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Berichte

Intensives Protokoll des Abschieds

Opern bei den Schwetzinger Festspielen · Von Andreas Hauff

Leise schleichen sich im Orchestergraben vertraute Melodiefragmente ins Klangbild und in den Geräuschteppich – erst in kurzen Andeutungen, dann in immer deutlicheren Zitaten: Orpheus‘ Arie „Che farò senza Euridice“ aus Glucks „Orfeo ed Euridice“. Aber hier geht es nicht um den mythischen Sänger Orpheus und seine Frau Euridyke, sondern um Thomas, den Trauernden, nach dem Georg Friedrich Haas seine jüngste Oper benannt hat. Thomas (Otto Katzameier) hat soeben seinen Lebensgefährten Matthias (Wolfgang Newerla) verloren, er sitzt am Sterbebett im Krankenhaus und ist nun mit ihm allein.

Michael (Kai Wessel) und Thomas (Otto Katzameier) am Sterbebett von Matthias (Wolfgang Newerla). Foto: Wolfgang Runkel

Michael (Kai Wessel) und Thomas (Otto Katzameier) am Sterbebett von Matthias (Wolfgang Newerla). Foto: Wolfgang Runkel

Die diesjährige Uraufführung der Schwetzinger Festspiele, eine Koproduktion mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe, ist ein merkwürdiges Stück im besten Sinne. Schon immer hatte Oper ja mit Grenzerfahrungen zu tun, die vielen Bearbeitungen des Orpheus-Mythos sind das beste Beispiel dafür. Aber so genau und realistisch wollen wir es auf der Bühne normalerweise nicht haben mit dem Sterben und dem Abschied. Minutenlang spielt kein Melodieinstrument, man hört nur das schwere Atmen des Sterbenden im Schlagwerk und in leisen Akkordeon-Tönen. Dezent legt sich darüber sparsam der Gesang – unrealistisch, aber passend, weil er die seelischen Regungen des Trauernden abbildet: seine Sorge um den sterbenden Gefährten, seine Trauer um den Toten, seine Wahrnehmung der Menschen, die ihm nun begegnen.

Da sind der technokratische Arzt Dr. Dürer (Daniel Gloger) , der in Begleitung des Famulus Dominik (Michael Feyfar) den Tod feststellt, die Ordensschwestern Agnes und Jasmin (Raminta Babickaite und Ruth Weber), die in unschuldiger Naivität den Körper waschen, die Beerdigungsunternehmerin Frau Fink (Sarah Wegener), deren Versuche ihn zu trösten Thomas als Übergriff erlebt, das blitzhafte Aufschießen von Bildern und Gedanken, die inneren Stimmen im Kopf, die Fetzen der erlebten Szenen im Ohr, die Schuldgefühle über Versäumnisse und Fehler, die Angst vor dem Leben ohne den geliebten Menschen.

Schon das Libretto von Händl Klaus liest sich über weite Strecken als intensives Protokoll des Abschieds, und die manchmal gläsern unwirkliche Musik verleiht ihm eine wahrhaft existentielle Dimension des Fühlens. Aus dem Orchestergraben tönt, sicher geführt von Michael Galante, eine eigenartig zarte Besetzung. Außer Schlagwerk und Akkordeon umfasst sie Cembalo, Harfe, Zither, Mandoline und Gitarre. Darüber legen sich mitunter im Orchestergraben die chorartig eingesetzten Stimmen der Sänger, sofern sie nicht auf der Bühne agieren. Wie selbstverständlich erlebt man die mikrotonale Anlage der Musik.

Als hilfreich und sensibel empfindet Thomas einzig den Pfleger Michael (Kai Wessel), der nicht von ungefähr den Namen eines Erzengels trägt. Thomas‘ eigener Name verweist auf jenen Apostel im Neuen Testament, der dem auferstandenen Jesus die Auferstehung nicht glauben will. Eine ähnlich rätselhafte Erscheinung stößt auch unserem Zeitgenossen Thomas zu. Matthias beginnt zu sprechen, erhebt sich von seinem Bett, weiß über die Details des gemeinsamen Lebens Bescheid und kennt auch einen Riss im Schuh, von dem Thomas nichts weiß – Autosugges-tion des Trauernden kann es also nicht sein. Er hat Hunger, und Thomas bestellt beim freundlichen Pfleger Suppe für beide. Matthias legt sich indessen hin, als ob nichts wäre, erhebt sich dann aber wieder zum gemeinsamen Mahl.

Wie viel und welche Realität man der Szene zuschreiben soll, lässt Elisabeth
Gabriels sorgfältige und feinsinnige Regie offen. Die beiden Männer sitzen essend am kleinen Tisch und freuen sich über das köstliche Weißbrot – aber das liegt unberührt auf dem Krankenbett. Bühnenbild und Kostüme (Vinzenz Gertler), Lichtregie und dezente Videoeinblendungen (Heta Multanen) tun das ihre, um Momente der Transzendenz im sterilen Krankenhaus-Szenario zu entfalten. Außerordentlich beeindruckend ist Otto Katzameier in der Titelrolle: Bei ihm wirken jeder Tonfall, jede Phrase, jeder Blick, jede Geste und jeder Gang stimmig.

Neben dieser Uraufführung gab es im Schwetzinger Rokoko-Theater Henry Purcells kaum jemals gespielte Semi-Opera „The Indian Queen“ zu erleben, allerdings mit ziemlich vielen Einlagen aus anderen Werken Purcells und einer neu konstruierten Handlung. Die Musik wurde durch die Solisten und Chor und Orchester von Le Concert Spirituel unter Hervé Niquet ausgesprochen subtil interpretiert. Purcells geniale Begabung für musikalische Textdeutung und Atmosphäre, seine delikaten Akkordverbindungen und ausladenden Melodiebögen, seine raffinierten Phrasierungen, sein Sinn für Klangfarbe, sein Mut zur Schlichtheit und zur Virtuosität gleichermaßen kann man sich kaum besser realisiert denken. Doch Regisseur Joachim Schlömers banale und selbstverliebte Neufassung von Handlung und Dialog machte aus dem Theaterabend ein Ärgernis.

Andreas Hauff

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