte, darauf gaben die Veranstaltungen der chor.com freilich keine speziellen Antworten. Dafür thematisierten viele Workshops das Singen mit Kindern oder Jugendlichen, und Friedhilde Trüün präsentierte die Ergebnisse ihrer Bach-Arbeit mit über 200 Grundschulkindern. Dass auch ältere Menschen mit der Lust am Singen neu anzustecken wären, machte indes der unermüdlich omnipräsente Michael Betzner-Brandt mit seinem 60plus-Chor „High Fossilitys“ deutlich.

Das dazugehörige Notenheft war eine von vielen Querverbindungen in die auch international ausgeweitete Fachmesse hinein, bei der sich rund 70 Verlage, Firmen und Institutionen präsentierten.

Baustellen

Ein Blick auf die über 150 angebotenen Fortbildungsveranstaltungen machte deutlich, dass nach wie vor der Bereich Jazz/Pop auf großes Interesse stößt, ebenso Bereicherungen des Repertoires beziehungsweise der Aufführungssituation durch Bewegung und improvisatorische Elemente. Auch zeitgenössische Musik spielt eine Rolle, wobei aber, mit wenigen Ausnahmen, Sanglich-Bekömmliches vorherrscht. Auf dem Schwarzen Brett „ChorleiterIn trifft KomponistIn“ wiederum war genau ein Name verzeichnet, zu den jeweiligen Treffpunkten erschien an beiden Tagen niemand…
Hier hat die Szene also wohl noch Nachholbedarf oder ist – möglicherweise zu Recht – gerade mit anderen Dingen beschäftigt. Wie wär’s zum Beispiel mit einem Singbündnis? In einem von Barbara Haack moderierten chor.com-Talk berichtete DCV-Geschäftsführerin Veronika Petzold von der mühseligen, aber lohnenden Aufgabe, im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung – und dem Antragswesen des projekttragenden Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ausgeliefert –, lohnende Ko-operationen auf die Beine zu stellen. Vom Erfolg eines solchen Bündnisses „auf dem Land“ konnte Robert Göstl (hier in seiner Eigenschaft als Leiter eines örtlichen Singkreises) berichten, während der Kölner Musikpädagogik-Professor Jürgen Terhag den Part des Kritikers einnahm: In seinen Augen ist der Geldregen in Sachen kulturelle Bildung nicht mehr als die Bemäntelung eines Abbauprozesses. Eine Verstetigung gerade auch am zentralen Bildungsort Schule tue dringend Not, so Terhag.

Weitere kultur- und hochschulpolitische Baustellen, an denen der DCV kräftig mit anpackt, kamen auf der chor.com ebenfalls zur Sprache, etwa bei der Vorstellung des auch berufsbegleitend studierbaren Weiterbildungs-Masters Chorleitung, den die Berliner Hanns-Eisler-Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Chorverband ab Februar 2014 anbietet. Bezeichnend war, was der dortige Chorleitungsprofessor Jörg-Peter Weigle zu berichten hatte: Ein anfänglich ebenfalls ins Auge gefasster Studiengang Ensemblesingen stieß auf taube bis entsetzte Ohren.

Konzertimpressionen

Vollgepackt mit neuen Anregungen, machte sich das chor.com-Publikum abends auf den Weg in die bestens erreichbaren Konzertorte in der Dortmunder Innenstadt. Wer wenigs-tens hier auf das eine oder andere kompositorische Wagnis gehofft hatte, wurde wiederum enttäuscht. Die von Chorleiter Rupert Huber zusammengestellte persisch-deutsche Musik- und Textcollage rund ums Thema Rose erwies sich als überaus dürftig.

Dann doch lieber Schütz, zumal wenn die „Exequien“ so schlicht und so vollendet ausschwingen wie beim Dresdner Kammerchor unter Hans-Christoph Rademann. Oder Bach: Der Deutsche Jugendkammerchor und das ebenso jugendliche Originalklangorchester „Bachs Erben“ steigerten sich unter Robert Göstls Leitung nach anfänglichen Hemmnissen zu einer kraftvoll-bewegenden Darstellung der h-moll-Messe. Altus Franz Vitzthum und Bassist Raimund Nolte führten das exzellente Solistenquartett an, Stefan Klöckner steuerte reflektierende Zwischentexte bei.

Im üppigen „Nachtklang“-Programm stachen die lässige Klasse von „VOCES8“, der raumgreifende Mut zur Grenzüberschreitung des Mädchenchors am Essener Dom und die Ausdauer des Steirischen Landesjugendchors Cantanima besonders hervor. Letzterer hatte sich über vier Tage hinweg in Jan Schumachers Intensivkurs als exzellenter Studiochor in den Dienst der Sache gestellt. Am Ende entließ die chor.com 2013 ihre Besucher wie schon vor zwei Jahren in einen Zustand euphorischer Erschöpfung. Hinein mischte sich auch schon die Vorfreude auf die nächste Ausgabe: Man sieht und hört sich vom 1. bis 4. Oktober 2015 in Dortmund!

Juan Martin Koch

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