Einprägende Momente
Verdis „Stiffelio“ in Mönchengladbach · Von Christoph Zimmermann
Nicht nur Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ hat die Zensur übel mitgespielt, sondern zuvor schon dem „Stiffelio“, dessen seinerzeit moderne Handlung um Liebe, Betrug, Eifersucht und Rache zu einer Rittergeschichte („Aroldo“) umfunktioniert werden musste. Die originale Partitur verschwand, erst 1968 tauchten Abschriften auf, wie ein Programmheftbeitrag zur Produktion in Mönchengladbach mitteilt (die Piper-Enzyklopädie spricht lediglich von „Rekons-truktion“). Das Milieu der Originalfassung hat heute natürlich mehr Aussagekraft als das des etwas staubigen Ritterepos‘.
Verdi-Ausgrabung in Mönchengladbach. Foto: Matthias Stutte
Bei dieser Überzeugung setzt in Mönchengladbach die Regisseurin Helen Malkowsky an. Sie begründet ihre Interpretationsidee wortreich. Zum Verständnis hätte es freilich genügt zu sagen: verhärteter Absolutheitsanspruch im Rahmen christlicher Ethik hier, humane Bereitschaft zum Verzeihen dessen, was gemeinhin als Sünde gilt, dort. Hierzu ringt sich Verdis Titelheld, ein Geistlicher, zuletzt auch durch. Ob er protestantisch ist oder nicht, tut eigentlich nicht viel zur Sache. Verdis Oper auf einen Text von Francesco Maria Piave steigt mit ihrer Handlung ohnehin erst dort ein, wo bei der Schauspielvorlage („Le Pasteur ou L’Évangile et le foyer“ von Émile Souvestre und Eugène Bourgeois) der dritte Akt beginnt. Damit fallen einige vor allem psychologisch nicht unwesentliche Dinge unter den Tisch.
Helen Malkowsky versucht – zur Musik der Ouvertüre – die längst zurückliegende und auch eher halbherzige Affäre von Stiffelios Frau Lina mit Raffaele von Leuthold zu vergegenwärtigen. Die Schuld steht Lina so sehr ins Gesicht geschrieben, dass man meinen könnte, sie sei mit dem Teufel im Bunde gewesen oder habe sonst etwas Abgrundtiefes verbrochen. Den Chor als mahnendes Kollektiv zu zeigen, ist durchaus sinnvoll, aber auch hier verkehrt sich Deutungsintensität schon mal ins Gegenteil des Komischen um.
Recht schlimm steht es auch um die Figur Stankars, Linas Vater, der vor Ehrpusseligkeit schier ausflippt. Sein Soldatenrock mit Ehrabzeichen gibt zwar Einiges an Erläuterung her, aber die exaltierte Spielweise kommt irgendwie aus Opas Regiekiste. Johannes Schwärsky macht freilich das Bes-te daraus und beglaubigt die eifernde Figur auch mit expressivem Gesang, welcher Ausdruck und Belcantolinie auf einen überzeugenden Nenner zu bringen versteht.
Hartmut Schörghofers Ausstattung fasst die Szene mit hohen, hellen Wänden ein – das wenig individuelle Dekor eignet sich zur Wiederverwendung. Ab und zu wird im Hintergrund eine gefächerte Wand herabgelassen oder hinaufgezogen. Zu Beginn des zweiten Aktes (die verzweifelte Lina am Grabe ihrer Mutter) teilt sie sich und lässt mit den frei werdenden Flächen ein Kreuz entstehen. Das Symbol stimmt, die Wirkung weniger. Die Kostüme stammen von Susanne Hubrich; sie sind modern, mehr kann man zu ihnen nicht sagen.
Das Premierenpublikum vermochte sich mit alledem jedoch offenkundig anzufreunden. Sei’s denn. Den Jubel über die musikalische Ausführung, vor allem die der Sänger, kann man freilich voll bejahen. Selbst die etwas unauffällige Partie des Federico (Linas Cousin) ist mit Andrey Nevyantsev aus dem Opernstudio Niederrhein extrem gut besetzt. Mit der Cousine Dorotea, gleichfalls eine Minipartie, vermag Eva Maria Günschmann kaum zu punkten. Hayk Dèinyan (Gemeindevorsteher Jorg – im Schauspiel ist er Stiffelios Adoptivvater) bestätigt sein bekanntes solides Niveau. Dem Raffaele gibt Michael Siemon ausreichend Tenorschmelz. Freilich ist ihm Michael Wade Lee weit überlegen, nicht nur wegen des größeren Umfangs der Titelpartie. Der amerikanische Sänger verfügt über ein weich gerundetes, aber doch festes Organ mit gesunder, unforcierter Höhe, artikuliert empfindsam, wobei das religiös Eifernde von Stiffelio keineswegs zu kurz kommt. Ganz superb ist wieder einmal (nach ihrer Marija in Tschaikowskys „Mazeppa“) Izabela Matula mit ihrem leicht metallischen Sopran, der in der oberen Lage regelrecht gleißt. So wird Lina zu keiner abgehärmten Leidensfigur, ihre Demut im letzten Akt entbehrt des Kriecherischen. Hinreißend die lyrische Intensität bei der Arie am Grab (eine der wenigen wirklichen Belcanto-Szenen der Oper) und die in mühelosem Piano bewältigten Oktavsprünge in der großen Preghiera.
GMD Mihkel Kütson unterstreicht mit den gut präparierten Niederrheinischen Sinfonikern vor allem die innovativen Momente von Verdis Musik, welche sich vom traditionellen Nummernschema häufig entfernt, lässt aber auch Dramatik mächtig pulsieren. Dem von Ursula Stigloher einstudierten Chor dankt man sehr einprägsame Momente.
Christoph Zimmermann
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