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Vom „Magnificat“ bis zum „Ring light“
Neue Produktionen auf dem DVD-Markt
„Igor Moiseyev Ballet live in Paris“, BelAir classiques, BAC 090, Länge: 107 Minuten
Man hatte lange nichts vom eigentlich immer emsig tourenden Igor Moissejew Ballett gehört. 2011 gastierte es jedoch im Pariser Palais des Congrès und wurde aufgezeichnet. Eine großartige Vorstellung. Das 1937 von Moissejew (1906-2007) mit nur 30 Laienkünstlern gegründete Volkstanz-Ensemble – das erste der UdSSR –, das sich bald zu einer Truppe von 70 professionellen Tänzern entwickelte, präsentiert sich hier auf höchstem technischen Standard. Und Moissejews Erbe: Seine auf ethnischen Tänzen basierenden Choreografien wie auch sein hoher tanztechnischer Anspruch – er war von 1924 bis 1939 Mitglied des Moskauer Bolschoi-Balletts – werden weiterhin sorgsam gepflegt. Seine Ernte-, Kriegs- und Gesellschaftstänze aus Russland, der Ukraine, Moldawien, Spanien und Argentinien rauschen in feschen trachtigen Kostümen über die Bühne: anmutig in der Allüre, virtuos in den knietiefen und fußschnellen Charakterschritten. Die getrippelten Reihen, Kreise und Achterfiguren scheinen geradezu mit Lineal und Zirkel gezogen und ergeben, von oben gefilmt, ein buntes Bewegungs-Kaleidos-kop. Fast ist diese Show, Lichtdesign und Live-Musik inklusive, für das Genre Volkstanz schon eine Spur zu perfekt.
Heinz Spoerli: „Magnificat – Wäre Heute Morgen Und Gestern Jetzt“, BelAir classiques, BAC 089, 2013
Bach und Ballett – in diese reiche Tradition reihte sich 2009 Heinz Spoerli mit seinem „Magnificat“ für das Zürcher Ballett ein, das er zwischen 1996 und 2012 zum Aushängeschild machte. Wie bei Bach-Werken fast zwingend, folgt er, handlungslos, den Tempi und Stimmungen der Musik, von der zarten Allemande aus der a-moll-Flötenpartita bis zum abschließenden „Magnificat“. Ob man sich bei seinen Pas de deux und Pas de trois spirituell angesprochen fühlt, sei es bei Marias Lobpreisung Gottes, bei der Violinsonate Nr. 1, den zwei Arien aus den Kantaten „Wo soll ich fliehen hin“ und „Ich habe genug“, das hängt wohl von der individuellen Einstellung des Betrachters ab. Es fehlt hier eine besondere über die choreografische Versiertheit hinausgehende Bewegungs- und Ausdrucksart, die der Bachschen Musik standhalten könnte. Sicher ist, dass man den „Tanzmacher“ Spoerli, wie er sich selbst bescheiden nennt, im Brandenburgischen Konzert Nr. 3 ganz in seinem Element erlebt. Und atemberaubend, wie seine Tänzer in dieser räumlich komplexen, dabei rasenden Choreo-grafie über die Bühne fliegen: technisch geschliffen, uhrwerks-präzise – die pure Lebensfreude.
Malve Gradinger
Stefan Kaminski: Wagners „Ring des Nibelungen“. ML und R: Stefan Kaminski (2013), BelAir/Harmonia mundi, 4 DVDs
„Play XY” gab es in den 1970er-Jahren viel in der Freien Szene. „Nach Wagner“ blendet Stefan Kaminski nun zumindest im Vorspann seiner „Play“-Fassung ein: Wagners vier Abende langer „Ring des Nibelungen“ von gut 16 auf nicht ganz 5 Stunden eingedampft. Er selbst sing-schauspielert auf den vier DVDs alle Rollen. Zusammen mit drei Instrumentalisten an E-Gitarren, Donnerblech, Glasharfe und vielerlei Geräusch-Werkzeugen samt „Sound&Light-Design“ produziert er via 26 Mikrofonen, Mischpult und Synthesizer eine Klang-Kulisse dazu. Immer mal tauchen eine Melodie oder ein Motiv Wagners hörbar auf, bis in der „Götterdämmerung“ nur noch anderer Sound tost.
Spätestens dann sind die Verluste dominant: Besucher müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie nur einen „Mac-Pomm-Wagner“ bekommen, musikalisches und dramatisches Fastfood. Die gespenstische Aktualität von Wagners Welten-Gleichnis gerade in unseren Turbo-Kapitalismus-Jahren verschenkt Kaminski schon im „Rheingold“ – er verkürzt den „Gänsehaut“-Text von Alberichs Ring-Fluch ins skurril Kleine. Die Verluste häufen sich dann: Sieglinde macht er zur quengelnden Mausi; im „Siegfried“ stellt Kaminski die Wotan-Erda-Szene dramaturgisch widersinnig und prompt ohne Gewinn nach vorne um, sein Siegfried-Song mit Schwert bleibt banal, die musikdramatische Rekapitulation im „Trauermarsch“ fehlt. Die Mini-Bühnenshow wirkt eher wie Mummenschanz. Unbestritten sei, dass Kaminski ein Stimm-Schauspieler von enormer Bandbreite ist, doch die überlebensgroßen „Ring“-Figuren verlangen mehr. An Werkdurchdringung bietet da seit Jahren ein Stefan Mickisch Gehaltvolleres – und wer über Wagner lachen will, lacht bei Loriot und Anna Russell geistreicher.
Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt. Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, 1983, Arthaus DVD 101 656
Auch aus dem von Götz Friedrich meist praktizierten Ansatz „realistisches Musiktheater“ lässt sich ein Traum, Wahn und Verwirrung verschmelzendes Musikdrama wie Korngolds „tote Stadt“ Brügge und darin Pauls fatale Begegnung mit Marietta-Marie überzeugend gestalten, insbesondere in Andreas Reinhardts phantastischem Bühnenbild. James King und Karen Armstrong brillieren.
Jules Massenet: Cendrillon. Chor und Orchester der Royal Opera London, 2011, Virgin/EMI, 2 DVDs
Zu Massenets 100. Todestag ist dies nach der „Don Quichotte“-DVD die zweite Wiedergutmachung an einem „Unterschätzten“. Regisseur Pelly und Dirigent de Billy haben mit der erstklassigen Besetzung intensiv gearbeitet – das wird in allen Bonus-Interviews deutlich, die der Massenet-Skeptiker anschauen sollte. Barbara de Limburgs Bühne spielt dauernd mit Buchseiten oder Buchstaben, Pelly erzählt ein zauberhaftes Märchen, dessen Utopie aber auch eine Herausforderung bleibt. Ein glänzendes Ensemble mit dem Prinzen als Hosenrolle für Alice Coote wird überstrahlt von Joyce DiDonato in der Titelrolle: Sie allein lohnt schon die DVD-Anschaffung.
Wolf-Dieter Peter
Demnächst im Kino
First Position – ein Film von Bess Kargmann
Ohne einen „Traumberuf“ aufs Podest zu stellen, aber auch ohne die Tänzerausbildung mit dem Klischee der ehrgeizigen Ellenbogenmentalität zu überfrachten erzählt dieser Film von sechs jungen Tänzerinnen und Tänzern zwischen 9 und 19 Jahren, die sich auf den Youth America Grand Prix vorbereiten. Gewiss, die ehrgeizige Mama, die Tränen vergießt, als ihr Sohn beschließt, den Ballettunterricht „zu schmeißen“, kommt durchaus vor. Daneben viel Spannendes über die Protagonisten. Ganz unprätentiös begleitet der Film die jungen Tänzerinnen und Tänzer ein Jahr lang und gibt einen guten Eindruck von dem Können dieser jungen Menschen, von ihren Träumen, von ihrem Leben und ihrer tänzerischen Arbeit. Der Schmerz, die Entbehrungen ebenso wie die Leidenschaft für den Tanz und die Freude über den Erfolg werden filmisch überzeugend und anrührend dargestellt. Sehenswert!
Barbara Haack
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