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Kulturpolitik

Schubert mit schweren Jungs

Ein Opernprojekt mit jungen Strafgefangenen · Von Barbara Haack

Zehn Projekte standen auf der Nominierungsliste für den „BKM-Preis Kulturelle Bildung“ des Kulturstaatsministers. Bernd Neumann zeichnet mit diesem Preis beispielhafte Projekte der kulturellen Vermittlung aus. Immerhin zwei davon haben sich mit dem Thema Oper beschäftigt. Zwei Projektbeschreibungen:

„Metamorphosen“ im Schlosspark Adelsheim. Foto. Mohamed Badarne

„Metamorphosen“ im Schlosspark Adelsheim. Foto. Mohamed Badarne

Das Genre Oper steht nicht unbedingt ganz oben auf der Liste derjenigen Kultursparten, die als leicht zu vermitteln gelten. Die Idee, die Oper in einer Justizvollzugsanstalt mit jungen Straftätigen zu implementieren, scheint daher gewagt. Die Dirigentin Anna-Sophie Brüning, erste Kapellmeisterin am Landestheater Coburg, und die Sängerin und Regisseurin Paula Fünfeck gingen dieses Wagnis ein. Nach einem Konzert mit dem Landesjugend-orchester Baden-Württemberg in der JVA Adelsheim war Anna-Sophie Brüning der Meinung, dass es dabei nicht bleiben könne. Ihr schwebte ein Projekt vor, das nicht nur für, sondern mit den jungen Gefangenen realisiert werden sollte. Völlig ausgangsoffen starteten die beiden Frauen ihr Projekt im Jahr 2011. Und siehe da: Was die „schweren Jungs“ anfangs „schwul, unmöglich oder peinlich“ fanden, wurde schnell Kult innerhalb der Haftanstalt. Fünf Projekte haben die Künstlerinnen in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des LJO inzwischen „gestemmt“ – und stehen damit völlig zu Recht auf der Liste des BKM. Mit einer Mischung aus Heiterkeit und Betroffenheit nimmt man Brünings Bericht über die Herausforderungen ihres Vorhabens zur Kenntnis: Alle Beteiligten, auch die „Gäste“, werden rund um die Uhr „bewacht“ und müssen sich die Toiletten aufschließen lassen. Der eine oder andere Darsteller fällt schon mal aus, weil er in den Proben als besonders aggressiv aufgefallen ist. Nachdenklich macht der Bericht über die erste Begegnung zwischen Straftätern und den jungen Musikern, die „aus einem ganz anderen Universum kommen“, so Brüning. Plötzlich stellt man fest, dass man aus dem gleichen Ort stammt, gar in die gleiche Grundschule gegangen ist: Was ist in der Zwischenzeit passiert, dass die einen hinter Gittern sitzen, während die anderen aufs Gymnasium gehen, meist gute Noten haben, ein oder mehrere Instrumente spielen, ins Ausland fahren…?

Begonnen haben die Projektleiterinnen ausgerechnet mit einem Barockopern-Programm. Schon bei der Vorstellung des Projekts wurde klar, dass eine gewisse Umstellung nötig war. Begriffe wie Oper, Ouvertüre, Barock waren einfach Neuland für die Angesprochenen. Nach den ersten Berührungsängsten waren die jungen Männer aber begeistert. Chorsingen ist in der JVA Adelsheim seither angesagt. Und, so Brüning: „Die Geschmäcker stehen teilweise Kopf. Sie finden zum Beispiel großen Gefallen an Werken von Monteverdi und von Schubert. Kürzlich hatten wir ein Projekt, bei dem wir Schubert-Lieder und Schlager gesungen haben. Wovon die Gefangenen reden, sind nicht die Schlager, sondern die Schubert-Lieder.“ Musikvermittlung vom Feinsten, möchte man sagen. Aber, erklärt die Dirigentin, es gehe dabei nicht um den pädagogischen Zeigefinger. Wichtig sei, dass alle ihre Begeisterung für die Musik vermitteln, dass alle auf der Bühne mitmachen, auch Dirigentin und Regisseurin, und dass der Qualitätsanspruch hier nicht geringer ist als anderswo. Die an den JVA-Projekten Beteiligten begutachten die künstlerischen Leiterinnen nicht weniger kritisch als Kollegen am Theater.

Ihre persönliche Motivation erklärt die Musikerin auch damit: „Ich finde es faszinierend oder sogar schockierend, was da teilweise für Talente zum Vorschein kommen bei Menschen, die von der Gesellschaft abgestempelt sind. Und mit wie wenig Hinwendung man eigentlich unmögliche und fantastische Dinge erreichen kann. Da war zum Beispiel ein Gefangener, der sang in einer Oper eine Arie ganz alleine mit dem Orchester: Was bedeutet das für einen Mut, sich vor die anderen Insassen und das Publikum hinzustellen und eine ganze klassische Arie zu singen!“

Auch die jungen Musiker des LJO profitieren von der Kooperation. Plötzlich erhalten sie einen ganz neuen Blick auf ihre eigene privilegierte Situation. „Sie kommen ganz schön ins Grübeln“, erklärt Brüning. Inzwischen gibt es einen harten Kern, der immer wieder mitmacht. Dass man mit Musik in diesem Bereich etwas bewegen kann, treibt viele an.
Die Leitung der JVA, die Träger des Projektes ist, steht voll hinter der Idee und macht vieles möglich. Zum Beispiel die Herstellung von Bühnenbild und Kostümen in den anstaltseigenen Werkstätten. Auf diese Weise sind viel mehr junge Männer in das Opernprojekt involviert als nur diejenigen, die auf der Bühne stehen. Im Sommer 2013 wurde ein weiterer Schritt gemacht: Erstmals spielten die Opernbeteiligten nicht allein vor einem „internen“ Publikum aus Mit-Insassen, Angestellten der JVA, Eltern, Journalisten, sondern öffentlich. „Metamorphosen“ hieß das Musik-Projekt, ein Konzertspaziergang im Schlosspark Adelsheim, das den Kreislauf des Lebens zum Inhalt hatte. Schade natürlich, dass hier nur ein Teil der Insassen teilnehmen durfte, die anderen bekamen keinen „Freigang“…

Und wie geht es weiter? Ein Weihnachtskonzert ist in Planung, diesmal ohne szenische Begleitung. Und im kommenden Jahr soll es wieder ein großes szenisches Projekt geben. Allerdings hängt das auch von der Frage ab, ob Geldgeber gefunden werden. Strafgefangene, so Brüning, haben ja nicht unbedingt eine Lobby.

Barbara Haack


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